Der Schweizer Hersteller On hat sich für die Vorstellung des On Cloudboom Strike LS einen ganz besonderen Anlass ausgesucht: Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Frankreich wurde auf dem Boulevard Jules Ferry, Hausnummer 28, das ist gleich um die Ecke vom Place de la Republique, ein Pop-up-Store aufgebaut, besser gesagt: eine Pop-up-Produktion! Wir sind hingefahren und haben uns diesen besonderen Schuh an diesem besonderen Ort angeschaut.
Hier bestellen: On Cloudboom Strike LightSpray
Premiere in Paris!
Denn dort wurde der neue Cloudboom Strike LS nicht nur präsentiert, sondern gleich auch produziert! Dort konnte man zuschauen, wie der Schuh innerhalb von drei Minuten verheiratet wird – so nennt man nämlich in der Schuhmachersprache die Verbindung von Obermaterial mit dem Chassis, also der Sohlenpartie. Das ist die sogenannte Hochzeit.

Wie das geht?
On hat nicht nur ein neues Obermaterial, sondern einen neuen Fabrikationsprozess entwickelt – der erstmalig beim Cloudboom Strike LS eingesetzt wird. Und dieser Herstellungsprozess heißt „LightSpray“. Denn das gleichnamige Obermaterial wird nicht gestrickt oder gewebt wie klassische Upper – das Obermaterial wird auf den Leisten gesprüht: Dazu bewegt sich ein Roboterarm mit der Sohle des Schuhs unter einer Düse, durch die ein TPU-Granulat gespritzt wird. Ein industrieller Heißluftföhn erzeugt über 220 Grad Celsius und sorgt dafür, das kleinste Kügelchen des Granulats, die aus der Düse gespritzt werden, miteinander vor dem Hitzerohr verschmelzen. Der Roboterarm lässt dazu den Schuh millimetergenau unter Düse und Hitzerohr kreisen. Die Geschwindigkeit variiert, je nachdem, wie engmaschig das Filament hergestellt werden soll – abhängig von der Biomechanik und dem Bedarf von Atmungsaktivität oder Stützfunktion.
Gut gesprüht
Der Roboterarm lässt also Schicht auf Schicht aus einem einzigen, unendlich langen Kunststofffaden entstehen. Dabei wird das Obermaterial gleichzeitig nahtlos mit der Mittelsohle verbunden. Und durch die Elastizität des hauchdünnen Kunststoffmaterials entfällt die Notwendigkeit von Schnürsenkeln. Der ganze Prozess dauert drei Minuten. Weitere zwei Minuten dauert es dann, um das Herstellerlogo und Farbelemente auf dem Schuh anzubringen. Das passiert übrigens mit Tintenstrahldruck, ein im Vergleich umweltfreundlicheres Verfahren. Der gesamte Schuh ist nach sechs Minuten zusammengebaut.
Inspiration aus der Designwelt
Diese Maschine wurde von Grund auf neu entwickelt. Erste Ideen zu der Fertigungstechnik gab es seit 2018. Einen Anstoß gab es 2020 auf der Mailänder Design-Messe, Salone del Mobile, einer Fachmesse eigentlich für die Möbelindustrie. Dort zeigte ein Student, wie er einen Schuh mit einer Heißluft-Pistole modellierte. Bekannt wurden ähnliche Bilder 2022, als Topmodel Bella Hadid auf dem Coperni-Laufsteg in Paris ein Designer-Kleid auf ihren Körper gesprayt bekam.
Leichter geht’s kaum
Der in Mailand tätige Student, Johannes Voelchert, ist heute übrigens Lead-Designer bei On, und seine Idee hat einen Paradigmenwechsel angestoßen. Denn die Funktionalität von LightSpray ist beeindruckend: Schlappe 30 Gramm wiegt das gesamte Obermaterial eines Musterschuhs, das Gesamtgewicht beträgt gerade mal 170 Gramm (Mustergröße). Das RUNNER’S WORLD-Testmodell in der (üblichen) Herrengröße US 10,5 wiegt auch lediglich 198 Gramm.

Ein Hauch von nichts: Das Obermaterial - hier vor der Hochzeit mit der Mittelsohle - wiegt lediglich 30 Gramm (Foto: RUNNER'S WORLD).
Umweltfreundlicher: Kein Abfall
Zugleich reduziert das LightSpray-Obermaterial aber den Materialeinsatz. Der Cloudboom Strike LS besteht aus nur sieben Einzelteilen. Zehnmal so viele Teile sind es bei herkömmlichen Trainingsschuhen; moderne Konstruktionen kommen freilich auch mit weniger als 20 Teilen aus.
Und natürlich kann der Roboter für die Herstellung an einem beliebigen Ort stehen – wie eben beispielsweise am Boulevard Jules Ferry, Hausnummer 28, im Anschluss soll die Produktion in der On-Zentrale in Zürich stattfinden. Die Sohlenkomponenten werden weiterhin aus Indonesien und Vietnam angeliefert, wo On auch bislang schon seine Schuhe herstellen lässt. Weitere Produktionsstandorte für das Obermaterial sind in Planung. Transportwege werden also kürzer, und die Produktion wird sauberer, denn „Stoffreste“ fallen bei LightSpray nicht an. Auch Klebstoffe werden überflüssig. Dadurch werden die CO₂-Emissionen erheblich reduziert.
Der Roboter benötigt lediglich einen Programmierer und eine gelegentliche Aufsichts- oder Wartungsperson. Beim Herstellungsprozess geht der Schuh nicht mehr durch die Hände von verschiedenen Mitarbeitenden in der Produktionskette, sondern ein Mitarbeiter reicht aus.
Anziehen wie eine Socke
Der fertige Schuh wird wie eine Socke über den Fuß gestreift. Das ist anfangs etwas fummelig, dafür sitzt er dann, ja, wie eine Socke. Jedenfalls bei normal breitem Fuß. Für schmale Fußformen ist die Leistenform nicht geeignet, da schwimmt der Fuß im Schuh. Und für breitere Füße ist die Passform auch nicht geeignet. Aber die Toleranz des Obermaterials ist recht groß.
Ältere Lauffans oder Schuh-Nerds werden sich beim Cloudboom Strike LS noch an den Nike Sock Racer erinnern, der 1985 als Wettkampfschuh präsentiert wurde und für viel Aufsehen sorgte – der leichte Racing-Flat mit PU-Mittelsohle wurde von vielen Eliteläuferinnen und -Läufern getragen.
Einsatzzweck: Marathon
Der Cloudboom Strike LS wird ganz bewusst kurz vor den Olympischen Spielen in Paris präsentiert: Denn er wird erstmals offiziell beim olympischen Marathon eingesetzt. Allerdings ist Hellen Obiri beim Boston-Marathon (2024) bereits ein Vorserien-Modell des Cloudboom Strike LS gelaufen – trotz anfänglicher grundlegender Zweifel. Die Zweifel waren nach ihrem Sieg in 2:22:37 Stunden ausgeräumt. In Paris wird sie den Schuh wieder tragen.

