Optimierung der persönlichen Leistungsentwicklung
So analysieren Sie Ihre Stärken und Schwächen

Erfahren Sie hier, wie Sie Ihre Selbsteinschätzung Ihrer Stärken und Schwächen vornehmen, Entwicklungspotenziale erkennen und dadurch Ihr Lauftraining optimieren.
Läufer mit hoher Leistungsfähigkeit
Foto: Getty Images

„Gnothi seauton“ lautet ein viel zitierter Sinnspruch aus der Antike, der meist als „Erkenne dich selbst“ übersetzt wird. Dahinter steckt die Einsicht der alten Griechen, dass wir Menschen (anders als die Götter) unvollkommen, sterblich und in unseren Fähigkeiten begrenzt sind. Diese Erkenntnis ist klug und wichtig und lässt sich auch auf den Sport übertragen: ­Jeder Mensch hat individuelle Stärken und Schwächen, und es ist wichtig, seine eigenen zu kennen, um sich bei allen sportlichen Herausforderungen richtig einschätzen und optimal vorbereiten zu können. Und dabei wollen wir Ihnen helfen: Wir zeigen Ihnen hier, wie Sie Ihre läuferischen Stärken und Schwächen erkennen und auf dieser Grund­lage Ihr Training und ­Ihre Lebensgewohnheiten so einrichten können, dass Sie mehr Spaß und Erfolg beim Laufen haben.

Zielbestimmung: Was haben Sie vor?

Läufer, aber auch Coaches neigen dazu, nach dem einen vermeintlich perfekten Trainingsplan zu suchen, der auf bekannten Trainingsprinzipien und bewährten Trainingssystematiken basiert und deshalb am besten geeignet erscheint, sich auf ein bestimmtes Ziel vorzubereiten. Nach dem Motto: je bewährter der Plan, desto sicherer der Erfolg. Und so laufen am Ende alle, die dasselbe Ziel haben, nach dem­selben Plan und absolvieren die gleichen x-fach erprobten Einheiten. Unglücklicherweise lässt sich der Erfolg im Sport aber doch nicht planen. Ein angestrebtes Ziel, wie etwa eine bestimmte Wettkampf-Endzeit, lässt sich nur dann durch systematisches Training erreichen, wenn der zugehörige Trainingsplan den aktuellen Leistungsstand und die individuellen Lebensumstände berücksichtigt. Dazu gehören zum Beispiel familiäre Umstände, Schlaf- und Ernährungs­gewohnheiten und die Regenerationsfähigkeit. Am Anfang steht also eine Selbsteinschätzung Ihrer Stärken, aber auch von Bereichen, in denen Sie Entwicklungspotenzial sehen.

Ein Schuss Realismus

Um sich realistische Ziele zu setzen, muss man zuerst einmal wissen, wo man gerade steht. Es ist wenig sinnvoll, sich vorzunehmen, die 50-Minuten-Marke über 10 Kilometer oder die 4:00-Stunden-Marke im Marathon zu unterbieten, wenn diese für Sie selbst bei härtestem Training nicht erreichbar sind.

Ein maßgeschneiderter Plan

Ein guter Trainingsplan orientiert sich nicht nur an Ihrem Leistungsziel für Ihr nächstes Rennen, sondern auch an Ihrem derzeitigen Leistungsstand. Er begleitet Sie Schritt für Schritt von dem Punkt, an dem Sie jetzt stehen, bis zum Tag X. Gerade am Anfang der Vorbereitung richtet er sich dabei stark nach Ihren persönlichen Bedürfnissen.

Konzentration auf das Wesentliche

Wir alle haben unsere beruflichen und privaten Verpflichtungen, die uns nur begrenzt Zeit für Sport oder andere Freizeitaktivitäten lassen. Zudem wollen wir als Läufer ja nicht nur trainieren, sondern auch Stabi- oder Krafttraining machen, uns gesund ernähren und nicht zuletzt gut regenerieren. Damit nichts davon unter den Tisch fällt, müssen Sie sich die Zeit gut einteilen und Schwerpunkte setzen.

