RW-Interview
"Der richtige Zeitpunkt ist jetzt"

Ultra Trail-Legende Scott Jurek über mentale Strategien, Veränderungen in der Trail-Szene und die richtige Musik beim Laufen.
"Der richtige Zeitpunkt ist jetzt"
Foto: Brooks Running

Scott Jureks Erfolgsliste ist lang und nicht weniger beeindruckend. Der US-Amerikaner gilt als einer der erfolgreichsten Ultra-Trailläufer der Welt. Nur ein kleiner Auszug aus seiner Laufhistorie: Sieben aufeinanderfolgende Siege beim Western States 100, drei Siege beim 246 Kilometer-Rennen Spartathlon, und zwei Siege beim als härtestes Ultra-Rennen der Welt betitelten Badwater Ultramarathon in der sengenden Hitze des Death Valley. 2015 legte er den 3.523 Kilometer langen Appalachian Trail im Osten der USA in nur 46 Tagen zurück – und stellte damit einen neuen Rekord auf.

Seit dem Ende seiner Elite-Karriere nutzt Scott Jurek sein Wissen und seine Erfahrung als Sprecher, Autor und Lauf-Botschafter. Wir trafen die Ultra-Legende auf Gran Canaria im Rahmen des Brooks Trail Summit. Hier sprachen wir am Rande der Strecke der 45 Kilometer-Distanz der Trans Gran Canaria-Reihe, unterbrachen die Unterhaltung immer wieder, um passierende Läufer und Läuferinnen am Brooks-Cheering-Point anzufeuern – und unterhielten uns über Trails, die Extreme und mentale Strategien.

Runner’s World: Hier auf Gran Canaria bist du 2014 selbst den Trans Gran Canaria gelaufen. Deine Laufkarriere hat dich aber noch an zahlreiche andere Orte geführt – ist dir einer besonders in Erinnerung geblieben?

Scott Jurek: Durch das Laufen durfte ich schon so viele Orte sehen, dass ich mich kaum für einen entscheiden könnte. Die Alpen spielen aber ganz weit vorne mit, genauso wie Polen. Hier lief ich mit ganz besonderen Menschen und mit toller Stimmung. Jede Location bringt eine andere Atmosphäre mit sich – und alles steht und fällt mit den Leuten, die man trifft.

In deiner Karriere hast du so einige „dicke Brocken“ des Traillaufens bezwungen. Lange Ultras unter besonders schwierigen Bedingungen. Warum reizen dich gerade diese Extreme?

Mir geht es vor allem um eine Art innere Reise. Ich lege nicht nur eine physische Strecke zurück, sondern erreiche auch mental Orte, die ich ohne Extreme nicht entdecken würde. Dazu gehört das, was viele Läufer als „Pain Cave“ bezeichnen, aber auch so viele andere Emotionen – sie bringen mich allesamt voran. Beim Ultra werden der Körper und der Geist gleichzeitig auf die Probe gestellt – es geht darum, die Grenzen des Möglichen immer weiter zu treiben.

Ich denke, dass Menschen oft Gewohnheitstiere sind und Unbekanntes eher vermeiden. Eigentlich widerspricht es unserem Instinkt, sich der Extreme auszusetzen. Aber erst, wenn wir uns außerhalb von ausgetretenen Pfaden bewegen, machen wir außergewöhnliche Erlebnisse. Eine persönliche Herausforderung muss dabei nicht immer ein Ultra sein – sie startet dort, wo wir die eigene Komfortzone verlassen.

Kann man also lernen, die Härte des Ultras zu genießen?

Ja, man lernt definitiv, die Herausforderungen anzunehmen und sie nicht mehr als etwas rein Unangenehmes wahrzunehmen. Ich habe mir schon oft während Rennen gedacht, wie gerne ich jetzt zu Hause wäre. Aber letztendlich habe ich durch all die Schwierigkeiten beim Ultra immens viel gelernt.

Brooks Running
Inzwischen ist Scott Jurek, wenn er nicht gerade Zeit mit seiner Familie verbringt oder läuft, als Sprecher und Laufbotschafter unterwegs.

