In Deutschland gibt es immer mehr Menschen mit Essstörungen. Vor allem während der Pandemie gab es einen massiven Anstieg von Betroffenen – bei 10- bis 14-Jährigen um 33 Prozent, bei den 15- bis 17-Jährigen um 54 Prozent, das zeigt ein Gesundheitsreport der DAK. Die „Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen“ geht davon aus, dass fast 20 Prozent aller deutschen Jugendlichen an gestörtem Essverhalten leiden.
Doch auch Erwachsene erkranken. Nicht nur Frauen, sondern ebenso Männer sind zunehmend häufiger betroffen. Die Verteilung bei den Männern und Frauen lässt sich schwierig festlegen, da gerade bei den Männern die Dunkelziffer aufgrund der Tabuisierung und dem Klischee, dass es sich bei einer Essstörung um eine weibliche Erkrankung handelt, sehr hoch ist. Laut BARMER-Krankenkasse ist davon auszugehen, dass etwa 61 von 1.000 Frauen und 18 von 1.000 Männern in ihrem Leben an einer Essstörung erkranken. Es gibt Schätzungen, die laut der BARMER davon ausgehen, dass 10 bis 25 Prozent aller Menschen mit Magersucht oder Bulimie Jungen und Männer sind. Der Anteil an männlichen Betroffenen mit einer Binge-Eating-Störung ist sogar noch höher – er wird auf etwa 30 bis 40 Prozent geschätzt.
Auch im Leistungssport gibt es immer mehr Athletinnen und Athleten, die darüber sprechen, wie sie aufgrund von enormem Leistungsdruck immer mehr Gewicht verloren haben, um im Kampf um Podeste und Medaille vorne zu bleiben – bis sie die Kontrolle verloren haben. Der bekannteste Fall ist wohl Skispringer Sven Hannawald, der immer weiter abnahm. Erst nach seiner aktiven Karriere sprach er offen darüber, wie er beinahe in eine Magersucht rutschte. Im Laufsport regiert die Devise „Je dünner, desto schneller“. Dass Magersucht und Sport zusammenhängen, zeigt sich immer wieder – auch bei Hobbysporttreibenden. Aber von vorne.
Was ist Magersucht?
Laut Definition ist Magersucht eine psychosomatische Erkrankung, bei der extrem restriktives Essverhalten zur Sucht wird. Betroffene lassen ganze Mahlzeiten aus und wollen so wenig wie möglich zu sich nehmen. Vor allem kalorienreiche Nahrungsmittel werden umgangen und Maßnahmen wie Kalorienzählen, langsames Essen, Kleinschneiden der Nahrung, exzessiver Sport und Abführmittel eingesetzt. Die Anzeichen einer Magersucht zu erkennen, ist in der Regel einfacher, als etwa eine reine Bulimie oder Binge-Eating-Störung. Das liegt daran, dass bei einer Magersucht eine starke Gewichtsabnahme auftritt.
Wichtig ist zu berücksichtigen, dass bei den Essstörungen zwischen drei Hauptformen, unterschieden wird:
- der Anorexia nervosa (Magersucht),
- der Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) und der
- Binge-Eating-Disorder (extremes Fasten und unkontrollierte Heißhungerattacken wechseln sich ab).
Häufig vermischen sich die drei Erkrankungen. Eine Person, die an Magersucht leidet, kann also auch regelmäßig Heißhungerattacken bekommen. Das führt im Anschluss zu Schuldgefühlen und noch restriktiverem Essverhalten, die Betroffenen wollen sich bestrafen. Es bildet sich ein Kreislauf, aus dem es den Betroffenen ohne professionelle Hilfe kaum gelingt, herauszukommen.
Wo fängt eine Magersucht an?