Selbsteinschätzung: Wo stehen Sie?

Als Erstes sollten Sie den Ist-Zustand ermitteln. Überlegen Sie, welche Lebens­bereiche Einfluss auf Ihre Leistungsfähigkeit haben – von der körperlichen Fitness über die Psyche bis hin zu Ernährung und Lebenswandel. Versuchen Sie, sich selbst in jedem dieser Bereiche auf einer Skala von 0 bis 10 einzuschätzen, und überlegen Sie zudem, wie wichtig jeder dieser Bereiche für Ihren Erfolg ist. Geben Sie auch dafür Noten zwischen 0 und 10.

Grafische Auswertung Ihrer Stärken und Schwächen

Stärken und Schwächen im Diagramm zum Laufleistungsprofil
RUNNER'S WORLD

Das Diagramm oben zeigt beispielhaft, wie Ihre Selbsteinschätzung in verschiedenen Bereichen, die für eine gute Laufleistung relevant sind, aussehen könnte (rot). Analog in Blau ist eingezeichnet, welche Bedeutung Sie den verschiedenen Parametern Ihrer ­persönlichen Leistungsentwicklung beimessen könnten. So bekommen Sie einen anschaulichen Eindruck davon, wo ­Ihre größten Defizite liegen – nämlich dort, wo die beiden Linien am stärksten voneinander abweichen. Markieren Sie schließlich jene drei bis vier Faktoren, die Sie als wesentlich und wichtig für Ihren Lauferfolg definiert haben, in denen der Ist-Zustand aber am weitesten vom Soll entfernt ist.

Hier finden Sie ein PDF zum Ausdrucken und Eintragen Ihrer Selbsteinschätzung und Ihrer Entwicklungsbereiche:

Diagramm zur Auswertung des Leistungsprofils
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Beachten Sie bei der Selbsteinschätzung folgende Tipps:

Eine solide Basis

Es empfiehlt sich, zur Selbsteinschätzung und -analyse auf bewährte Quellen und Instrumente zu vertrauen, die intuitiv nachvollziehbare, reproduzierbare Ergebnisse liefern und nicht nur abstrakte Werte, von denen man nicht weiß, wie sie zustande kommen, oder die grundlos schwanken, wie etwa die VO2max-Angaben oder der Bestzeitenkalkulator Ihrer GPS-Uhr. „Weiche“ Parameter wie das eigene Lauf- und Körpergefühl sind oft verlässlicher als scheinbar objektive Daten und Fakten.

Das große Ganze betrachten

Es ist ­wenig sinnvoll, sich mit Feinheiten der Trainingssystematik zu beschäftigen, solange man nicht die grundlegenden Voraussetzungen für ein sinnvolles Lauftraining geschaffen hat. Kümmern Sie sich ­also zuerst um Basics wie Zeitmanagement, Regeneration und gesunde Ernährung, bevor Sie ins Detail der Trainingsplanung gehen.

Fragen Sie Experten

Nutzen Sie die Expertise von Fachleuten, um Ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und kluge Schlüsse daraus zu ziehen. Ein guter Physiotherapeut kann Ihnen über individuelle körperliche Voraussetzungen und muskuläre Dysbalancen Auskunft geben, ein Ernährungsberater Ihnen helfen, Ihre Essgewohnheiten so zu gestalten, dass Leistung und Regeneration nicht behindert werden, und ein (Sport-)Psychologe Sie darin unterstützen, Erfolgsdruck zu minimieren und sich Herausforderungen zu stellen, ohne dabei den Spaß am Sport zu verlieren.

So heben Sie Ihre Entwicklungspotenziale

Haben Sie Ihren persönlichen Test ­gemacht? Dann erarbeiten Sie nun für ­jeden der markierten Faktoren einen Plan zur Überwindung der Defizite sowie zur Überprüfung Ihrer Fortschritte. Beachten Sie dabei, dass Ihre Ziele konkret, messbar, zeitlich umgrenzt und realistisch, also erreichbar sein sollten.