Was ist deine mentale Strategie, wenn es hart wird?

Ich denke, es ist sehr wichtig, Emotionen und Schmerz erst einmal zuzulassen. Es ist wichtig, all dies wahrzunehmen – aber nicht zu lange dabei zu verweilen. Es muss einen Punkt geben, an dem das Problemlösen beginnt. Was kann ich tun, um es mir leichter zu machen?

Für mich ist es immer hilfreich, das große Ziel in kleinere Zwischenziele zu zerteilen. Anstatt an die 50 Kilometer zu denken, die noch vor mir liegen, konzentriere ich mich zunächst auf den nächsten Versorgungspunkt, die nächste Wegkreuzung – oder einfach auf den nächsten Schritt. Außerdem bringt mich der Fokus auf einen gleichmäßigen Atem zur Ruhe.

Als ich versuchte, den Appalachian Trail so schnell wie noch niemand vor mir zu beenden, wusste ich, dass ich täglich 80 Kilometer laufen musste [das Ganze übrigens mit einer Oberschenkelverletzung an einem und einer Knieverletzung am anderen Bein, Anm. der Redaktion]. Da kommt immer wieder der Gedanke hoch: Warum tue ich mir das eigentlich an? Es scheint dann keinen Ausweg zu geben. Die Sache ist: wer es schafft, in solchen Momenten trotzdem Lösungswege und positive Gedanken zu finden, der kann auch weiterlaufen. Was ich immer im Kopf behalte: Wie fühlt es sich an, ins Ziel zu kommen? Und schließlich kann Musik meinen Körper immer wieder in Bewegung bringen.

Welche Art von Musik hörst du beim Laufen?

Eine ziemlich bunte Mischung – mal ist es Rage Against the Machine, Elektronik, Hiphop, und manchmal sogar Chanting. Was wichtiger als die Art der Musik ist: Der Beat muss zum Lauftempo und zum aktuellen Rhythmus passen. Auf dem Trail höre ich aber oft auch gar keine Musik, um meine Umgebung ungefiltert wahrzunehmen und mich auf meine Technik zu konzentrieren.

Stimmt es, das Laufen nicht immer dein Lieblingssport war?

Richtig, früher habe ich das Laufen eigentlich sogar gehasst. Ich betrieb Nordic Skiing und Cross Country Skiing und lief nur, um mich für das Ski-Training körperlich fit zu halten. Aber ich war schon immer gerne draußen, im Wald oder beim Fischen. Erst als ich auf Trails lief, verliebte ich mich so richtig in den Laufsport, da ich mich hier der Natur sehr verbunden fühlte.

Du hast eine 20-jährige Laufkarriere auf Trails hinter dir. Beobachtest du einen Wandel in der Szene?

Früher war das Traillaufen etwas für „Freaks“, die Community war klein. Wer 100 Meilen am Stück lief, erntete hauptsächlich schräge Blicke. Inzwischen ist das Traillaufen – zum Glück – zugänglicher für mehr Menschen, die sich gerne in der Natur bewegen. Die Community ist stark gewachsen. Während das Traillaufen von außen betrachtet durchaus immer wieder Änderungen durchmacht, bleibt das der Kern: Menschen zusammenbringen und mit der Natur verbinden.

Welchen Rat würdest du Läuferinnen und Läufern geben, die sich an ihre ersten Ultra-Distanzen wagen möchten?

Mein wichtigster Rat ist: Nicht zögern. Man kann erstaunlich viel Zeit mit Grübeln verbringen, ob man es jemals schafft, einen Ultra zu laufen. Natürlich ist ein fundiertes Training Teil des Ganzen, außerdem muss man lernen, richtig zu essen. Aber im Grunde geht es um die Entscheidung, ab heute Richtung Ziel zu gehen. Wenn es etwas gibt, was du gerne machen würdest, und du fragst dich, ob du dazu im Stande bist: Mach es. Der richtige Zeitpunkt ist immer jetzt.

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