Wo eine Magersucht anfängt, lässt sich schwer festlegen, denn jeder Fall ist individuell und der Prozess kann schleichend oder abrupt einsetzen. Der Wunsch nach Kontrolle kann laut Psychologin und Lauftrainerin Katja Cordts-Sanzenbacher durch bestimmte psychische Dispositionen, beispielsweise ein geringes Selbstwertgefühl oder einen ausgeprägten Drang nach Leistung sowie hohen Ansprüchen an das eigene Aussehen, entstehen. Hinzu kommen äußere Faktoren, so die Expertin. „Wenn bestimmte Auslöser wie körperliche Veränderungen in der Pubertät oder ein Verlusterlebnis dazukommen, dann kann eine Person in die Magersucht rutschen“, sagt die Berliner Psychologin. Das Essen beziehungsweise Nichtessen bietet laut Cordts-Sanzenbacher einen sicheren Raum, der vollkommen kontrolliert werden und Gefühle von Macht und Stolz erzeugen kann.
Sind Sportlerinnen und Sportler anfälliger für Magersucht?
Im Spitzen- und Leistungssport zeigt sich immer häufiger, wie stark junge Menschen unter Druck stehen. Es geht hierbei nicht um eine psychosomatische Ursache, sondern vielmehr um Leistungsoptimierung. Daraus kann sich im schlimmsten Fall eine Essstörung entwickeln.
„Es besteht quasi leistungsbedingt die Notwendigkeit zum Schlanksein und damit auch die Notwendigkeit, sehr stark auf die Energiezufuhr zu achten. Das ist grenzwertiges Essverhalten“, sagt Sportmedizinerin Petra Platen. Bis zu einem gewissen Punkt seien diese Restriktionen beherrschbar. Das restriktive Essverhalten entsteht nicht aus einem psychologischen Gründen heraus, sondern aus dem einfachen Grund des hohen Drucks, Leistung zu bringen. Doch der schmale Grat ist schnell überschritten und Kontrolle wird zum Zwang. Es kann sich also durchaus eine Magersucht entwickeln. Die Sportwissenschaft spricht allerdings nicht mehr von Anorexia athletica oder Sportzwang, sondern vom sogenannten RED-S (Relative Energie-Defizit-Syndrom).
Dieses kann laut Platen auch normal- und schwergewichtige Sportlerinnen und Sportler betreffen. Es kann auch Athletinnen und Athleten betreffen, die eine Sportart betreiben, bei der ein sehr niedriges Gewicht zum Ideal gehört, etwa beim Ballett, rhythmischer Sportgymnastik, Kunstturnen und Eiskunstlauf. „Das Syndrom kommt vor allem bei ästhetischen Sportarten vor, wo ein schlanker Körper gewünscht ist, sowie bei Gewichtsklassen wie im Boxen und Judo. Und bei Sportarten, wo das eigene Körpergewicht getragen werden muss“. Letzteres betrifft insbesondere den Laufsport. Auch Sportmediziner Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule Köln beobachte die Tendenz von immer dünneren Sporttreibenden. „Wenn Athleten mit einem BMI von 15 oder 16 in einen Wettkampf gehen, ist das kritisch und auf Dauer gesehen eine Gefahr für die Gesundheit“, sagte der Experte im Interview mit dem Tagesspiegel.
Eine Top-Läuferin wie Konstanze Klosterhalfen etwa hat mit einem Gewicht von 48 Kilogramm und einer Größe von 1,74 Metern einen BMI von 15,9. Bei der Techniker Krankenkasse heißt es dazu: „Ein BMI-Wert unter 16 gilt als anorektisch. Um mit einem viel zu niedrigen Gewicht nicht die Gesundheit zu gefährden, sollten Sie bei einem solchen Ergebnis dringend einen Arzt aufsuchen“.
Die Problematik der zu geringen Energiezufuhr bestätigt auch Lauftherapeutin Katja Cordts-Sanzenbacher. Sie sagt, dass man im Spitzenfeld der Marathonläuferinnen und -läufer vergeblich nach Normalgewichtigen sucht, und betont, dass ein verringertes Körpergewicht nur so lange zu einer Leistungsverbesserung führen könne, bis eine gewisse Grenze über- beziehungsweise unterschritten wird. Die Folgen einer Magersucht können dann einen extremen Leistungsabfall im Sport bedeuten: „Denn die körperlichen Einschränkungen wegen des permanenten Energiemangels sind gravierend“. Für die Therapeutin ist „Je dünner, desto schneller“ also eine Annahme, die sich ab einem bestimmten Punkt selbst aufhebt, zum unwahren Mythos und zu einer großen Gefahr wird.