Mit seinen deutlich unter 200 Gramm ist der Cloudboom Strike LS also einer der leichteren Schuhe im Marathonfeld von Paris. Zum Vergleich: Der Nike Alphafly 3 wiegt knapp über 200 Gramm, der Adidas Adizero Adios Pro Evo 1 wiegt allerdings mit 138 Gramm deutlich weniger. Das Obermaterial des On Cloudboom Strike LS soll übrigens laut Hersteller über 500 Kilometer halten.
Laufeigenschaften: Schnell und komfortabel
Das Abrollverhalten ist überraschend gut gedämpft, für einen Wettkampfschuh dieser Güte durchaus komfortabel – so die ersten RUNNER’S WORLD-Testeindrücke. „Er ist weicher gedämpft als der Adidas Adios Pro Evo 1, jedoch nicht so weich wie der Nike Alphafly 2“, so ein RUNNER’S WORLD-Testläufer. Die Mittelsohle des On Cloudboom Strike LS verleiht mit dem 39 mm hoch bauenden, reaktiven Mittelsohlenschaum ein spürbares Moment nach vorn – befindet sich also da auf Höhe mit den anderen Carbonmodellen, die in Paris (und anderen Marathons) im Marathonwettkampf getragen werden. Auch die Sohlenkonstruktion des On Cloudboom Strike LS ist komplett steif durch die integrierte Carbonplatte (Cloudtec-Konstruktion). Die Aufsatzfläche der Sohle ist recht großflächig, die Abrolleigenschaften sind nicht so kapriziös, wie man es von früheren Carbon-Modellen (oder dem Cloudboom Echo 1 und 2) noch kennt. Gleichwohl, die Konstruktion ist für leichte, trainierte Ausdauerathleten konzipiert – Läufer mit mehr als 75 Kilo wird das nicht gerecht. Zumal die Konstruktion auch auf höheres Lauftempo ausgelegt ist.
Interessante Vision: Individuelle Anpassung
Die LightSpray-Technologie regt die Fantasie an: Denn tatsächlich ließe sich ja eine Variante denken, wo durch eingescannte Daten individuelle Anpassungen erfolgen. Ein 3-D-Scanner, der den Fuß vermisst, ist schließlich mittlerweile in vielen Running-Spezialistenläden vorhanden. Und die ermittelten Daten ließen sich ja problemlos an den Roboter übertragen, mal schauen.
Fazit: Viel Potential in Lightspray
Der On Cloudboom Strike LS hat durch das LightSpray-Obermaterial eine ganz neue Ästhetik. Und für die Herstellungstechnologie ist dies ein großer Schritt in die Zukunft: Automatisierte, computergesteuerte Herstellung, Roboter-Präzision statt Handarbeit. Unter Sneaker-Nerds ist der Schuh schon jetzt Gesprächsthema, ähnlich wie Nikes Sock Racer aus den Achtzigerjahren – der damals ebenfalls ohne Schnürsenkel auskam (ein Vergleich zu etwaigen Strand-Schuhen verbietet sich an dieser Stelle). Topläuferin Helen Obiri benennt – neben allen funktionellen Eigenschaften – einen entscheidenden Punkt, der den On Cloudboom Strike LS schon jetzt besonders macht: „Wenn Du Vertrauen in deine Schuhe hast, verleiht dir das mentale Stärke und du denkst: Ich werde schnell laufen!“ Die Technologie soll allerdings nicht nur Topläuferinnen wie Helen Obiri vorbehalten bleiben: Logisch, dass die LightSpray-Technologie vom Cloudboom Strike LS auch auf andere Modelle übertragen werden soll. Denn On will in den nächsten drei Jahren seinen Umsatz, der jetzt bereits bei über 1,8 Milliarden Schweizer Franken liegt (2023), verdreifachen, heißt es. Bis dahin müssen die Roboterarme also noch ganz schön kreisen.
Hier bestellen: On Cloudboom Strike LightSpray
Gewicht: 170 Gramm (Männer, EU 42), 158 Gramm (Frauen, EU 38)
Sprengung: 4 Millimeter
Preis: 330 Euro / 380 CHF (ab Herbst 2024 erhältlich)