Zur Person
Nils Goerke, 42, war bis 2012 als Triathlon-Profi aktiv. Seine 10-Kilometer-Bestzeit steht bei 30:52 Minuten. Im Triathlon-Zirkus war er damit einer der laufstärksten Triathleten und lief im Ironman nach 3,8 Kilometer Schwimmen und 180 Kilometer Radfahren den Marathon in 2:50 Stunden. Er träumt immer noch davon, einen richtig schnellen Marathon zu laufen. Doch dafür fehlt Nils derzeit die Zeit, weil er sich seit 2013 als Trainer selbstständig gemacht hat: www.nilsgoerke.com.
Größte Erfolge
3. Platz Ironman Regensburg 2010
8. Platz Ironman Frankfurt 2009
3. Platz Ironman 70.3 Wiesbaden 2007
22. Platz Ironman Hawaii 2003
Vize-Europameister Triathlon Langdistanz 2004
Wie lange dauert für einen Einsteiger, Hobby-Jogger (mit 2 bis 3 Laufeinheiten/Woche) und Wettkampfläufer eine realistische Marathonvorbereitung?
Beim Einsteiger hängt es natürlich stark davon ab, welchen Sport er vorher gemacht hat oder ob er vorher überhaupt Sport getrieben hat. Absolute Einsteiger benötigen sicher eineinhalb bis zwei Jahre, um einen Marathon mit Freude und vor allem auch gesund laufen zu können. Hobby-Jogger hingegen sollten spätestens ein halbes Jahr vor dem Tag X mit der unmittelbaren Marathonvorbereitung beginnen. Wettkampfläufer können sicher auch nach drei bis vier Monaten Marathonvorbereitung einen schnellen Marathon rennen. Wenn sie aber in den Bereich der möglichen Bestzeit laufen wollen, dann benötigen auch sie eher ein halbes Jahr oder länger. Das Problem ist grundsätzlich der Bänder- und Sehnen-Apparat. Durch die langen Läufe jenseits der 25 bis 30 Kilometer entsteht schon ein erheblicher Stress. Doch diese Läufe müssen absolviert werden, will man die 42,195 Kilometer mit Spaß durchlaufen.
In welchen Fällen würden Sie von einer Marathonvorbereitung abraten?
Ich empfehle jedem Läufer mit Marathon-Ambitionen, sich vor dem Trainingsstart einem Sportler-Check-up inklusive Belastungs-EKG beim Sportmediziner zu unterziehen. Damit ist man gesundheitlich auf der sicheren Seite. Zudem sollte man seine Marathonambitionen unbedingt mit der Familie besprechen und gucken, ob die langen Einheiten nicht zu viel zusätzlichen Stress bedeuten. Denn nach den längeren Läufen, die ja meistens am Sonntag stattfinden, ist man schon ziemlich müde und kaputt. Wenn man also viele private und berufliche Verpflichtungen hat, dann reichen 10-Kilometer-Läufe oder ein bis zwei Halbmarathonläufe pro Jahr auch.
Wie sieht eine typische Trainingswoche in Ihren Trainingsplänen aus?
Eine typische Trainingswoche gibt es bei mir eigentlich gar nicht, da sich meine Trainingspläne am Wochenrhythmus der Athleten orientieren. Ich lasse mir alle wichtigen Termine geben und baue dann das Training drum herum. So entsteht weniger Stress, der Athlet kann seine Termine ohne schlechtes Gewissen wahrnehmen und bekommt vor allem ausreichend Ruhe. Denn die Erholung kommt bei den meisten Hobby-Athleten meistens zu kurz und ist ein häufiger Grund, warum die Leistung stagniert.
Wie sollte die letzte Woche vor dem Marathon idealerweise aussehen?
In der letzten Woche geht es primär darum, sich zu erholen und die Kohlenhydratspeicher optimal zu füllen. Die Anzahl der Läufe ist eigentlich gleich, aber sie sind wesentlich kürzer und natürlich auch nicht so intensiv. Mitte der Woche setze ich aber trotzdem noch einmal einen kurzen Temporeiz, damit der Körper sich am Wettkampftag an das Marathontempo erinnert. Würde man die Woche vor dem Rennen komplett Ruhe machen, dann wäre der Körper am Tag des Marathons mit der Belastung total überfordert.
Sie trainieren Triathleten und Läufer. Triathleten sind es gewohnt, sich auf der Strecke zu verpflegen. Was empfehlen Sie Läufern?
Natürlich genau das Gleiche! Unsere Kohlenhydratspeicher sind nach 1:45 bis maximal 2:00 Stunden leer – egal, wie gut trainiert wurde und wie optimal die Speicher gefüllt sind. Der Tank ist ohne Nachfüllen auf der Strecke einfach irgendwann leer. Und nach zwei Stunden sind leider die wenigsten von uns im Ziel oder schon bei Kilometer 40. Übrigens nehmen auch die kenianischen und äthiopischen Topläufer im Wettkampf Zuckerlösungen zu sich. Sie fangen damit teilweise auch schon bei Kilometer 5 an. Dies habe ich beim Marathon Hamburg 2014 live erlebt, da ich dort für die Verpflegung des Favoriten verantwortlich war. Er nahm die erste Flasche übrigens erst bei Kilometer 15 und ist dann bei Kilometer 38 leicht eingebrochen und wurde letztlich Zweiter.
