„Es liegen noch viele Möglichkeiten auf dem Tisch“

Karriereende?
Eliud Kipchoge spricht über seine Zukunft

Veröffentlicht am 17.10.2024
Eliud Kipchoge
Foto: Tim te Brake/NN Running

Mehr als ein Jahrzehnt war Eliud Kipchoge die dominierende Figur im Marathonlauf. Er stellte zwei Weltrekorde auf, gewann zwei olympische Titel und durchbrach bei einem inoffiziellen Lauf gegen die Uhr in Wien die scheinbar unantastbare 2-Stunden-Marke. Er ist wohl der bekannteste Langstreckenläufer der Welt und hat sich den Spitznamen „GOAT“ (Greatest of All Time) verdient.

Doch in den letzten Jahren zeigten sich Risse in seiner einst undurchdringlichen Rüstung. Der Boston-Marathon 2023 war der langsamste Marathon seiner Karriere (2:09:23 Stunden). Später im selben Jahr erholte er sich in Berlin und gewann mit 2:02:42, doch in diesem Jahr hatte er erneut Schwierigkeiten und belegte im März beim Tokio-Marathon den 10. Platz (sein schlechtestes Ergebnis bei einem großen Rennen). Zudem musste er aufgrund von Schmerzen in der Hüfte während des Olympia-Marathons in Paris aussteigen.

Kipchoge war, ist und bleibt jedoch ein Optimist. Er ist ein leidenschaftlicher Wettkämpfer und hat seine Rolle als inoffizieller Botschafter des Laufens angenommen. Seine Lebensaufgabe, so sagt er, sei es, Menschen weltweit zum Laufen zu motivieren – nicht nur wegen der körperlichen Vorteile, sondern auch wegen der positiven Auswirkungen auf den Geist.

Eliud Kipchoge
Tim te Brake/NN Running

RUNNER’S WORLD sprach am 6. Oktober per Zoom mit Kipchoge, der im nächsten Monat 40 Jahre alt wird, über seine Genesung von der Verletzung, seine Reflexionen über seine Karriere und darüber, wen er als die Zukunft des Sports sieht.

Kipchoges Streben nach drei aufeinanderfolgenden olympischen Marathon-Titeln endete, bevor das Rennen in Paris zu Ende war. Er hielt sich die ersten 15 Kilometer in der Führungsgruppe, fiel aber dann zurück und lag zur Halbzeit außerhalb der Top 50. Etwa bei Kilometer 30 hörte er auf zu laufen und wartete, bis der 42-jährige mongolische Läufer Ser-Od Bat-Ochir, der Letzter war, an ihm vorbeizog, bevor er letztlich ausstieg. Nach dem Rennen sagte Kipchoge, er sei zwei Kilometer gegangen und habe dabei seine Schuhe, Socken und sein Trikot an Zuschauer verteilt.

Ich bin wirklich vollständig genesen

Kipchoge erzählte, dass Schmerzen im Hüftbereich ihn zum Aufgeben gezwungen hätten. Aber er sei nun wieder im Training. „Ich bin wirklich vollständig genesen“, sagte er.

Wenn sich Kipchoge auf einen Marathon vorbereitet, läuft er normalerweise 200 bis 220 Kilometer pro Woche. Das bedeutet rund Kilometer pro Tag. Derzeit konzentriert er sich jedoch nur darauf, wieder regelmäßig zu laufen. Er versucht, jeden Tag zu laufen und verbringt außerdem Zeit auf dem Fahrradergometer. Dabei fährt er locker eine Stunde lang, um ins Schwitzen zu kommen und seine Muskeln zu lockern, oft hört er dabei Musik oder schaut Fernsehen, um die Zeit zu vertreiben. „Ich bin jetzt wieder auf dem richtigeb Weg und schaue in die Zukunft, was sie noch für mich bereithält“, sagte er.

Kipchoge hat seit dem Halbmarathon in Delhi 2016, den er in 59:44 gewann, kein Rennen mehr über eine kürzere Distanz als einen Marathon bestritten. In der ersten Hälfte seiner Karriere dachte er jedoch noch nicht einmal an den Marathon. Im Alter von 17 Jahren lief er die 5.000 Meter in 13:13,03 Minuten und etablierte sich damit als einer der vielversprechendsten Athleten der Welt. Letztlich wurde Kipchoge Profi, gewann 2003 den WM-Titel über 5.000 Meter und brach zu Beginn der Saison den U20-Weltrekord.

