Interview mit Sondre Nordstad Moen
„Ich analysiere alles“

Sondre Moen rannte als erster Europäer den Marathon unter 2:06 Stunden. Unterbietet er seinen Rekord von 2017? Ein Gespräch über Ziele, Trainingsentwicklung und die Wichtigkeit von Carbonschuhen.
16th IAAF World Athletics Championships London 2017 - Day Six
Foto: Getty Images Europe

Am 3. Dezember 2017 lief Sondre Nordstad Moen in Fukuoka mit seiner Zeit von 2:05:48 Stunden als erster Europäer einen Marathon in weniger als 2:06 Stunden. Seit 2021 steht der 31-jährige Norweger bei Puma unter Vertrag. Bei einer Veranstaltung seines Sponsors unterhielten wir uns mit ihm über die Wettbewerbsfähigkeit seiner Schuhe, seine Ambitionen für 2022 und mentales Training.

RUNNER’S WORLD: Sondre, im Jahr 2017 liefst du als erster Europäer den Marathon unter 2:06 Stunden. Kannst du diese Zeit schlagen?

Sondre Moen: Ich hoffe es. Ich meine, es gibt viele Leute aus anderen Ländern als Afrika, die schnell laufen können. Es gibt japanische Läufer, die einen Marathon in 2:05 Stunden laufen können. Neulich lief ein Brasilianer (Red.: Daniel Ferreira do Nascimento) in Seoul 2:04:51 Stunden. Das zeigt mir, dass nicht nur Menschen aus Afrika schnell laufen können, und das motiviert mich.

Manchmal ist es schwer, mit all den Afrikanern umzugehen, die 2:03/2:02 Stunden laufen. Jeden Monat liest du von fünf bis zehn jungen Männern, von denen du noch nie gehört hast. Aber das ist Leichtathletik, Athleten kommen und Athleten gehen. Klar, meine persönliche Bestleistung von 2017 möchte ich schlagen. Und langfristig zu den Olympischen Spielen 2024.

Was wäre heute möglich mit den weiterentwickelten Carbonschuhen?

Es hat ja schon 2016 Carbonschuhe gegeben. Nur hatte nicht jeder Zugang zu ihnen. Seit 2019 sieht man, dass die Entwicklung weiter voranschreitet. Vielleicht bekommt man in fünf bis zehn Jahren einen festeren Schuh mit der gleichen Technologie, die wir jetzt haben, mit der höheren Standhöhe, wer weiß?

Was sind deine Ambitionen für diese Saison?

Das Hauptziel ist, am Ende der Saison einen schnellen Marathon zu laufen. In diesem Sommer geht es darum, einen Schritt zurückzutreten und an anderen Qualitäten wie der Grundschnelligkeit zu arbeiten. Ich bin eigentlich kein Fast-Twitch-Läufer (Red.: schnell kontrahierender Muskeltyp), also geht es mehr darum, die Geschwindigkeit, die ich habe, nicht zu verlieren.

In den letzten Jahren habe ich das Gefühl, dass mir ein wenig die Geschwindigkeit fehlt, die es mir ermöglicht, mit drei Minuten pro Kilometer entspannter zu laufen. Ich kann lange Läufe über 40, vielleicht sogar 50 Kilometer mit einer Pace von 3:10 Minuten pro Kilometer laufen. Aber es hilft mir nicht, die spezifische Geschwindigkeit um 2:55 oder drei Minuten pro Kilometer aufzubauen. Es gibt einige Löcher, die ich schließen muss.

Ist das der Grund, warum deine besten Läufe vor einigen Jahren waren?

Na ja. Ich konzentrierte mich bis 2011 oder 2012 auf die fünf bis zehn Kilometer. Dann war ich verletzt und bis 2014 raus, als ich operiert wurde. Ende 2015 habe ich mein Marathon-Debüt gegeben und mich für die Olympischen Spiele in Rio qualifiziert. Danach konnte ich aufs Ganze gehen. Ich habe mehr Unterstützung von meinem Verein, dem Verband und auch dem Olympischen Verband bekommen. 2015 und 2016 habe ich viele Kilometer zurückgelegt. Viele lange Läufe, aber die Fähigkeit, fünf Kilometer schnell zu laufen, war nicht mehr da.

Das war etwas, was Renato Canova (Red.: sein Trainer) 2017 geändert hat. Wir arbeiteten an der Geschwindigkeit und ich verbesserte meine sechs Jahre alte fünf Kilometer Bestzeit von 13:30 auf 13:20 Minuten. Ein Marathon ist aber etwas anderes, daher muss man die individuelle Balance zwischen spezifischer Ausdauer und allen anderen Qualitäten finden, die man benötigt, um auf jeder Distanz schnell zu laufen. Man braucht also eine gute Laufform, man braucht einen starken Körper. Und ich habe 2017 gelernt, entspannt zu laufen. Ich verbrauchte bei jeder Art von Geschwindigkeit weniger Energie.

