Marathon unter 2:00 Stunden
Läuft Eliud Kipchoge den Marathon unter 2:00 Stunden?

Am Samstagmorgen will Marathon-Weltrekordler Eliud Kipchoge in Wien als erster Mensch den Marathon unter zwei Stunden laufen. Die Rennbedingungen entsprechen aber nicht den offiziellen Regeln.
The INEOS 1:59 Challenge
Foto: The INEOS 1:59 Challenge

Eliud Kipchoge wird es am Samstagmorgen, 12. Oktober, Startzeit 8.15 Uhr, in Wien wieder versuchen: er will als erster Mensch einen Marathon unter 2:00:00 Stunden laufen. Gesponsort wird das Projekt, das unter dem Namen „Ineos 1:59 Challenge“ firmiert, vom englischen Milliardär Jim Ratcliffe und seinem Unternehmen Ineos. Der Brite nutzt sportliche Promotions um sein Markenprofil zu schärfen und stieg zuletzt auch mit seiner Firma in den Profi-Radsport ein. Aber auch wenn das Projekt am Samstag erfolgreich sein wird und der 34-jährige Eliud Kipchoge unter zwei Stunden bleibt, wird das Ergebnis nicht in die Rekordlisten eingehen, denn die Bedingungen, unter denen der Kenianer startet, sind nicht Regel-konform.

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Wird Eliud Kipchoge am Samstag den Marathon unter 2:00 Stunden laufen?
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Kipchoge selbst hält den aktuellen Marathon-Weltrekord, im letzten September in Berlin verbesserte er die alte Marke seines Landsmanns Dennis Kimetto (2:02:57 h, Berlin 2014) um sagenhafte 1:18 Minuten auf 2:01:39 Stunden, aber war zuvor auf der Marathondistanz auch schonmal schneller: Bei einem ähnlichen Retortenrennen, wie es jetzt am Samstag in Wien steigt, lief er im Mai 2017 in Monza/Italien, auf der dortigen Formel-1-Strecke, 2:00:25 Stunden und kam der 2:00-h-Barriere schon gewaltig nahe. Aber auch schon diese Zeit hatte kaum einer für möglich gehalten.

Das sagen die Experten

Eliud Kipchoge zeigte sich bei einer Pressekonferenz in Wien zuversichtlich, dass er die Traumzeit bei der „Ineos 1:59 Challenge“ erreichen wird. Unser Mitarbeiter Jörg Wenig (Race News Service) hat sich umgehört und einige Experten - aktuelle und ehemalige Topläufer - gefragt, ob sie dem kenianischen Olympiasieger und Weltrekordler zutrauen, tatsächlich unter zwei Stunden zu laufen:

Paula Radcliffe (britische Marathon-Weltrekordlerin, deren globale Bestzeit von 2:15:25 Stunden seit über 16 Jahren unangetastet ist): „Also ich glaube, wenn es einer schaffen könnte, ist es Eliud. Ich sehe keinen anderen. Es sind jetzt natürlich schon viele sehr harte Marathonrennen, die Eliud voll gelaufen ist. Ich denke aber auch, dass das gesamte Team von dem Versuch in Monza gelernt hat. Die Dinge, die dort geklappt haben, werden beibehalten, die Schwachpunkte dagegen deutlich verbessert. Das betrifft hauptsächlich das Publikum und die Unterstützung. Es wird jetzt eine viel bessere Atmosphäre für die Läufer herrschen. Vielleicht ist auch die Verpflegung noch einmal verbessert worden. Zudem werden in Wien viel mehr Tempomacher laufen, die viel besser vorbereitet sind.“

Arne Gabius (deutscher Marathon-Rekordler mit einer Zeit von 2:08:33 Stunden, die er 2015 in Frankfurt gelaufen ist): „Ich glaube, Eliud wird es schaffen. Die Erfahrung von vor zwei Jahren in Monza wird ihm helfen. Zudem gab es damals praktisch keine Zuschauer. In Wien ist die Strecke dagegen für alle zugänglich, das wird besser. Hinzu kommt, dass Eliuds Leistungsfähigkeit noch einmal etwas stärker ist als vor zwei Jahren. Und er ist natürlich top vorbereitet, ansonsten würde er nicht laufen. Ich denke, er wird die zwei Stunden sogar recht deutlich unterbieten und tippe auf 1:59:15.“

