Vor ein paar Jahren gehörten sie noch zu den bunten Vögeln unter den Laufschuhen. Inzwischen sieht man auf jedem sportlichen Leistungsniveau eine Vielzahl von Läuferinnen und Läufern mit ihnen an den Füßen – Laufschuhe mit einem versteifenden Element aus Kohlenstofffasern oder kurz: Carbon-Laufschuhe. Inzwischen formen diese Art der Laufschuhe eine eigene Kategorie, die nicht nur für Profis oftmals nicht mehr wegzudenken ist. Eine Vielzahl an Marken bieten inzwischen Carbonschuhe an, sodass es heute eine entsprechende Produkt- und Einsatzvielfalt gibt. So ist nicht nur für Elite-, sondern auch für Hobbyläufer etwas dabei.
Den Werkstoff Carbon – ein industriell hergestellter, mit Kohlenstofffasern verstärkter Kunststoff – kennen wir am ehesten als Beschichtung der Innenausstattung von Autos oder als Rahmenmaterial teurer Fahrräder. Seit einigen Jahren wird Carbon mit großem Erfolg auch in Laufschuhen verbaut, und zwar meist in Form einer oder mehrerer steifer Platten in der Mittelsohle. Aufgrund seiner Eigenschaften ist es ein ideales Material für Sportgeräte: sehr leicht, gleichzeitig aber stark belastbar und – je nach Verarbeitung – mehr oder weniger flexibel. Außerdem ist Carbon in der Lage, große Mengen an Energie aufzunehmen und weiterzugeben. Keine abwegige Idee also, Carbon im Laufschuhbereich einzusetzen.
Top-Carbon-Laufschuhe: Eine Auswahl unserer Favoriten
Diese drei Modelle haben im Test besonders überzeugt:
🏆 Reaktiv, atmungsaktiv & attraktiv: Brooks Hyperion Elite 4 PB (Unisexmodell). Der Hyperion Elite 4 PB punktet mit reaktivem DNA-Gold-Schaum als leichter, atmungsaktiver Wettkampfschuh für alle Distanzen bis zum Marathon. Auch das Design begeistert.
🏆 Federleicht & explosiv: Puma Fast-R Nitro Elite 3 (Frauenmodell / Männermodell). Der Fast-R Nitro Elite 3 zeichnet sich durch sehr geringes Gewicht, besonders reaktive Dämpfung und starken Vortrieb aus – perfekt für Distanzen von 5 km bis Marathon.
🏆 Flexibilität trifft Freiheit: Altra Vanish Carbon 2 (Frauenmodell / Männermodell). Der Vanish Carbon 2 von Altra überzeugt mit leichterer, reaktiverer Sohle, atmungsaktivem Obermaterial, griffiger Außensohle, aber auch viel Zehenfreiheit – für Komfort, Dynamik und Vielseitigkeit.
Carbon-Laufschuhe im Test: Die besten aktuellen Modelle
Wir haben aktuelle Carbon-Laufschuhe im Detail getestet. Im Folgenden findet ihr eine Übersicht mit der aktuellen Modelle, die uns besonders überzeugen konnten.
Erste Versuche mit Carbon bereits in den 90ern
Reebok und einige kleinere Marken tüftelten bereits in den 1990er-Jahren mit dem Verbundstoff. 2001 tauchte dann im Gazelle Pro Plate von Adidas eine Carbonfaserplatte in der Mittelsohle auf. Die Erfindung verschwand aber in der Versenkung, da die Technik kostenintensiv war.
Den Stein erneut ins Rollen gebracht hat vor ein paar Jahren der US-Hersteller Nike. Für das „Breaking 2“-Projekt machte man sich daran, einen neuartigen Schuh zu entwickeln. Um den ersten Marathonlauf in weniger als zwei Stunden möglich zu machen, brauchte man ein Konzept, das den Läufer wirklich messbar schneller macht. 2017 präsentierte Nike den Vaporfly 4% – und zum Erstaunen der Fachwelt hatte der schon äußerlich so gar nichts mit dem Design bisheriger Wettkampfmodelle gemein. Diese hatten bis dato durch die Bank eine extrem dünne Sohle, waren sehr leicht und überdies besonders flexibel. Der Vaporfly hingegen war zwar immer noch leicht, aber dabei steif wie ein Brett. Grund dafür war die erstmals seit Langem wieder verbaute Carbonplatte in der Mittelsohle.