Das Inkaufnehmen des möglichen Abrutschens in eine Essstörung grenzt für die Lauftherapeutin an fahrlässiger Körperverletzung. Sowohl bei einer Magersucht als auch beim RED-S kommt es zu ähnlichen Schäden.
Wie viele Sportler leiden unter Magersucht?
Der Sportmediziner Wilhelm Bloch nennt Zahlen im Bereich zwischen 10 und 20 Prozent aller Leistungssportlerinnen und -sportler, die von Essstörungen betroffen sind. Die Dunkelziffer ist groß.
Im Sportbereich sind Essstörungen bis heute ein Tabuthema. Zu riskant ist es, beim Schritt an die Öffentlichkeit die eigene Karriere zu gefährden. Doch es gibt immer mehr Sportlerinnen und Sportler, die sich öffentlich zu ihrer Erkrankung äußern. Einer der bekanntesten Fälle ist Skispring-Weltmeister Sven Hannawald. Der ehemalige Profisportler sprach nach seiner Karriere öffentlich über die Essstörung und seiner Grenze zur Magersucht, die er lange geleugnet hatte.
Seine Erkrankung und viele weitere Erkrankungsfälle im Skispringen sorgten dafür, dass es im Skispringen mittlerweile eine BMI-Grenze von 21 gibt. Wer diese unterschreitet, dem werden die Skier gekürzt, was die Tragfläche und damit die Sprungweite reduziert. Die Magersuchts-Problematik im Skispringen zeigt deutlich: Auch Männer können durchaus von Essstörungen betroffen sein, die sonst gerne nur der Frauenwelt zugesprochen werden.
In der ARD-Dokumentation „Hungern für Gold“ sprechen Sportlerinnen wie die ehemalige Turnerin Kim Bui und Ex-Biathletin Miriam Gössner, heute Miriam Neureuther, über ihre Essstörungen während der Sportkarriere. Kim Bui rutschte in eine Ess-Brech-Sucht, weil sie sich als Turnerin nicht dünn genug fühlte. Miriam Neureuther nahm auf Anraten ihrer Trainerin so lange ab, bis sie sich verletzte und dazu entschied, dem Abnehm-Wahn zu entkommen.
Weitere Sportlerinnen und Sportler bekannten sich zu ihrer Essstörung und machen Betroffenen damit Mut: Formel-1-Pilot Valterri Bottas, die französische Tennisspielerin Caroline Garcia und die Schweizer Biathletin Lena Häcki-Groß.
Was sind die Symptome einer Magersucht?
Betroffene sind aufgrund der fehlenden Energie oft müde und frieren. Es kann zu Herzrhythmusstörungen und Kreislaufproblemen kommen. Bei Frauen macht sich eine Magersucht vor allem im Ausbleiben der Menstruation bemerkbar. Bei Männern sinkt der Testosteron-Spiegel – eine deutlich weniger sichtbare Folge. Der Körper schaltet auf Sparmechanismen, weil ihm schlichtweg die Kraft für aufwendige Prozesse fehlt. „Es ist tatsächlich so, dass im hohen Profibereich die Menstruation gar nicht aufrechterhalten kann. Eben wegen des vielen Trainings und des geringen Gewichts“, sagt Isabelle Baumann, Bundestrainerin für die Langstrecke der Frauen.