Irina Mikitenko (deutsche Marathon-Rekordlerin mit einer Zeit von 2:19:19 Stunden, die sie 2008 in Berlin erreicht hat): „Ich wünsche Eliud sehr, dass er es schafft. Denn er ist ja schon einmal so knapp gescheitert. Nach dem ersten Versuch, weiß er besser wie es gehen kann. Und wenn er jetzt einen Zweiten startet, zeigt das in meinen Augen, dass er sich sicher ist, dass er die Barriere durchbrechen wird. Ich glaube deswegen, dass Eliud in Wien unter zwei Stunden laufen wird - aber ich kann keine Zeit vorhersagen.“

Peter Herzog (österreichischer Top-Marathonläufer, der sich vor kurzem in Berlin auf 2:10:57 Stunden steigerte und damit die Olympia-Norm unterbot): „Die für einen 1:59-Marathon nötige sportliche Leistung ist für mich fast unvorstellbar. Eliud läuft den Kilometer in 2:50 Minuten, ich in 3:06. Es fasziniert und motiviert mich aber enorm. Der Fokus von Eliud und seine mentale Stärke sind ein Vorbild in jeder Hinsicht. Man darf sich keine Limits setzen, das ist am Wichtigsten. Alle in der Laufszene sind extrem gespannt darauf, was in Wien passieren wird. Als beim Berlin-Marathon die anderen Topläufer gemerkt haben, dass ich aus Österreich bin, haben sie sofort gesagt: ,Ah, Kipchoge, Vienna, 1:59!’ Ich tippe, dass Eliud 1:59:57 laufen wird.“

Martin Grüning (früherer deutscher Top-Marathonläufer mit einer Bestzeit von 2:13:30 und heutiger Chefredakteur der deutschen Ausgabe der Zeitschrift Runner’s World): „Ich habe vor Monza nur auf 2:02:20 Stunden getippt und wurde eines Besseren belehrt. Diesmal tippe ich auf 1:59:49 Stunden! Eliud ist um die Monza-Erfahrung und weitere Marathon-Erfahrungen, unter anderem einen echten Weltrekord, reicher, außerdem ist das Schuh-Material nochmals verbessert beziehungsweise optimiert worden.“

Jos Hermens (früherer holländischer Weltklasseläufer und seit Jahrzehnten Manager zahlreicher Topathleten, darunter Eliud Kipchoge): „Wir haben drei Dinge gelernt aus Monza, die wir jetzt anders machen werden: Die Luftfeuchtigkeit war am Renntag zu hoch, Eliud hatte eine etwas zu geringe Kohlehydrat-Zufuhr über seine Getränke und es gab keine Zuschauer. Das wird in Wien anders sein, zudem laufen die Tempomacher in einer anderen Formation. Wir haben das im Windkanal getestet. Die Psyche spielt natürlich auch eine große Rolle. Eliud war in Monza schon dicht dran, es fehlten 26 Sekunden. Zudem ist er inzwischen ein noch besserer Läufer. Natürlich ist auch Eliud keine Maschine, aber ich denke, er wird 1:59:40 laufen.“

Das hat man in Wien vorbereitet…

Kipchoge wird der einzige Läufer sein, der am Samstag die Marathondistanz durchläuft, gestartet wird auf der Wiener Reichsbrücke und nach einer 1,2 Kilometer langen Startpassage Richtung Prater, wird er dort in der grünen Lunge der österreichischen Hauptstadt achtmal die 4,3 Kilometer lange Hauptallee hin und zurück laufen, sowie an den Enden jeweils das Lusthaus bzw. den Praterstern umrunden. Für runde 150.000 Euro wurde der Belag der Hauptallee für das Unternehmen 1:59 erneuert, die Kurven an Lusthaus und Praterstern sogar leicht erhöht und Kipchoge wird von 41 wechselnden Tempomachern begleitet.

