Der Marathon und die Frauen

Tacheles-Umfrage 08/2024
Warum laufen so wenige Frauen Marathon?

Veröffentlicht am 19.07.2024
Warum laufen so wenige Frauen Marathon?

Auf den ersten Blick erstaunt es, dass hierzulande die Teilnehmehmenden bei Marathons ganz überwiegend männlich sind. Der Frauenanteil liegt in der Regel nur bei zwanzig bis etwas über dreißig Prozent. Bei den großen City-Marathons ist der Frauenanteil dabei eher höher als bei dem mittelgroßen und kleinen Marathonveranstaltungen. In Berlin liefen im letzten Jahr 14.392 Frauen und 28.523 Männer ins Ziel, das ist vermutlich der höchste Frauenanteil hierzulande bei einem der relevanten Marathons. International sieht das teilweise ganz anders aus: In New York kamen 2023 28.436 Männer ins Ziel und 22.810 Frauen. Das ist immerhin ein Frauenanteil von 44 Prozent. Viele Marathons in den USA haben einen ähnlichen Geschlechteranteil.

Wir haben Sie in unserer Tacheles-Umfrage für die August-Ausgabe 2024 gefragt, was die Gründe dafür sein könnten, dass hierzulande weniger Frauen bei Marathons antreten. Sind es sportliche Gründe, motivatorische, physiologische, oder soziologische Gründe? 323 Frauen (U30: 41; 30 bis 50: 231; Ü50: 51) und 132 Männer (U30: 14; 30 bis 50: 85; Ü50: 33) nahmen an der Umfrage teil. Im Folgenden stellen wir Ihnen die Ergebnisse vor. Im Anschluss daran finden Sie noch einige Statements von Leserinnen und Lesern, die die Erkenntnisse aus der Umfrage stützen, aber auch weitere Aspekte einbringen, etwa eine im Vergleich zu anderen Ländern kurze Zielschlusszeit von meistens etwa sechs Stunden.

Unsere Umfrageergebnisse

Sind Sie bereits einen Marathon gelaufen?

Marathonteilnahme von Frauen und Männern
RUNNER'S WORLD

Die Grafik zeigt es recht deutlich: Die Frauen unter unseren Umfrageteilnehmenden sind bisher nennenswert seltener Marathon gelaufen (insgesamt 46,7 %, vierte Säule) als die männlichen Befragten (62,1 %, letzte Säule). Auffällig sind der vergleichsweise geringe Anteil der jungen Frauen („nur“ 22,2 % der Unter-30-Jährigen sind bereits einen Marathon gelaufen) und der extrem hohe Anteil bei den Männern über 50 Jahren (87,9 %).

Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass es sich bei unserer Umfrage offenkundig nicht um eine repräsentative Umfrage handelt, die Lauf- und Marathonaffinität der Teilnehmenden ist insgesamt sehr hoch.

Würden Sie gern (erstmals oder wieder) einen Marathon laufen?

Marathonplanung von Frauen und Männern
RUNNER'S WORLD

Geht es um den Plan, einen Marathon zu laufen, sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern weitaus geringer. Gerade unter den jungen Frauen (linker Balken) geben fast alle an, aktuell (65,9 %) oder irgendwann einmal (29,3 %) eine Marathonteilnahme zu planen, mehr als in jeden anderen Gruppe.

Was hält Sie aktuell davon ab, einen Marathon zu laufen?

Gründe gegen eine Marathonteilnahme von Frauen und Männern
RUNNER'S WORLD

Einen großen Anteil der Umfrageteilnehmenden hält nichts davon ab, sich an ein Marathontraining zu wagen (gelbe Balken) – viele wollen demnächst Marathon laufen, am meisten Männer unter 30 (64,3 %), Männer zwischen 30 und 50 (60,2 %) und Frauen unter 30 (55 %).

Gegen eine Marathonteilnahme und das dafür notwendige, ja, auch zeitaufwändige Training sprechen in fast allen Altersstufen am stärksten anderweitige Verpflichtungen wie Beruf, Familie, etc. – lediglich für junge Männer unter 30 Jahren scheint das nur selten ein Hinderungsgrund zu sein. Für Frauen sind berufliche und familiäre Belastungen dabei deutlich häufiger ein Grund gegen das Marathontraining, insbesondere im Alter ab 50 (56 %).

Keine Lust auf die Anstrengung im Training und im Rennen wird insgesamt deutlich seltener angegeben, ein klein wenig häufiger von Männern als von Frauen. Die Kosten einer Marathonteilnahme sind ebenfalls eher selten ein Grund, keinen Marathon zu laufen – am stärksten genannt von jüngeren Frauen (7,5 %) und älteren Männern (6,1 %).

Was denken unsere Leserinnen und Leser?

Muss alles unter einen Hut

Conny Schulz, Kaltenkirchen

Ich kann da nur für mich sprechen: Als Mutter, Ehefrau und Vollzeitbeschäftigte ist es schwierig, das Training und die Vorbereitung auf einen Marathon mit dem Alltag unter einen Hut zu bringen. Und wenn das Umfeld die Laufleidenschaft nicht teilt, wird es noch ein bisschen schwieriger. Das Training für einen Halbmarathon bekomme ich so noch hin, aber für einen Marathon gehört schon etwas mehr dazu.

