Interview
Ein Lauf mit ... Isabel Bogdan

Ihr unterhaltsamer, amüsanter Debütroman war gleich ein Bestseller. Im Interview erklärt die Autorin, warum der Nachfolger alles andere als eine leichte Komödie ist.
Foto Isabel Bogdan
Foto: Marcus Vogel

Bogdans Erstling „Der Pfau“ war eine, wie sie selbst sagt, „fluffige“ Komödie mit schrulligen Figuren und wohlgesetzten Pointen. Mit ihrem zweiten Roman versucht die Autorin nun etwas ganz anderes. Wie sie im folgenden Interview erklärt, wollte sie vermeiden, in eine Schublade für nette, aber harmlose Urlaubslektüre gesteckt zu werden, und wählte daher ein ernstes Thema, das ihr die Gelegenheit bot, ihr ganzes schriftstellerisches Können zu zeigen. Wir haben Isabel Bogdan in Hamburg zum Interview getroffen und mit ihr über das Schreiben und das Laufen, aber auch über ihren eigentlichen Hauptberuf, das Übersetzen, gesprochen.

RUNNER'S WORLD: Dein Hauptberuf ist ja eigentlich Literaturübersetzerin.

Isabel Bogdan: Ja, seit 20 Jahren mache ich das. Ich habe am Anfang Sachbücher gemacht, populäre Ratgeber und Jugendsachbücher. Und dann kam irgendwann mehr oder minder zufällig der erste Belletristik-Auftrag. Und da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Ehrgeiz entwickelt und gedacht: Das ist es, was ich in meinem Leben machen möchte.

Wie und wann kam die Schriftstellerei dazu?

Das kam relativ spät. Im Frühjahr 2016 ist der „Pfau“ erschienen. Man wird als Übersetzerin eigentlich andauernd gefragt: Willst du nicht auch selbst schreiben? Ich glaube, die allermeisten hassen diese Frage, weil immer ein bisschen mitschwingt, dass das Übersetzen eine Art Schreiben zweiter Klasse ist, etwas für diejenigen, die das richtige Schreiben nicht auf die Reihe kriegen. Aber so ist es ja nicht. Es ist einfach eine andere Arbeit. Und ich glaube, dass sich das gegenseitig sehr befruchten kann und dass es für Übersetzer gut ist, gelegentlich mal selbst etwas zu schreiben, einfach um sich von der Vorlage zu befreien. Ich habe einfach angefangen und dachte, du versuchst es jetzt mal, ob du es hinkriegst, einen Roman zu schreiben. Scheitern kannst du immer noch.

Wie war es, plötzlich so einen Erfolg zu haben?

Das war schon geil. Aber ich habe im Leben nicht damit gerechnet. Ich bin lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie unwahrscheinlich es ist, dass so etwas passiert. Ich war dann erst mal monatelang auf Lesereise und hatte die ganze Zeit das Gefühl, ich komme überhaupt nicht mehr zum Arbeiten, bis ich endlich kapiert habe, dass das jetzt meine Arbeit ist und dass es auch Arbeit ist, in der Bahn zu sitzen und in die nächste Kleinstadt zu fahren und auf dem Weg dorthin einfach stumpf aus dem Fenster zu glotzen.

Dein erster Roman, „Der Pfau“ ist eine eher leichte Komödie. War es dir ein Anliegen, danach etwas Ernsteres vorzulegen?

Ja. Am Anfang haben natürlich ein paar Leute gesagt: Das ist nicht das, was deine Fans wollen. Aber ich hatte einfach keine Lust, mich in eine Schublade hineinzubegeben. Ich glaube, wenn ich jetzt wieder so eine fluffige Komödie nachgelegt hätte, dann wäre ich da nur sehr schwer wieder rausgekommen.

Was hat dich auf das Thema Laufen gebracht?

Ich hatte vor Jahren schon mal eine Kurzgeschichte geschrieben, die auch „Laufen“ hieß und denselben Ton hatte – dieses sehr Schnelle, Laufende, Rhythmische, mit vielen Kommas und wenig Punkten. Ich mochte den Sound, dieses Atemlose, und wollte das mal auf die lange Strecke versuchen. Aber in der Geschichte war der Lebensgefährte der Hauptfigur einfach weg. Sie wusste nicht genau, warum, und er wahrscheinlich auch nicht. Da ist einfach die Liebe zu Ende, und sie läuft sich das von der Seele. Aber ich dachte, wenn ich das auf der langen Strecke mache, dann ist mir eine Trennung nicht genug. Ich wollte etwas Existenzielleres.

Ich habe dann eine Weil rumüberlegt, und dann hat sich tatsächlich ein Bekannter von mir das Leben genommen. So etwas erwischt einen natürlich. Der hatte eine Frau und zwei kleine Kinder, die er selbstverständlich sehr geliebt hat. Und ich habe mich gefragt: Wie kann eine Familie mit so etwas überhaupt einen Umgang finden? Ich glaube, wenn sich jemand das Leben nimmt, dann macht man sich selbst wahnsinnige Schuldgefühle, weil man immer meint, man hätte es verhindern müssen, können oder sollen, man hätte es merken müssen. Hat man aber nicht. Und das ist glaube ich etwas, womit man nicht fertig werden kann. Das wird bleiben.