Doch immer mehr Sportlerinnen wollen verhindern, dass ihre Menstruation ausbleibt. Zyklusbasiertes Training gewinnt mehr und mehr an Bedeutung und hilft Frauen, nicht gegen, sondern mit ihrem Körper zu arbeiten. Und damit erfolgreich zu sein. So spricht etwa die Trathletin und mehrfache Ironman-Siegerin Laura Philipp öffentlich über ihr zyklusbasiertes Training. Lange empfand sie, wie es typisch im Leistungssportbereich ist, ihre Menstruation als etwas lästiges. „Ich musste auch für mich diesen mentalen Switch hinbekommen, durch den ich eingesehen habe, dass ein funktionierender Zyklus das Zeichen eines gesunden Körpers ist, ein Vital-Zeichen für eine Frau, den man auch positiv für sich nutzen kann“, sagt sie in der NDR-Dokumentation „Der Zyklus-Faktor – Tabu und unterschätztes Potenzial“.
Weitere Alarmzeichen eines Energiedefizits bei einer Magersucht: häufige Infekte, fehlende Leistungssteigerung und Motivation im Training, verminderte sexuelle Lust, Erektionsstörungen und verminderter Bartwuchs bei Männern sowie eine erhöhte Anfälligkeit für Ermüdungsbrüche, weil die Knochendichte abnimmt. Die Haut kann trocken werden und jucken. Bei sehr starkem Untergewicht kommt es zur sogenannten „Lanugo-Beharrung“, ein zarter Flaum, der sogar im Gesicht auftritt. Auch zunehmende Vergesslichkeit, Konzentrationsprobleme oder Sprachstörungen können auftreten.
„Wenn die Periode bei der Frau ausbleibt, ist das kein Zeichen für tolles, hartes Training, sondern ein Warnsignal, dass etwas im Energiehaushalt absolut nicht stimmt“, sagt Petra Platen. Laut der Sportmedizinerin ist die Menstruation ein „Super-Zeiger“, um herauszufinden, ob ein Energiedefizit vorliegt.
Wie weitreichend sind die Folgen einer Magersucht?
Mittlerweile weiß man, dass die Schäden einer zu geringen Energiezufuhr über einen längeren Zeitraum irreparabel sein können, in manchen Fällen kommt es zur Unfruchtbarkeit. Auch in weniger gefährlichen Fällen kann es nach der Leistungssportkarriere mehrere Jahre dauern, bis sich der Hormonhaushalt wieder reguliert hat.
Die Folgen einer Magersucht können lebensbedrohlich sein. Unter den psychiatrischen Erkrankungen haben Essstörungen die höchste Sterberate bei Jugendlichen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts starben 2019 in Deutschland 65 Menschen aufgrund von Essstörungen – 45 an Magersucht, acht an Bulimie und zwei an sonstigen Essstörungen. Bei zehn Fällen war die Art der Essstörung nicht bekannt. Das Risiko, dass Betroffene an Magersucht sterben, ist fünfmal höher als bei gesunden Gleichaltrigen. Wer an einer Essstörung leidet, hat im Vergleich zu Menschen ohne Erkrankung ein erhöhtes Risiko, sich das Leben zu nehmen. Laut statistischem Bundesamt ist jeder fünfte Todesfall von Magersucht ein Suizid.
Sollte man bei Magersucht Sport machen?
Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten, denn ihre Antwort hängt vom individuellen Erkrankungsfall ab. In der akuten Erkrankungsphase gibt es Kliniken, die ihren Patientinnen und Patienten verbieten, sich in irgendeiner Form körperlich zu betätigen. Das kann hilfreich sein, um den totalen Zusammenbruch zu vermeiden, und den Kalorienverbrauch auf ein Minimum zu beschränken, bis die akute Lebensgefahr durch Gewichtszunahme nachlässt. Auch die Knochendichte spielt eine große Rolle, denn bei einer Magersucht haben Betroffene ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche, vor allem wenn sie Sport treiben.
Ist Lauftraining bei Magersucht gesund?
Laufen ist sehr gesund, im Falle einer Magersucht ist aber aufgrund der geringeren Knochendichte und des ohnehin sehr geringen Gewichts zunächst davon abzuraten. Es kann jedoch auch belastend sein, auf Sport verzichten zu müssen und ein totales Verbot führt meistens dazu, dass Betroffene heimlich Sport treiben. Bewegung kann bekanntlich auch bei psychischen Erkrankungen eine Wohltat sein, gerade weil Sport das Körpergefühl, das bei Essgestörten negativ ist, positiv beeinflussen kann. Auf keinen Fall darf jedoch exzessiv Sport getrieben werden. Längere Läufe und Tempoläufe sollten nur von gesunden Menschen absolviert werden.