Obwohl Eliud Kipchoge beim ersten Versuch in Monza mit 2:00:25 Stunden die magische Marke noch um 26 Sekunden verpasste, entstand sofort ein Hype um diesen Schuh – und um den Einsatz von Carbon. Nur zwei Jahre später wurden bereits unglaubliche 86 Prozent der Podiumsplätze bei den sechs World Marathon Majors (Tokio, London, Berlin, Boston, New York, Chicago) von Läufern erobert, die einen Nike Vaporfly trugen. Eliud Kipchoge, der 2018 in Berlin den damals offiziellen Marathon-Weltrekord (2:01:39 Stunden) aufgestellt hatte, knackte 2019 in Wien unter Laborbedingungen mit Pacemakern dann sogar in 1:59:40 Stunden die Zwei-Stunden-Marke. Dabei trug er einen Prototypen des Nike Alphafly Next%.
Paula Radcliffes lange unerreichter Marathonrekord wurde in Carbonschuhen gleich doppelt pulverisiert
Den jahrelang als beinahe unerreichbar geltenden Marathon-Weltrekord von Paula Radcliffe aus dem Jahr 2003 knackte 16 Jahre später eine Frau in Carbonschuhen: Brigid Kosgei lief 2019 in Chicago 2:14:04 Stunden. Beim Berlin-Marathon 2023 verbesserte Tigist Assefa diese Zeit dann deutlich auf 2:11:53 Stunden. Nur ein gutes Jahr später stürmte Ruth Chepngetich in Chicago zum Fabel-Weltrekord von 2:09:57 Stunden. Die Fortschritte der letzten Jahre sind überwältigend.
Die Konstruktion dieser Schuhe scheint die Laufleistung ihrer Trägerinnen und Träger eindeutig positiv zu beeinflussen. Aber wie? Die Erklärung liegt in der Kombination des steifen Carbonelements mit einem weichen, rückfedernden Mittelsohlenmaterial. So muss ein Läufer, der einen Carbonschuh trägt, beim Abrollen die Zehen nicht mehr krümmen, denn die unflexible Sohle hält die Zehengelenke steif. Das spart Energie. Gleichzeitig gibt das responsive Dämpfungsmaterial viel seiner Verformungskräfte wieder an den Läufer zurück. „So muss mit jedem Schritt etwas weniger Muskelaufwand betrieben werden, um den gleichen Vortrieb zu erzeugen“, erklärt der Biomechanikexperte Gert-Peter Brüggemann.

Die meisten Erstmodelle der unterschiedlichen Hersteller wurden inzwischen stark verbessert. Nike hat mit dem Air Zoom Alphafly (oben links) jedoch einen wahren Dauerbrenner.
Dieser Effekt ist mittlerweile sogar wissenschaftlich belegt: Wer etwa einen Nike Vaporfly trägt, läuft den Marathon zwischen drei und vier Prozent schneller als andere Sportler in Durchschnittsschuhen ohne Carbon. Das zeigte die Analyse der Strava-Datensätze zu einer halben Million Trainingsläufe durch die „New York Times“. Wenn es nach der Statistik geht, hätte in einem Marathonrennen zwischen zwei gleich starken Läufern also der Vaporfly-Träger einen signifikanten Vorteil gegenüber seinem Gegner mit klassischem Schuhwerk. Dieselbe Studie belegt auch, dass der Effekt bei allen Läufertypen auftritt – Männern wie Frauen, schnellen wie langsamen Läufern, Hobbysportlern wie Profiathleten.
Laufschuhe mit Carbonsohle sind meist für hohes Tempo gemacht
Sind die Wundertreter also die langersehnte Lösung für alle Hobbyläufer, die davon träumen, den Marathon einmal unter vier Stunden zu schaffen? Die Antwort lautet leider: Nein. Denn die Konstruktion hat einen entscheidenden Haken: Durch die steife Sohle werden Achillessehne und Wadenmuskulatur sehr stark beansprucht. Das Verletzungsrisiko für die im Vergleich zu afrikanischen Läufern genetisch bedingt dünnere und kürzere Achillessehne von uns Mitteleuropäern ist sehr hoch.
