Oliver Stoll (Jahrgang 1963) ist Professor für Sportwissenschaft mit den Schwerpunkten Sportpsychologie und Sportpädagogik an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg. Außerdem arbeitet er als sportpsychologischer Berater sowie Coach in Bezug auf Leistungsstabilisierung und -optimierung in Leipzig, wo er in seinem Beratungszentrum Profiathleten und Einzelsportler, Teams und Funktionäre ganz unterschiedlicher Sportarten berät. Prof. Dr. Stoll kennt den Leistungssport auch aus eigener Erfahrung: Früher war er Triathlet. Auch auf Ultrastrecken sammelte er Erfahrungen und lief 2014 die 100 Kilometer in Biel. Anschließend schrieb er ein Buch darüber.
Oliver Stoll ist seit über 40 Jahren Läufer und seit acht Jahren Streakrunner, läuft also täglich. Wir führten das Interview mit ihm, als er gerade einen seiner Streakruns absolvierte.
Wenn Sportler älter werden und nicht mehr an persönliche Bestzeiten und Erfolge anknüpfen können, welche Schwierigkeiten treten dann auf?
Das kommt immer darauf an, warum jemand sportlich aktiv ist und bestimmte Zeiten laufen will. Irgendwann ist aber bei jedem der Peak erreicht, und spätestens dann geht es auch darum, von der Idee loszukommen, dass wir uns weiter optimieren können. Irgendwann ist keine Selbstoptimierung mehr möglich. Das ist für manche mental schwer.
Wenn altersbedingt die Leistungskurve abfällt, sinkt die Motivation. Gibt es mentale Tricks, die Läuferinnen und Läufer dann anwenden können?
Ja, klar, man kann sich immer mit denen vergleichen, die überhaupt nicht sportlich aktiv sind. Also umdenken und sich nach unten vergleichen. Oder man kann natürlich auch versuchen, auf besondere Plätze in der eigenen Altersklasse zu laufen. Damit meine ich, weg von der schnellsten persönlichen Bestzeit, die ich laufen kann, und hin zu einer altersangepasst vergleichbaren guten Zeit, die ich erreichen kann.
Was tun Sie selbst, um zufrieden zu altern?
Genau darum ging es bei dem Shift, den ich mit 60 gemacht habe. Seit zwei Jahren nehme ich nicht mehr an Laufveranstaltungen teil, sondern laufe allein oder mit meiner Frau zusammen in der Natur. Das ist Leistung genug für mich, um mich gut zu fühlen. Ich mache das nicht öffentlich in sozialen Netzwerken, sondern nur ganz für mich allein. Ich habe begonnen, umzuschalten und für mich neu zu bewerten. Früher war ich leistungsbetont, heute bin ich zufrieden, dass ich jeden Tag laufen kann. Dabei kann ich den Fokus auf die schönen Dinge im Leben richten: die Natur. Meistens laufe ich zwischen 30 Minuten und einer Stunde, auch mal bis zu zwei Stunden, ganz selten länger. Für mich ist das heute die tägliche Belohnung, der Anreiz, weil ich mich dabei wohlfühle. Der schöne Nebeneffekt: Ich bin jeden Tag an der frischen Luft und habe ein stabiles Immunsystem. Aber ich würde das keinem Anfänger empfehlen. Streakrunning ist nur etwas für erfahrene Läufer, die ihren Körper kennen, das muss schon gut gesteuert und systematisch sein. Aber es muss ja nicht jeder streaken. Das kann man auch beim Spazierengehen erreichen.
Hatten Sie selbst vor dieser Umstellung zum genüsslichen Lebensläufer auch mal Schwierigkeiten mit dem Leistungsvergleich von früher zu heute?
Ich laufe seit meinem 20. Lebensjahr. Mit Mitte 20 ging es mir noch um persönliche Bestzeiten. In den 80er Jahren lief ich den Marathon auch mal unter drei Stunden. Und ich nahm 1988 am Ironman Hawaii teil, dem Highlight meiner sportlichen Laufbahn. Nach 1990 kam eine Zeit, als ich nicht mehr so aktiv war und später bin ich wieder eingestiegen und habe auch wieder Wettkämpfe gemacht. Ja, dann hatte ich Probleme mit dem Vergleich zu früher, mit meinen besten Zeiten. Ich habe dann lange Strecken für mich entdeckt und bin 2014 in Biel die 100 Kilometer gelaufen, das war nochmal ein echtes Highlight für mich. Das Laufen war schon immer meine Lieblingsdisziplin, Radfahren und Schwimmen musste ich halt als Triathlet auch machen.
Switchen wir von den Leistungsbetonten zu den Einsteigern. Während die einen das Alter lehrt, sich zu bremsen, ist bei den anderen die Disziplin oft ein Problem. Wie können Einsteiger im Seniorenalter sich motivieren, bei jedem Wetter zu laufen?
Ja, das ist tatsächlich, wenn man anfängt, das größte Problem. Ich denke, es ist für alle, die spät einsteigen, gut, wenn sie sich mit anderen Läufern verabreden oder in Lauftreffs oder Vereine gehen. Das ist dann eine echte Selbstverpflichtung und stärkt die Motivation, den Hintern hochzubekommen statt auf dem Sofa zu verweilen.
Achtsamkeit, Dankbarkeit und Demut sind wichtige Tugenden, die beim Alterungsprozess helfen. Aus asiatischen Ländern stammen Entspannungs- und Aufmerksamkeitstechniken sowie Yoga. Können wir Werte mental trainieren?
Ja, das mache ich auch selbst. Meditation nutze ich für mich, auch Achtsamkeitstraining tut mir genauso gut wie das tägliche Streakrunning. Ich nutze das auch für meine Klienten als Entspannungstechnik. Das ist ein gutes Tool gegen Grübeleien. Der Impact ist in ostasiatischen Ländern natürlich viel größer als hier, aber ich persönlich habe gute Erfahrungen mit Achtsamkeits- und Meditationstechniken gemacht.
Dieses Interview ist ein Auszug aus dem neuen Buch „Lauf los!“ der RUNNER’S-WORLD-Autorinnen Sonja von Opel und Irina Strohecker.
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