Die Gefahr ist gegeben, dass auch der Sport zur Sucht werden kann, denn Magersucht geht oft einher mit einem Sportzwang, vor allem aufgrund der Tatsache, dass Sport eine Gewichtsabnahme unterstützen kann und Betroffene zumindest kurzweilig in ihrem Schlankheitsdruck beruhigt, wenn sie eine Sporteinheit absolviert haben. Es gibt Erkrankte, die sechs Stunden am Tag exzessiv Sport betreiben, soziale Kontakte sowie die Schule, Uni oder Arbeit vernachlässigen. Der gesamte Alltag richtet sich nach dem Training und der Diät. Das kann im schlimmsten Fall bedeuten, dass zum Gesund werden vorübergehend – oder für immer – ein gänzlicher Verzicht vom Sport vonnöten ist.
Andrea Petruschke, Psychotherapeutin für Essstörungen, erklärt: „So wie ein Alkoholiker nie wieder einen Tropfen Alkohol anrühren sollte, kann ein laufsüchtiger Mensch im schlimmsten Fall nie wieder laufen, um nicht rückfällig zu werden“. Die Psychotherapeutin, die in Freiburg die Praxis und Beratungsstelle „Durch dick und dünn“ leitet, betont jedoch, dass dies nicht in jedem Fall so sein müsse. „Es gibt Menschen, die ihren Sportzwang überwinden. Aber da muss man ganz genau hinschauen, inwiefern das Suchtzentrum im Kopf durch den Ausdauersport wieder getriggert wird“.
Einige können nach einer Therapie wieder Sport treiben, indem sie den Sport jenseits von Leistung mit einer neuen Motivation verknüpfen. Dabei werden im Gehirn neue Synapsen gebildet. Diese Umbildungen, so die Psychotherapeutin, schaffen im Nervensystem einen neuen Anker. „Zum Beispiel über die Sinneswahrnehmung: Wie gut riecht die Herbstluft, wenn ich durch den Wald jogge? Wie ist es, wenn ich meine Atmung spüre?“, erklärt Andrea Petruschke. So können Betroffene ein Wohlgefühl beim Sport schaffen, welches den Suchtkick ersetze.
Die Überwindung einer Magersucht und eines Sportzwangs ist mitunter so schwierig, weil sowohl Essen und Bewegung für ein gesundes Leben essenziell sind. Darauf zu verzichten, wie es im Fall einer Drogensucht gehandhabt wird, ist nicht möglich. „Das heißt, man braucht einen Neuzusammenhang, den man lernen muss, um Essen und Bewegung wieder in gesundem Maß in den Alltag zu integrieren“, so die Psychotherapeutin. Wichtig zu berücksichtigen ist, dass die Sportsucht bisher keinen Eintrag im Klassifikationssystem für psychische Störungen besitzt. Somit ist sie nicht als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt und wird eher als Begleiterscheinung anderer psychischer Erkrankungen eingeordnet.
Wie hilft Sport bei Magersucht?
Ein Forscherteam des Psychologen Ulrich Ebner-Priemer vom Karlsruher Institut für Technologie und der Psychosomatikerin Almut Zeeck von der Universität Freiburg sind in einer Studie der Sache näher auf den Grund gegangen. Sie wollten herausfinden, wie tägliche Bewegung und Sport eine Essstörung beeinflussen können.
29 Frauen in einem Durchschnittsalter von 26 Jahren, die an Magersucht oder Bulimie litten, sowie 35 gesunde Frauen wurden mit einem Bewegungssensor ausgestattet. Zusätzlich führten die Frauen ein elektronisches Tagebuch, in das sie ihre Stimmung vor und nach dem Sport eintrugen. Das durchschnittliche Ergebnis: Die Betroffenen fühlten sich nach dem Sport weniger unter Druck, abnehmen zu müssen, sie fühlten sich entspannter und hatten – zumindest kurzzeitig – ein positiveres Gefühl für sich und ihren Körper.
