Haile Gebrselassie im Interview

Olympia im Blick
„Mit dem Schuh wäre ich unter 2:00 Stunden gelaufen“

Veröffentlicht am 24.04.2024
Haile Gebrselassie
Foto: adidas

Haile Gebrselassie wurde zweimal Olympiasieger über 10.000 Meter (1996, 2000), von 1993 bis 2001 wurde er zehnmal Weltmeister (10.000 m, Halle, Halbmarathon) und stellte 27 Weltrekorde auf. Er prägte eine Ära im Langstreckenlauf und galt vor Eliud Kipchoge als der beste Langstreckenläufer aller Zeiten. Unvergessen sind seine beiden Marathon-Weltrekorde, die er in Berlin 2007 und 2008 lief (2:04:26 h, 2:03:59 h). Heute ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann und engagiert sich im äthiopischen Leichtathletik-Verband. Ein Läuferleben lang blieb er seinem Ausrüster Adidas treu und dies war auch der Grund, dass Adidas ihn jetzt zur Vorstellung seiner Team-Bekleidung für die Olympischen Spiele in Paris nach Paris einlud. Denn neben dem deutschen Team stattet Adidas 14 weitere Länder bei den Olympischen Spielen mit der offiziellen Team-Bekleidung aus, unter diesen auch Haile Gebrselassies Heimatland Äthiopien.

Wir sitzen hier an deinem 51. Geburtstag in Paris und du hast soeben der Präsentation der offiziellen Bekleidung der Teams, die Adidas für die Olympischen Spiele ausstattet, beigewohnt. Ein guter Geburtstag oder hättest du heute lieber etwas anderes gemacht?

Ganz ehrlich, was gibt es Schöneres, als mit so vielen inspirierenden Menschen, darunter einigen der besten Athleten der Welt, seinen Geburtstag zu feiern. Alle, die hier sind, verstehen etwas von dem Thema, das mich am meisten bewegt: dem Sport. Ja, ich bin stolz, dass ich an meinem Geburtstag hier sein darf.

Wie hat dir das Design der Bekleidung gefallen?

Sehr gut. Ich finde speziell gelungen, dass eine Flamme beziehungsweise das Feuer als zentrales Element in allen Kollektionen verwendet wurde. Das ist ein Symbol der Olympischen und Paralympischen Spiele, aber auch ein Symbol für das Feuer, dass in allen Athletinnen und Athleten brennt, die sich für die Spiele qualifiziert haben und diese Bekleidung dann tragen.

Würdest du selber gerne noch einmal an den Olympischen Spielen teilnehmen?

Ja und nein. Eigentlich kann man davon nie genug bekommen. Sie sind der Höhepunkt in einer Athletenkarriere, aber andererseits habe ich meine olympischen Höhepunkte gehabt und sind sie kaum noch zu toppen …

Läufst du eigentlich noch regelmäßig? Wie sieht deine Laufroutine aus?

Ich laufe noch, natürlich, in der Regel aber nur noch einmal am Tag. Unter der Woche immer morgens, denn mein Schlaf endet automatisch morgens um fünf Uhr, das ist dann eben auch die beste Zeit, um zu laufen. Meist acht bis zehn Kilometer und diese überwiegend auf dem Laufband zu Hause in meinem Fitnessstudio. Am Wochenende versuche ich aber in der Natur zu laufen und da dann bis zu zwanzig Kilometer.

Wenn du alles geben müsstest, was könntest du aktuell wohl noch über zehn Kilometer laufen? Unter 40 Minuten?

Mit den neuesten Adidas-Schuhen? Unter 40 Minuten? Das ist langsam. Ich denke, dass ich 35 Minuten laufen kann.

Du trainierst also weiter systematisch? Mit Intervalltrainings und ähnlichem?

Nein, gar nicht, ich laufe immer entspannt. Aber ein Athlet, der mal 26:22,75 Minuten über 10.000 Meter laufen konnte (Anm.: 1998 in Hengelo/NED, das war ein Weltrekord), der kann natürlich auch mit 51 Jahren noch zehn Minuten langsamer laufen.

Du hattest eine lange, einzigartig erfolgreiche Karriere, aber wenn du das eine absolute Karriere-Highlight benennen musst, welches ist es?

