Nach der rein digitalen Übertragung im vergangenen Jahr hat das RUNNER'S WORLD Symposium wieder als Präsenzveranstaltung im Rahmen der Sportartikelmesse ISPO in München stattgefunden. Es hat sich zum wichtigen Treffpunkt für die Running-Szene entwickelt, bei dem Trends und Innovationen der Branche sowie der persönliche Austausch unter Laufexperten im Mittelpunkt stehen.
„Es ist so gut, euch zu sehen – live und in Farbe“, begrüßte Urs Weber, Redakteur bei RUNNER'S WORLD, die Teilnehmer des Symposiums am 29. November 2022 im ICM, dem Congress Center der Messe München. Auch Lena Haushofer, Exhibition Director ISPO Munich, betonte zur Eröffnung: „Wir freuen uns wahnsinnig, dass die ISPO nach zwei Jahren Pause wieder stattfinden kann“. Nach coronabedingter Absage 2020 und rein digitaler Version der ISPO in 2021 bestätigte Constanze Fuchs, Category Manager ISPO, zu Beginn des Symposiums am zweiten Messetag, es sei “wunderschön, dieses Messeleben wieder zu spüren”.
Das persönliche Treffen mit Kollegen und Partnern suchten auch die Vertreter aus Handel und Industrie sowie von den Medien: Obwohl zur achten Ausgabe des Symposiums eigens ein größerer Kongresssaal gewählt wurde, konnten nicht alle Anmeldungen bestätigt werden. Das Symposium war mit 250 Teilnehmern voll ausgebucht. Das Programm der eintägigen Veranstaltung begann mit einer Trend- und Marktanalyse durch RUNNER'S WORLD und wurde fortgesetzt von Präsentationen der Symposiumspartner On, Joe Nimble, Adidas, Arion sowie True Motion und Falke.
Viel Dynamik im Laufmarkt
Corona und die aktuelle Weltlage gingen auch am Läufermarkt nicht spurlos vorbei, erklärte Urs Weber in seinem einleitenden Vortrag. Dennoch konnte er ein positives Bild des Marktes zeichnen. Die Pandemie mit den teils Monate dauernden Lockdowns hätten viele Menschen neu zum Laufen gebracht, wovon einzelne Laufschuh-Hersteller mit Umsatzzuwächsen von bisweilen 40 bis 60 Prozent und der Fachhandel stark profitieren konnten. Laut Prognosen des Beratungsunternehmens McKinsey werde der weltweite Sportartikelmarkt in den nächsten drei Jahren je um 10 Prozent wachsen und ein Volumen von 395 Mrd. Euro erreichen, berichtete Weber. Dennoch sieht sich der Laufmarkt einigen großen Herausforderungen gegenüber. Eine davon ist die Nachhaltigkeit der Produkte, die in vielen Vorträgen und Diskussionen auf dem RUNNER'S WORLD Symposium thematisiert wurde.
Nachhaltigkeit und Performance
Weber präsentierte hierzu die Ergebnisse aus der RUNNER'S WORLD-Umfrage, wie Laufschuhmarken im Markt bezüglich der Nachhaltigkeit wahrgenommen werden. Bislang leider noch kaum musste er konstatieren. Eine Marke, die dies offensiv ändern will, ist On. Erst vor 13 Jahren gegründet, gehören die Schweizer heute zu den großen Playern im Markt, wachsen überdurchschnittlich und haben noch große Ziele. „Wir wollen weg von den fossilen Rohstoffen und unsere Produkte in eine Kreislaufwirtschaft überführen“, erklärte Nils Altrogge, Leiter Technology-Innovation bei On.
So versucht On biologisch basierte Rohstoffe einzusetzen. In einem Projekt konnte als „Proof of Concept“ gezeigt werden, dass es auch möglich ist, aus CO2 Emissionen die Mittelsohlenkomponenten für Laufschuhe zu fertigen. CO2-Emissionen werden dabei durch chemische Prozesse in den Grundstoff für EVA-Sohlen gewandelt. Statt Rohstoffe zu verbrauchen, würden so eigentlich schädliche Emissionen zu neuen Produkten. Während dies noch ein Zukunftsprojekt ist, wird mit dem Cloud-Neo und dem „Cyclon-Projekt“ bereits ein vollständig recycelbarer Schuh angeboten. Dazu gibt es ein neues Vertriebskonzept: Der Schuh wird als Abo-Modell angeboten; es ist der erste Laufschuh, den der Läufer nicht mehr kauft, um ihn zu besitzen. Wenn der Schuh verschlissen ist, wird der alte Schuh zum Hersteller zurückgeführt, geschreddert und liefert somit das Ausgangsmaterial für neue Schuhe. Der Abonnent erhält ein neues, recyceltes Paar.