Knackpunkt langer Lauf: Was empfehlen Sie Ihren Athleten? Langsam und lang oder Einheiten mit Endbeschleunigung?
Ich bin ein Fan von beiden Trainingsformen. Früh im Jahr finde ich den „Long Slow Run“ (langer, langsamer Lauf) super, um möglichst beschwerdefrei Bänder, Sehnen und Muskulatur an die lange Belastung zu gewöhnen. Je näher der Marathon rückt, desto wichtiger ist dann aber die Endbeschleunigung im Bereich der Wettkampfgeschwindigkeit. Ich persönlich fand es während meiner aktiven Zeit bei den langen Läufen früher fast einfacher, wenn ich endlich schneller laufen durfte, da dann wieder mehr Spannung und Dynamik im Körper war. Das Gleiche berichten mir jetzt auch meine Athleten. In der Trainingsvideo-Reihe „Projekt Marathon“, die ich 2015 zusammen mit der BKK Mobil Oil umgesetzt habe, ist der Lange Lauf übrigens auch ein zentrales Thema. Im Video wird detailliert erklärt, wie wichtig lange Läufe für die Marathonvorbereitung sind und wie man sie am besten ins Training integriert.
Raten Sie zu speziellen Wettkampfschuhen?
Die ultraleichten Wettkampfschuhe machen meiner Meinung erst dann Sinn, wenn man ein Tempo unter 4:00 Minuten pro Kilometer läuft. Das gilt für 5, 10 oder 42,195 Kilometer. Bei den langsameren Geschwindigkeiten sind ein größerer Komfort und mehr Schuh-Führung wichtiger als ein paar weniger Gramm. Klar sehen die „Rennsemmeln“ schnell aus, aber wenn nach 30 Kilometern die Muskulatur nicht mehr mitmacht, dann sehen die schnellen Schuhe schnell mal nicht mehr so schick aus.
Streitthema Nüchtern-Läufe: Was ist ihre Meinung zum Training mit entleerten Glykogenspeichern?
Ich persönlich bin schon recht lange ein Fan von sogenannten Nüchtern-Läufen und habe sie schon vor Jahren erfolgreich in mein Training eingebaut, auch wenn die Studien unterschiedlicher Meinungen sind. Allerdings ist es ein großer Unterschied, ob sich ein Profi nach dem ausgiebigen Frühstück im Anschluss ans Training zu Regenerationszwecken wieder ins Bett legt oder auf die Couch geht – oder ob man als Hobby-Läufer zur Arbeit muss. Daher sollte man nicht nur das Training im Blick haben, sondern auch den sich anschließenden (beruflichen) Alltag.
Gibt es etwas, dass Sie trainingstechnisch anders machen als andere? Wenn ja, was ist das.
Wie bereits gesagt, bestimmt bei mir der Athlet maßgeblich den Wochen-Rhythmus. Zum anderen empfehle ich komplette Ruhetage, also Tage ohne Training – nicht einmal Yoga, Rumpf-Stabilisationstraining oder ein lockerer 10-Kilometer-Lauf. Ich glaube, dies ist zum einen wichtig für’s Immunsystem und damit für die Regeneration und vor allem auch sehr wichtig für den Kopf, um auch mal komplett abschalten zu können. Die meisten Athleten stressen sich immens, wenn sie mal keinen Sport treiben und verlieren so sehr oft den Spaß daran.
Wie lauten Ihre besten Marathontipps für die Vorbereitung, das Rennen und die Regeneration?
Die langen Läufe müssen gemacht werden, ansonsten wird der Marathon noch härter als er eh schon ist! Ich empfehle mindestens zwei paar Laufschuhe, besser sind drei Paar. Und: Läufer sollten sich unbedingt an realistische Zeitvorgaben halten. Selbst fünf Sekunden schneller als das angestrebte Tempo kann eine neue Bestzeit verhindern. Nach einer Stunde sollten Athleten alle 30 Minuten ein Energie-Gel im Rennen nehmen. Nach dem Marathon empfehle ich, eine Woche komplett aufs Laufen zu verzichten und stattdessen lieber auf’s Radfahren oder das bei Läufern ungeliebte Schwimmen zu setzen. Und noch ein Tipp: Laufen Sie zwei Tage vor dem Marathon nicht mit Flip-Flops umher – um die Wadenmuskulatur zu entlasten.
Abschlussfrage: Was können Läufer von Triathleten lernen? Und umgekehrt: Was können Triathleten von Läufern lernen?
Läufer können von Triathleten lernen, dass es Sinn macht, auch mal andere Trainingsreize zu setzen anstatt immer nur Kilometer an Kilometer zu reihen. Umgekehrt: Triathleten können von Läufern lernen, dass die richtig schnellen Zeiten ohne Kompressionssocken und Sonnenbrille gelaufen werden...