Höhere Diversität in den USA

Jürgen Englerth, Carrollton, Texas (USA)

Da ich einen Wohnsitz in den USA habe, kann ich feststellen, dass dort allgemein eine viel höhere Diversität bei den Laufveranstaltungen besteht. Es wird jeder, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Körperbau und Leistungsfähigkeit, als vollwertiger Läufer akzeptiert. Das spiegelt sich auch in den Zielschlusszeiten der Rennen wider, die es auch reinen Gehern ermöglichen, einen Marathon zu finishen.

Alltagslasten gerechter verteilen

Layla Hüsemann, Berlin

Kinder aufziehen, den Haushalt machen, Geld verdienen – so sieht der Alltag einer Frau in Deutschland aus. Und der der Männer: Geld verdienen, Geld verdienen und abends und am Wochenende ein bisschen die Kinder bespaßen. Da sind auch die Männer gefordert, aber am meisten ist es der Staat. Der muss dafür sorgen, dass die Frauen nach der Geburt der Kinder wieder problemloser in den Beruf ein- und die Männer problemloser aussteigen können. Und wir alle sind weiter gefordert, dass sich Alltagslasten ganz gewöhnlich auf alle Geschlechter gleich verteilen. Und wenn dem so wäre, dann hätten eben auch so viele Frauen wie Männer hier Zeit und Lust und die Power, einen Marathon vorzubereiten und mitzulaufen.

Deutschland ist rückständig

Philip Kretz, Santa Ponsa, Mallorca (ESP)

Meiner Ansicht nach nehmen in Deutschland so wenige Frauen an Marathons teil, weil der Gesetzgeber immer noch sehr stark Frauen die Mutter-/Kinderfürsorgerolle und Vätern die Versorgerrolle zuschreibt. Im Vergleich zu fast allen westlichen Ländern ist Deutschland da sehr rückständig, was merkwürdigerweise nur denjenigen auffällt, die unmittelbar betroffen sind, die aber auch staatlichen Repressionen ausgesetzt werden, sofern sie es wagen, darüber zu reden.

Ziele zu kurz offen

Ivo Horvat, Gütersloh

Ich glaube, dass die Frauen nicht so kompetitiv wie wir Männer sind und sie auch die zu kurzen Zielschlusszeiten bei den meisten Marathons scheuen. Gerade bei den kleineren Läufen sind die Ziele aus logistischen Gründen oft nur so lange offen, dass man sie nur ohne Gehpausen rechtzeitig erreichen kann. Das ist in anderen Ländern, speziell den USA, oft anders. Bei vielen Männern ist speziell das Marathonlaufen ja auch nur ein Egotrip, ein Karriereding, ich kann was, was andere nicht können. So etwas kennen Frauen seltener.

Training kommt zu kurz

Franzi Mähl, Hamburg

In meinem Freundes- und Bekanntenkreis ist die Geschlechterverteilung der Marathonteilnehmenden ziemlich ausgeglichen. Aber vielleicht trauen sich Frauen oft die Distanz nicht zu oder sind stärker in den Familienalltag involviert als die Männer, wodurch das Training dann zu kurz kommt. Warum das im deutschsprachigen Raum so ist, kann ich nicht erklären. Ich bin selbst alleinerziehend und laufe drei bis vier Marathons und Ultra-Marathons im Jahr. Für mich ist es der perfekte Ausgleich zum Job und zur Familie.

Leute in den USA extremer

Günter Steiner, München

Marathon ist eine extreme Distanz. Ich glaube, in den USA sind die Leute einfach insgesamt viel extremer als bei uns. Einerseits gibt es dort viel mehr übergewichtige Leute, andererseits viel mehr Fitnessfanatiker. Darum glaube ich, dass in Amerika auch viel mehr Frauen die Marathondistanz bewältigen als hierzulande, was aber noch nicht erklärt, warum es weniger Frauen als Männer sind.

Geringere Wettkampflust

Saskia Göbert, Berlin

Mich wundert dieses krasse Missverhältnis. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass wir Frauen mindestens so ausdauernd sind wie die Männer, und in meinem Bekanntenkreis laufen auch ebenso viele Frauen wie Männer. Dass Frauen seltener zum Marathon antreten, hat vermutlich mit ihrer geringeren Wettkampflust zu tun und weil sie im „sonstigen Leben“ noch immer mehr gefordert sind als die Männer und daher keine Lust und Zeit zum Trainingsaufwand finden.

Gezielte Förderung nötig

André Warnke, Ahrensburg

Die niedrigere Beteiligung von Frauen an Marathons kann auf eine Vielzahl von Gründen zurückgeführt werden, darunter sportliche, motivatorische, physiologische und soziologische Faktoren. Soziale Normen und Rollenbilder können Frauen davon abhalten, sich für Langstreckenläufe zu interessieren oder daran teilzunehmen. Auch biologische Unterschiede wie Muskelmasse und Körperfettanteil können eine Rolle spielen, da Frauen möglicherweise physisch anders auf die Anforderungen eines Marathons reagieren. Mangelnde Zeit und Ressourcen für Training und Wettkampfvorbereitung sowie ein Mangel an geeigneten Unterstützungsstrukturen könnten Frauen ebenfalls abhalten. Zudem könnten fehlende Motivation, Selbstzweifel und mangelnde Vorbilder dazu führen, dass Frauen seltener an Marathons teilnehmen. Eine gezielte Förderung, Ermutigung und Schaffung von unterstützenden Umgebungen könnten dazu beitragen, die Teilnahme von Frauen an Marathons zu steigern und potenzielle Hindernisse zu überwinden.