Die olympische 10.000-m-Goldmedaille in Sydney 2000. Es gibt viele Gründe, aber der entscheidende ist, dass dieses 10.000-m-Rennen und das Duell mit Paul Tergat einzigartig waren. Am Schluss trennten uns nur 0,09 Sekunden, das war ein knapperes Finish als das beim 100-m-Finale und ich lief die letzten 200 Meter in 25 Sekunden. Und damals ging dem 10.000-m-Finale auch noch ein Vorlauf voraus, ich musste mir den Sieg wirklich hart erkämpfen …

Heute laufen die Weltklasseathleten schneller als du damals. Die Gründe sind bekannt, die neuen Spikes und Schuhe und die neue Ernährung bedingen das. Neidest du das diesen Athleten?

Nein, natürlich nicht. Trotzdem hätte ich gerne auch unter diesen Bedingungen und mit diesem Material meine beste Zeit gehabt. Aber ich habe zu meiner besten Zeit auch immer demütig zurückgeschaut auf die Athleten, die wiederum vor mir Erfolg hatten. Die hatten nicht die Chancen, Ausrüstung etc., die ich hatte. Abebe Bikilia wurde 1960 barfuß Olympiasieger, weil die Schuhe, die es damals gab, nicht besser waren als Barfußlaufen. Die heutige Läuferinnen-, Läufer-Generation hat einzigartige Chancen, die müssen sie nutzen.

Aber die Frage muss gestellt werden: Wie schnell wärest du mit dem Weltrekordschuh Adidas Adizero adios Pro Evo 1 gelaufen?

Mit dem Schuh 2007/2008, als ich in bester Form war? Mit dem Schuh wäre ich unter 2:00 Stunden gelaufen!

Darf ich das so schreiben?

Natürlich. Und ich sage auch, warum ich das glaube: Ich war über 1.500, 3.000, 5.000, 10.000 Meter schon damals so schnell, wie die heutigen Topläufer – und schneller. Der Weltrekordler Kelvin Kiptum (Anm.: Kiptum verstarb am 11.2.2024 bei einem Autounfall) ist den direkten Weg auf die Straße gegangen und hat dennoch, dank des neuen Materials, den Weltrekord bis auf 2:00:35 Stunden gedrückt. Und außerdem wissen wir ja inzwischen, dass man, was den Laufstil angeht, mehr oder weniger gut zu der neuen Schuhtechnologie passt – und mein Laufstil passt perfekt zu den Schuhen. Das spüre ich nicht nur selbst, sondern das sagen auch die Wissenschaftler und Schuhentwickler, die sich mit dem Thema beschäftigen.

Das heißt, du läufst die neuen Adidas-Carbonschuhe auch?

Ich laufe die unterschiedlichsten Modelle, auch die neuen Carbonschuhe. Und ich kann sagen, der Unterschied zwischen einem normalen Adidas-Laufschuh und einem Adidas-Carbonschuh ist groß, sehr, sehr groß.

Ich erinnere mich, dass du am Abend vor dem Berlin-Marathon 2008 das erste Modell aus der Adidas-Adizero-Linie bekamst, damals natürlich ohne Carbonelement, ihn im Hotelflur getestet hast, und spontan entschieden hast, damit am nächsten Tag zu laufen. Das Ergebnis war ein Weltrekord …

Exakt. So war es. Und weißt du, ich habe diese Schuhe aus der Zeit noch und wenn du die heute anziehst und mit den neuen Modellen vergleichst, dann spürst du, was für ein großer Unterschied das ist.

Wir sitzen hier in Paris. Wirst du zu den Olympischen Spielen wiederkommen und welche Wettbewerbe möchtest du da auf keinen Fall verpassen?

Es liegt auf der Hand, dass ich mir die Marathons und 10.000-m-Rennen unbedingt anschauen möchte. Das werde ich mir nicht entgehen lassen.

Wer ist dein Favorit im Marathon der Männer?

Eliud Kipchoge.

Wirklich?

Ja. Er ist extrem diszipliniert und fokussiert und hat extrem viel Erfahrung. Das macht den entscheidenden Unterschied bei Olympischen Spielen.

Wir werden es sehen. Danke für das Interview!