Physiologische Probleme seien vorprogrammiert, sagt auch Experte Brüggemann und nimmt den Fachhandel in die Pflicht: „Laufschuhe mit Carbonelementen erfordern eine hohe Beratungskompetenz.“ Gelingt das nicht, droht den Carbonschuhen ein ähnliches Schicksal wie einst den Barfußlaufschuhen: Auch die waren aufgrund eines Hypes von vielen Läufern zu einem anderen Zweck verwendet worden, als dem, für den sie einmal entwickelt wurden.
Manche Hersteller haben ihr Sortiment in der Zwischenzeit beispielsweise um vereinzelte Modelle erweitert, die durchschnittlich schnellen Marathonläufern bei ihrer Bestzeitenjagd helfen soll. Andere Carbonschuhe eignen sich besonders für lange Dauerläufe oder sind sogar vielseitig vom normalen Dauerlauf bis zur Intervalleinheit einsetzbar.
Noch einmal zurück zur Laufelite. Hier wird spätestens seit Kipchoges Marathon-Weltrekord in Berlin in der Laufszene diskutiert, ob Vaporfly und Co. letztendlich so viel Energie sparen, dass sie ihrem Träger einen unfairen Vorteil bieten. Aktuell gilt: Die Schuhe sind erlaubt, solange die Sohlendicke höchstens 40 Millimeter beträgt und maximal eine Carbonplatte verbaut ist. Trotzdem befeuert jeder neue Prototyp die Diskussion über Chancengleichheit und technische Unterstützung im Laufsport.
Wie lange halten Carbon-Laufschuhe?
Neben dem kaum mehr zu bestreitenden Vorteil, den Carbon-Laufschuhe liefern, haben sie neben ihrem meist deutlich höheren Preis einen weiteren großen Nachteil gegenüber normalen Laufschuhen. Dieser liegt in der kürzeren Lebensdauer. Auch eine versteifende Carbonplatte verliert über hunderte Laufkilometer hinweg etwas an Steifigkeit – oder kann im extremsten Fall sogar brechen. Wie herkömmliche Laufschuhe auch, verlieren somit die Schuhe an Performance. Das ist nichts Außergewöhnliches. Hinzu kommt jedoch die Alterung des in der Regel sehr leichten, reaktiven Mittelsohlen-Schaums. Dieser ist deutlich stärker auf Performance als auf Haltbarkeit ausgelegt. Zusammengefasst kann eine in der Regel deutlich kürzere Haltbarkeit beobachtet werden. Nicht wenige Top-Modelle lassen schon zwischen 100 und 200 Kilometern Laufleistung nach. Eine allgemeingültige Aussage lässt sich aufgrund der Vielzahl an Modellen nicht treffen, doch nach rund 250 bis 350 Laufkilometern sind die meisten Carbon-Wettkampfschuhe bereits so sehr verschlissen, dass ein neues Paar von Vorteil ist. Bei Carbon-Schuhen, die eher als Trainingsschuh konstruiert sind, ist der Effekt nicht ganz so ausgeprägt. Aber auch reichlich getragene Wettkampfschuhe müssen nicht direkt aussortiert werden. Die etwas in die Tage gekommenen Wettkampf-Laufschuhe können noch bei so einigen Trainingseinheiten genutzt werden, bevor sie endgültig ausgemustert werden sollten.
Fazit: Carbon kann helfen
Besonders im Marathonlauf ist der positive Effekt der mit Carbon ausgerüsteten Schuhe nicht mehr wegzudiskutieren. Auf der Schattenseite stehen die meist deutlich höheren Preise und die im Durchschnitt geringerer Lebensdauer im Vergleich zu normalen Laufschuhen. Gerade sehr ambitionierten Läufern können Carbon-Laufschuhe aber helfen ihre Grenzen noch weiter zu verschieben und große sportliche Ziele zu erreichen.