Auch im Elitesport setzt sich On große Ziele. Möglichst schon bei den Olympischen Sommerspielen in Paris 2024, spätestens aber 2028 will man zu den Top-3 Marken in den Medaillenrängen gehören. Die Athleten im On Athletics Club, OAC, werden eng in die Produktentwicklung einbezogen. Ein Beispiel dafür ist die Sprinterin Alexandra Burghardt, die 2022 mit der Sprintstaffel Gold bei der Europameisterschaft in München gewann. Sie berichtete auf dem Symposium über die Zusammenarbeit mit On und wie sie ihre Erfahrungen und Bedürfnisse in die Schuhentwicklung einbringen konnte.
Die DNA von Adidas
Die enge Zusammenarbeit mit Athleten in der Entwicklung neuer Produkte steht auch bei Adidas im Mittelpunkt. „Den Athleten zuhören gehört zur DNA von Adidas“, erklärte Fabian Schweizer (Global Director Athlete Services). Das sei ein Grundprinzip des Firmengründers Adi Dassler gewesen und die Grundlage für den Erfolg der Marke.
Viele erste Plätze und viele schnelle Zeiten bei wichtigen Läufen zeigten, so Götz Hohaus, Senior Manager Brand & Product Learning, dass diese Strategie erfolgreich ist. Von der Entwicklung profitierte auch Marathonläuferin Miriam Dattke, die 2022 vierte bei den Europameisterschaften in München wurde und Gold mit der Mannschaft erreichte.
Verletzungsprophylaxe durch Laufschuhe ist möglich
Sebastian Bär blickt auf 40 Jahre Erfahrung in seinem Familienunternehmen in der Produktion von Schuhen zurück, deren Leistenform der Großzehe genügend Raum gibt. Dieses Prinzip hat er vor einigen Jahren auf Laufschuhe übertragen und die Laufschuhmarke Joe Nimble gegründet. Warum gerade die Großzehe für das Laufen und die Laufschuhe wichtig sind, erläuterte Biomechaniker und Lauftrainer Lee Saxby. Seit 50 Jahren bleibe die Verletzungshäufigkeit bei Läufern immer gleich hoch, erklärte Saxby, obwohl es viele verschiedene Konzepte gegeben habe, die alle die Verletzungshäufigkeit reduzieren sollten.
„Den Elefanten im Raum sieht man nicht“ erklärte Lee Saxby, denn bislang sei die Stellung der Großzehe im Schuh nicht ausreichend berücksichtigt worden. Werde diese durch eine enge Zehenbox nach innen abgelenkt, entstehe ein Hallux valgus, was sich negativ auf die Abrollbewegung und die Belastung im Vorfuß auswirke. Insbesondere in der Abstoßphase werde der Vorfuß dadurch instabil. Leider hätten inzwischen die meisten Läufer eine Fehlstellung der Großzehe, erklärte Saxby mit Verweis auf eigene Messungen bei Marathonläufern und aktuelle Studien.
Als Lösung bietet Joe Nimble Schuhe, die viel Platz im Zehenbereich bieten und eine natürliche Bewegung der Großzehe ermöglichen. Ein auf dem Symposium erstmals präsentierter „Toe Pilot“ - eine biomechanisch geformte Kunststoffschiene in der Zwischensohle - soll bessere Stabilität im Vorfuß in der Abstoßphase ermöglichen und besonders Läufern helfen, die schon Probleme durch ihre Großzehe haben.
Zu Gast auf dem Symposium war Ultraläufer João Andrade (Brasilien), der Joe Nimble-Laufschuhe beim Badwater-Ultramarathon im Death Valley trug, dem härtesten Ultralauf der Welt, bei dem bis zu 50 Grad Hitze erreicht werden. Die Schuhe hätten ihn nicht nur gut über die Distanz von 217 Kilometern getragen, berichtete Andrade. Im Gegensatz zu anderen Läufern, die acht bis zwölf Schuhe verschlissen, hätte sein Paar den ganzen Lauf gehalten.
Reduktion von Laufverletzungen im Fokus
Eine andere Erklärung für die gleich gebliebene Anzahl von Laufverletzungen lieferte Professor Gert-Peter Brüggemann in seinem Vortrag. Er stimmt mit Saxby überein, dass Schuhe die Läufer vor Verletzungen schützen sollten, denn viele Laufanfänger würden aufgrund von Verletzungen wieder mit dem Laufen aufhören. Brüggemann sieht jedoch die Reduktion der Hebelwirkungen und eine Verbesserung der Muskelaktivität als entscheidende Faktoren für die Vermeidung von Verletzungen. Ein wesentliches Problem sei das externe Adduktionsmoment auf das Knie, das für Verletzungen verantwortlich sei. Das sei leider durch den Versuch, Pronation mit Schuhen zu verhindern, noch verstärkt worden, weil dadurch der Kraftangriffspunkt aus dem Zentrum geschoben wurde und sich so der Hebel auf das Knie vergrößerte und das externe Adduktionsmoment verstärkte.