Trotzdem sind Sporteinheiten mit Vorsicht zu genießen, da eben genau diese positiven Gefühle, dazu führen können, dass Betroffene sie in übertriebenem Maße herbeiführen wollen. Wer stark untergewichtig ist, sollte zunächst mit Yoga und Pilates beginnen, Spazieren statt Joggen und entspannte Runden auf dem Rad drehen. Ausdauertraining in Form von Laufen, Schwimmen und Radfahren sollte zunächst noch nicht an erster Stelle stehen. Betroffene müssen lernen, Sport in einem kontrollierten Rahmen auszuüben und die Grenze zu erkennen, an der das Sportmaß zu viel und schädlich wird.
Wie bekämpfe ich Magersucht?
Grundsätzlich sollte man bei Essstörungen unbedingt ärztliche und psychologische Unterstützung suchen. Das empfiehlt auch Petra Platen Betroffenen dringlich: Sie rät im Fall einer Essstörung zu einer psychiatrischen Behandlung, „weil das in der Regel durch die Betroffenen allein nicht beherrschbar ist, womöglich entgleist und sogar bis zum Tod führen kann“.
Zunächst sollten sich Betroffene an ihren Hausarzt oder Kinderarzt wenden. Dort kann festgestellt werden, in welchem Stadium sich die Essstörung befindet und welche Therapie sich anbietet. In vielen Fällen reicht eine ambulante Therapie – manchmal bedarf es aber auch eines Klinikaufenthalts oder einer therapeutischen Wohngruppe. Beim Bundesfachverband Essstörungen gibt es zahlreiche Informationen und Adressen sowie einen „Quickcheck Essstörungen“, der schon mögliche Hinweise auf eine therapiebedürftige Störung geben kann. Der Bundesfachverband für Essstörungen ermöglicht, online nach freien Therapieplätzen zu suchen.
So können Außenstehende helfen
Die Betroffenen haben einen langen Leidensweg hinter sich, dessen Ausmaße Außenstehende oft kaum begreifen können. Familienmitglieder oder enge Freunde können trotzdem helfen, nicht zuletzt durch Zuhören. Laut Psychotherapeutin Andrea Petruschke sollte man mit der Kommunikation dranbleiben, aber penetrantes Nachfragen vermeiden. Denn das könnte zu Abwehr und Abstumpfung führen. Weitere Verhaltenstipps finden Angehörige bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Fazit: Magersucht im Sport ist keine Seltenheit
Magersucht und Sport hängen oft zusammen. Betroffene nutzen den Sport, um ihren Schlankheitsdruck zu mildern, gleichzeitig soll der Sport dazu führen, weiter abzunehmen. Auch die positiven Gefühle, die durch ein Training herbeigeführt werden, können einen Sportzwang befeuern.
Im Profibereich liegt die Ursache eines extremen Untergewichts zunächst nicht bei psychosomatischen Gründen, wie es bei vielen Betroffenen, die nicht beruflich im Sportbereich tätig sind, der Fall ist. Jedoch kann der Druck, der auf den Profis lastet, etwa weil sie einem bestimmten Ideal entsprechen, oder extrem schlank sein müssen, weil dies zunächst zu besserer Leistung zu führen scheint, sich ebenso in eine Sucht verlagern.
Gleichermaßen kann moderates Training auch ein Segen für Erkrankte sein. Das Training sollte aber weniger für den sportlichen Ehrgeiz und auf keinen Fall zum Abnehmen, als zur Entspannung und für ein positiveres Selbstbild, genutzt werden. Wer nach Magersucht und Sportzwang wieder sportlich aktiv sein möchte, sollte sich so oder so unbedingt ärztliche Unterstützung und psychologische Hilfe suchen. In den meisten Fällen ist es nur so möglich, gesunde Grenzen für den eigenen Körper neu zu erlernen und in einem angemessenen Maße Sport zu treiben.