… und deshalb wird das Ergebnis nicht gewertet

Zu den Tempomachern, die jeweils rotierend ins Rennen ein- und aussteigen, was nicht den Regeln entspricht, und die Kipchoge Windschatten geben sollen, gehören einige der namenhaftesten Läufer der Welt: Äthiopiens Selemon Barega, der aktuelle 5000-m-Silbermedaillengewinner der Weltmeisterschaften in Doha, wird dabei sein, Ugandas Ronald Musagala, zweifacher Diamond League-Sieger über 1500 m, 1500-m-Olympiasieger Matt Centrowitz aus den USA und angeblich auch die derzeit so populären Ingebrigtsen-Brüder aus Norwegen. Vorweg fährt ein Pacing-Car, welches vermutlich ebenfalls Windschatten gibt und das entsprechende Tempo vorgibt, auch das ist offiziell nicht erlaubt. 2:50,5 Minuten muss Kipchoge pro Kilometer laufen, um sein Ziel zu erreichen, das sind jeweils 28:25 Minuten über zehn Kilometer und das viermal direkt hintereinander. In Deutschland war in diesem Jahr überhaupt nur ein Läufer über die 10.000-m-Distanz schneller. Verpflegt wird Kipchoge vermutlich immer dann, wenn er etwas braucht, von einem Begleitfahrzeug (Fahrrad?) aus, auch das ist bei rekordkonformen Rennen nicht erlaubt. Doch Kipchoge geht es einfach um mehr, als um einen (weiteren) Rekord. Er verglich sein Unterfangen schon mit der ersten Mondlandung, näher liegt aber sein Vergleich mit Roger Bannisters Meilenrekord von 1954, als der Engländer als erster Mensch die Meile unter 4:00 Minuten lief. „Ich will die Menschen ermutigen, sich keine Grenzen zu setzen, Selbstvertrauen zu zeigen“, sagte Kipchoge bei der Vorstellung des Projekts, „ich will die Welt und die nächste Generation inspirieren. Es spricht alle Professionen an. Du kannst etwas Positives in die Welt bringen und ein Lachen in die Gesichter bringen. Das ist die Botschaft, das kann jeder machen.“ Aber es geht für ihn vermutlich auch zusätzlich noch um sehr viel Profaneres: sehr viel Geld. Wie viel der Kenianer von Sponsor Ratcliffe bei einem Erfolg erhält, ist allerdings nicht bekannt.

Eliud Kipchoge (2. v. re.) mit Teamkollegen im Wiener Prater beim Inspizieren der Strecke.

Kann er es schaffen, oder nicht?

Patrick Sang, der Trainer von Eliud Kipchoge, flog gemeinsam mit dem Läufer am letzten Dienstag im Privatjet von Kenia nach Wien. Er erzählte: „Als wir in Wien gelandet sind, wandte sich Eliud mir zu und sagte: 'Ich bin bereit'. Seine Vorbereitung und das Training für die INEOS 1:59 Challenge in Kaptagat, Kenia, war über die letzten Monate hinweg sehr gut und wir freuen uns beide sehr auf diese Herausforderung.“ Und er fügte hinzu. „Ein sehr wichtiges Element für Eliud sind die Zuschauer. Bitte kommt und unterstützt Eliud am 12. Oktober, feuert ihn an und helft ihm, Geschichte zu schreiben.“ Dass Eliud Kipchoge zuversichtlich ist, diese bis vor wenigen Jahren noch als unmöglich geltende Barriere in Wien zu durchbrechen, zeigt auch seine Begleitung. Zum ersten Mal ist seine Familie zu einem großen Event gereist. Seine Frau Grace und seine drei Kinder, Lynne, Griffin und Gordon sind mit ihm in Wien. „Ich möchte unbedingt, dass sie Teil des Ereignisses sind!“

Und hier finden Sie ein lustiges Computer- und Smartphone-Spiel, bei dem Sie gemeinsam mit Eliud Kipchoge versuchen können, den Marathon in unter zwei Stunden zu schaffen.

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04 / 2023

Erscheinungsdatum 16.03.2023

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