Und welchen Weg hast du gewählt, um das literarisch darzustellen?

Was im Buch beschrieben ist, ist das zweite Jahr. Ich fand es ist nicht plausibel, wenn einem so etwas passiert, dass man sofort sagt: Ich muss das verarbeiten, ich laufe jetzt mal. Durch das allertiefste Loch ist sie also schon durch und fängt dann an zu laufen. Aber ihr ist natürlich schon klar, dass sie auch wegläuft. Und man begleitet sie durch dieses zweite Jahr, und im Laufe dieses Jahres wird es ein bisschen besser.

Welche Rolle spielt das Laufen für deine Hauptfigur in der Bewältigung?

Also, ihr ist am Anfang schon klar, dass sie auch wegläuft – oder es versucht. Und natürlich ist ihr genauso klar, dass sie eigent­lich nur eine Runde läuft und dann wieder zu Hause ist. Weglaufen funktioniert nicht, man kommt immer wieder bei sich an. Sie versucht also beim Laufen so ein bisschen ihre Gedanken zu sortieren. Nachdem sie jahrelang nicht gelaufen ist, ist sie aber auch einfach froh, dass sie dabei gedanklich eigentlich nur mit ihrem Körper beschäftigt ist: ob sie noch kann, wie weit sie noch kann, ob ihr etwas wehtut und so weiter. Und nach und nach, während sie fitter wird, werden auch ihre Gedanken weniger abgehackt. Am Anfang springt sie noch sehr von einem zum anderen und am Ende schafft sie es, auch mal längere Gedankengänge zu verfolgen, die sie aber alle natürlich immer wieder auf ihr Thema zurückbringen. Ich glaube, dass Trauer oder wahrscheinlich jede starke Emotion immer auch etwas Körperliches ist. Es ist sozusagen eine körperliche Arbeit, die nach innen passiert. Und wenn man die nach außen bringt, indem man sich auspowert ... Das entspannt einfach.

Foto Isabel Bogdan
Marcus Vogel
Isabel Bogdan an der Hamburger Außenalster

Wann hast du selbst mit dem Laufen angefangen?

Laufen ist tatsächlich die eine Sportart, die ich quasi schon immer mache – nicht durchgehend, schon immer mal mit Pausen, aber ich glaube mit 14 oder so, da hatten wir so eine kleine Laufgruppe. Ich war in der Schule immer gut in den ganzen Mittel- und Langstreckenläufen und im Sprung, also Weitsprung und Hochsprung, aber alles mit Bällen konnte ich überhaupt nicht.

Hast du es auch mal ambitioniert betrieben in irgendeiner Weise? Warst du mal im Verein?

Nein, es war eigentlich immer eher hobbymäßig, um nicht völlig einzurosten.

Und was gibt dir das Laufen – warum läufst du?

Weil meine Arbeit daraus besteht, auf meinem Hintern zu sitzen und mich nicht zu bewegen. Ich merke, dass ich dadurch total unfit und unbeweglich werde. Wenn ich irgendwo im zweiten Stock ankomme und außer Atem bin, das ist kein Zustand. Das soll nicht so sein. Außerdem finde ich, dass man beim Laufen tatsächlich sehr bei sich ist. Ich höre auch keine Musik und keine Hörbücher beim Laufen. Das machen ja viele, und ich kann das nicht gut, weil ich meine Umgebung wahrnehmen will, und wenn mich ein großer Hund überholt, dann möchte ich den vorher gehört haben. Das ist die Dreiviertelstunde oder Stunde, wo ich auch nicht aufs Handy gucke und mit niemandem rede und wo ich wirklich nur mit mir und meinem Körper beschäftigt bin.

Das klingt, als würdest du vorzugsweise allein laufen.

Ja, normalerweise laufe ich allein. Gelegentlich mit meinem Mann, aber der ist irgendwie fitter und stärker als ich, und da habe ich immer das Gefühl, er bremst sich, wenn er mit mir läuft, und das zieht mich dann mit. Aber eigentlich ist es besser, wenn ich langsamer laufe. Ich kann auch nicht gut sprechen beim Laufen. Man sagt ja immer, dann läufst du zu schnell. Man muss immer so laufen, dass man sich noch gut dabei unterhalten kann. Und wahrscheinlich stimmt das: Ich bin meistens zu schnell gelaufen. So vor zwei Jahren bin ich ein paarmal mit einer Freundin gelaufen, und die lief noch viel langsamer als ich. Und da habe ich gemerkt, das ist gut! Man kann reden! Ich kann viel länger! Man muss wirklich noch viel langsamer laufen.

Und wie oft läufst du, mal abgesehen von diesem Jahr?

Zwei-, dreimal die Woche, das wäre eigentlich das, was ich gern machen würde. Zweimal reicht im Prinzip. Und dann so sieben Kilometer, eine Dreiviertelstunde, das ist meine Runde.

Interview: Heinrich Anders

Hamburg, September 2019

„Laufen“ ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Nach der offiziellen Premiere am 1. Oktober im Literaturhaus Hamburg geht Bogdan mit dem Buch auf Lesereise durch ganz Deutschland. Termine: www.isabelbogdan.de/lesungen

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