Aber Kipchoge sagte, dass er zu einem Zeitpunkt darüber nachdachte, in die USA zu gehen, um zu studieren. Sein Trainer Patrick Sang studierte in den 1980er Jahren an der University of Texas und machte seinen Master an der Iowa State University, sodass Kipchoge mit dieser Möglichkeit vertraut war. Aber in den frühen 2000er Jahren, sagte Kipchoge, gab es für kenianische Athleten nur wenige Chancen, in die USA zu gehen, um zu studieren. „Damals, vor 20 Jahren, waren die Möglichkeiten, ein Stipendium zu bekommen und nach Amerika oder außerhalb Kenias zu gehen, sehr gering“, sagte er. „Ich dachte nicht, dass ich eine Chance bekommen würde.“

Bildung ist dennoch zu einem wichtigen Bestandteil von Kipchoges Mission geworden. Er gründete die Eliud Kipchoge Foundation, um Kindern einen besseren Zugang zu Bildung zu ermöglichen, Bibliotheken zu bauen und sich für den Umweltschutz einzusetzen. „Ich sage den Menschen immer, dass Bildung ein Gleichmacher ist und dir Türen öffnen kann“, sagte er. „Mit Bildung kannst du an jedem Tisch dieser Welt Platz nehmen.“

Anfang Oktober sprach Kipchoge mit einer Gruppe von High-School-Athleten, die Teil des NIL-Programms seines Uhrensponsors Coros sind, darunter auch Top-Athleten wie Sadie Engelhardt, die US-amerikanische Rekordhalterin im Meilenlauf. Er ermutigte sie, die Chancen im Leben zu ergreifen und optimistisch zu bleiben, auch wenn es Rückschläge gibt.

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Wenn er nach einem Athleten mit großem Potenzial gefragt wird, denkt Kipchoge sofort an einen seiner Trainingspartner: Daniel Mateiko. „Er hat eine riesige, riesige Zukunft vor sich“, sagte Kipchoge. Mateiko, 26, gehört seit seinem Lauf über 58:26 beim Halbmarathon in Valencia 2021 zu den besten Halbmarathonläufern der Welt. Dieses Jahr vertrat er Kenia bei den Olympischen Spielen in Paris über 10.000 Meter und belegte den 11. Platz.

Doch Mateiko hat den Marathon bisher nicht ganz in den Griff bekommen. Beim London-Marathon 2023 half er als Pacemaker Kelvin Kiptum, den Streckenrekord von 2:01:25 zu brechen. Später im Jahr gab er beim Chicago-Marathon sein offizielles Debüt auf der Distanz. Auch dort lief er zunächst mit Kiptum, diesmal jedoch als Konkurrent, und stieg schließlich nach 35 Kilometern aus. Dasselbe passierte dieses Jahr in London: DNF nach 35 Kilometern.

Dennoch ist Kipchoge zuversichtlich, was das Potenzial seines Teamkollegen beim NN Running Team angeht. „Ich setze mein ganzes Geld auf Mateiko als die Zukunft“, sagte Kipchoge. „Er ist der Mann, den man auf der Straße im Auge behalten sollte.“ Kipchoge wird am 5. November 40 Jahre alt – „das ist eine große Sache“ – was bedeutet, dass er als Master-Athlet eingestuft würde. Kenenisa Bekele stellte 2023 den aktuellen Masters-Weltrekord im Marathon mit 2:04:19 beim Valencia-Marathon auf, einer Strecke, die als eine der schnellsten der Welt gilt.

Ich strebe nach guten Dingen, die die Welt noch mehr inspirieren können

Kipchoge wollte nicht sagen, ob er es auf diesen Rekord abgesehen hat. Aber falls er die Form, die ihm vor etwas mehr als einem Jahr zu einer 2:02 verhalf, wiederfindet, hat er die Chance, einen weiteren Rekord seiner umfangreichen Liste hinzuzufügen. „Ich glaube, dass noch viele Möglichkeiten auf dem Tisch liegen, die ich ergreifen kann“, sagte er. „Ich strebe nach guten Dingen, die die Welt noch mehr inspirieren können.“

Dieser Artikel erschien zunächst auf www.runnersworld.com auf Englisch.