Die Muskelarbeit reduzieren
Brüggemanns Lösung ist die von ihm entwickelte Sohlentechnologie U-Tech der Laufschuhe von True Motion. Die U-Form an der Ferse und die darüber liegende Zwischensohle wirkten wie ein Trampolin, welches die auftretenden Kräfte in der Fersenmitte zentriert und dadurch die Hebelkraft reduziert. Die Sohlenkonstruktion erleichtere die Arbeit der Muskeln an Sprung- und Kniegelenk, erläuterte Brüggemann. Im Vergleich zu konventionellen Schuhkonzepten, so Brüggemann, seien bei den Trägern der U-Tech-Sohlenkonstruktion deutlich weniger Verletzungen zu erwarten.
Noch weiter reduzieren kann man die Verletzungshäufigkeit durch spezielle, für die True-Motion-Schuhe entwickelte Socken von Falke: „Socken werden immer noch unterschätzt“, erklärte Manon Schutter von Falke. Die neuen Socken, die in ihrer Konstruktion der U-Form der Schuhsohle entsprechen, helfen die auftretenden Kräfte zu zentrieren und die Belastung auf die Muskulatur und die Gelenke zu reduzieren.
Mit Analysedaten zum richtigen Schuh
Markus Hupach präsentierte für das in den Niederlanden gegründete Unternehmen Arion eine Analyseeinheit aus Druckmesssohle und 3D-Sensoren für Laufschuhe. Sie bilden die Basis des Arion-Laufcoaches zum Sammeln von Laufdaten, die auch zur Auswahl der richtigen Laufschuhe verwendet eingesetzt werden können. Die Einheit erhebt sowohl kinematische als auch kinetische Daten, misst also die Bewegungen und die auftretenden Kräfte. Im Handel soll damit eine schnelle Analyse möglich sein, die fundierte Daten für ein Verkaufsgespräch liefert, da die Analysedaten gleich mit Empfehlungen für den passenden Schuh verbunden werden.
40-jährige Erfolgsgeschichte
„Der Laufmarkt in Deutschland ist besonders“, hatte Urs Weber schon zu Beginn des RUNNER'S WORLD Symposiums erklärt. Eine dieser Besonderheiten ist die große Zahl an spezialisierten Laufsporthändlern, die sich ganz besonders um die Bedürfnisse der Läufer kümmern – und das teilweise schon seit Jahrzehnten. Zu Gast auf der Bühne im ICM-Saal präsentierte Manfred Xhonneux die Geschichte seines Runner Shop Aachen, den er vor 40 Jahren, im November 1982 eröffnet hatte. Er war damals zugleich der erste Sporthändler in Europa, der Nike-Produkte aus den USA anbot. Ebenfalls vor 40 Jahren eröffnete Rainer Ziplinsky in Kiel sein Geschäft Zippel’s Läuferwelt. Zu Gast war aber nicht Rainer, sondern sein Sohn, Paul Ziplinsky: Hier wurde die erfolgreiche Geschäftsübergabe bereits realisiert und eine Lösung für die im deutschen Mittelstand oft anzutreffende Nachfolgeproblematik gefunden.
Als Erfolgsrezept in Aachen sowie in Kiel sei die Leidenschaft und die Begeisterung für das Laufen zentral, betonten beide Ladeninhaber. „Wir verkaufen nicht, wir beraten“, brachte es Manfred Xhonneux auf den Punkt.
Nachhaltigkeit ist eine gemeinsame Aufgabe
Das Thema Nachhaltigkeit bestimmte die Podiumsdiskussion zum Abschluss des RUNNER'S WORLD Symposiums mit allen teilnehmenden Firmen. „Sind die Verbraucher weiter als die Hersteller?“, fragte Urs Weber. Viele seien bereit, mehr für nachhaltige Produkte zu zahlen. Es zeigte sich, dass alle Hersteller dieses Thema auf der Agenda haben. Die Umsetzung sei jedoch nicht einfach, vor allem, wenn man an Recycling und Kreislaufwirtschaft denkt. Das, so die einhellige Meinung, könnten die Hersteller nicht jeder für sich umsetzen. Auch wenn alle Wettbewerber seien, müsse man in diesem Bereich kooperieren, um sinnvolle Konzepte im Markt umsetzen zu können. In puncto Nachhaltigkeit wurde aus dem Publikum auch der Wunsch geäußert, die Hersteller möchten doch bitte – wie früher – wieder Schuhe bauen, die man reparieren kann oder deren Haltbarkeit länger ist als die vieler aktueller Schuhe.
RUNNER'S WORLD-Chefredakteur Martin Grüning zog ein positives Fazit: Die Nachfrage nach den begrenzten Plätzen beim Symposium sei deutlich höher gewesen als erwartet, die Plätze sehr früh ausgebucht. Auch herstellerseitig waren mehr Interessenten an Präsentationen da, als Zeit-Slots zur Verfügung standen. „Es war ein Event auf absolut höchstem Fachniveau, das in der Running-Branche unvergleichlich ist“, urteilt Grüning.
Einen ausführlichen Nachbericht des RUNNER'S WORLD Symposiums lesen Sie auch in der kommenden Februar-Ausgabe der RUNNER'S WORLD. Wir bedanken uns ganz herzlich bei der ISPO Munich, unseren Präsentations-Partnern und allen Besucherinnen und Besucher für die gute Zusammenarbeit und das Interesse.