Und du hast dich noch nicht entschieden, welches Rennen du im Herbst laufen willst?

Nein, noch nicht. Für mich ist wichtig, dass der marathonspezifische Zeitraum nicht zu lang ist. Oft habe ich erlebt, dass die Geschwindigkeit mit der Laufleistung sinkt, wenn ich die traditionelle Vorbereitung gemacht habe. Es geht jetzt darum, eine gute Leistungsfähigkeit für kürzere Strecken aufrechtzuerhalten und den Übergang in etwa sechs Wochen zu schaffen. Die Entfernung war seit 2016 nie ein Problem.

Inwiefern hast du in den vergangenen Jahren mental für künftige Erfolge gearbeitet?

Ich bin ein Mensch, der viel nachdenkt. Ich analysiere alles. Es ist wichtig, sich um alle Aspekte zu kümmern. Ich meine, je härter wir trainieren, desto besser müssen wir uns auch erholen. Auch mental. Wenn du auf einem niedrigeren Niveau bist, kannst du Monat für Monat konsequent trainieren, weil du nicht wirklich an die Grenzen gehst. Aber wenn du anfängst, dich deinem maximalen Standard zu nähern, musst du das Training mehr als früher bündeln.

Hast du einen Mentaltrainer?

Ich habe mit Mentaltrainern gearbeitet, aber ich nutze das nicht regelmäßig. Wenn ich sehe, dass das Training gut funktioniert, weiß ich, dass ich bereit bin. Als ich zu Renato Canova wechselte, war er auch in der Lage, mein Limit zu ändern: die Denkweise dessen, was möglich ist. Allerdings: Niemand kann einfach mit dir reden und du kommst verlässlich in Form. Du brauchst das ganze Paket. Der mentale Aspekt ist sehr wichtig. Aber den Körper gesund zu halten, ist es auch.

Du standest bis 2019 zwölf Jahre lang bei Nike unter Vertrag. Wie kamst du zu Puma?

Ich habe Anfang November letzten Jahres unterschrieben. Im August 2020 hatte ich eine der ersten Versionen des Deviate Nitro Elite getestet. Dieser Prototyp war sehr leicht im Vergleich zu den Carbonschuhen, die ich gewohnt war zu laufen. Und dann habe ich die Schuhe im März 2021 noch einmal getestet. Nach den Olympischen Spielen habe ich einige neue Prototypen ausprobiert: Den Fast-R Nitro Elite im September fand ich ziemlich gut. Der Fast-R ähnelt mehr den Carbonschuhen, die ich im vergangenen Jahr ausprobiert habe – und ich habe im Grunde alle Marken ausprobiert. Ich habe auch einige Messungen auf dem Laufband durchgeführt, um Laktat und die Herzfrequenz im Vergleich zu den Nike-Schuhen zu messen. Sie waren ungefähr auf dem gleichen Niveau wie Nike.

Das war sicher ausschlaggebend für deine Unterschrift.

Es war wichtig zu sehen, dass die Schuhe gut passen und dass Puma die Schuhentwicklung wirklich ernst nimmt. Denn wenn man die Innovationen in den letzten drei, vier oder fünf Jahren sieht, muss man sich wirklich verbessern, um wettbewerbsfähig zu sein. Vor allem bei den Straßenlaufschuhen. Ich wollte sehen, dass die Schuhe gut sind. Dazu kommt: Mit allen Trainingsschuhen, die Puma im letzten Jahr gemacht hat, kann ich täglich trainieren. Im Allgemeinen habe ich weniger Probleme mit den Beinen im Vergleich zu meinem ehemaligen Sponsor. Das ist sehr positiv.

Wie entscheidend ist die Technologie über Sieg oder Niederlage?

Jede Marke hat heutzutage gute Trainingsschuhe, aber keine Schuhe, die im Rennen konkurrenzfähig sind. Ich meine, es geht immer lediglich um einen halben oder ganzen Prozentpunkt. Wir Athleten trainieren alle hart, wir geben alle unser Bestes. Die Entwicklung der Straßenrennschuhe hat sich in den letzten fünf bis sechs Jahren stark weiterentwickelt. Das ist etwas, mit dem sich jede Schuhmarke auseinandersetzen muss, wenn man Sichtbares auf der Straße haben will.

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Erscheinungsdatum 19.09.2023