Beispiel: „Ich will meine Schlaf­qualität verbessern, und zwar bis Ende April. Dazu werde ich mir angewöhnen, konsequent um 22:30 Uhr ins Bett zu gehen und in den zwei Stunden davor nichts mehr zu essen, keinen Alkohol oder Kaffee zu trinken und im Bett weder fernzusehen noch mein Smartphone zu benutzen, sondern stattdessen ein Buch zu lesen. Zur Kontrolle werde ich meinen Schlaf mithilfe einer App überwachen.“

Es gibt viele altbewährte wie auch moderne Möglichkeiten, sich selbst und seine Aktivitäten während des ­Tages und der Nacht zu überwachen. Das kann nützlich sein, um nötigenfalls gegen­zusteuern, wobei man sich da­rüber im Klaren sein sollte, dass sportliche oder gesundheitliche Entwicklungen selten geradlinig verlaufen. Es kann eine Weile dauern, bis Fortschritte etwa bei der Ausdauer, beim Selbstvertrauen oder bei den Ernährungsgewohnheiten sichtbar werden. Die folgenden Tipps helfen Ihnen.

1) Für guten Schlaf sorgen

Nichts ist so wichtig für die Regeneration wie guter Schlaf. Andererseits sollten Sie die Daten Ihres Schlaftrackers auch nicht überbewerten. Wenn Sie im Allgemeinen gut schlafen, also problemlos einschlafen, ohne größere Unterbrechungen durchschlafen und sich morgens meist gut erholt fühlen, dann ist alles in Ordnung. Wenn Sie aber Einschlafprobleme haben, regelmäßig nachts längere Zeit wach liegen, dann kann es sinnvoll sein, mit einem Tracker zu überprüfen, ob Änderungen an Ihren Einschlafgewohnheiten etwas am Missstand ändern.Tipp: Schlaf-Apps werden zwar immer genauer und verlässlicher, aber ein Schlaftagebuch zu führen, in dem Sie jeden Morgen notieren und zum Beispiel mit Schulnoten oder auf einer Skala von 0 bis 5 bewerten, wie viele Stunden Sie geschlafen haben, wie oft Sie nachts wach geworden sind und wie Sie sich beim Aufwachen fühlen, ist ebenso effektiv.

2) Trainingstagebuch führen

Ein gut gepflegtes Trainingstagebuch ist für Läufer die beste Möglichkeit, die Entwicklung der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit wie auch der Gemütslage zu kontrollieren und zugleich seine Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung im Nachhinein zu überprüfen.Tipp: Online-Tools wie Strava sind eine große Hilfe bei der Dokumentation des eigenen Trainings. Aber nur, wenn Sie auch die vorhandenen ­Ru­briken ausfüllen, in denen nach ­Ihrem subjektiven Gefühl und Be­finden ­gefragt wird, ergibt sich da­-raus mit der Zeit ein vollständiges Bild. Zur Aufzeichnung schwer messbarer, aber wesentlicher Faktoren wie der Befindlichkeit eignet sich ein „analoges“ Trainingstagebuch in Papierform eventuell sogar besser.

3) Testrennen absolvieren

Die beste Möglichkeit zur Messung der eigenen Leistungsfähigkeit und damit zur Überprüfung erzielter Fortschritte ist die Teilnahme an einem Wettkampf. Kein Messgerät und keine Laboranalyse kann all die dafür relevanten Faktoren so zuverlässig erfassen und analysieren wie ein Praxistest. Tipp: Damit Sie sich nicht zu oft dem mit offiziellen Wettkämpfen verbundenen Stress (Meldung, Anreise, Vor-Start-Nervosität) aussetzen müssen, sollten Sie alle drei bis vier Wochen ­einen ­privaten Testlauf über eine zum Wettkampfziel passende Distanz ansetzen, bei dem Sie alles geben. Für einen 10-Kilometer-Wettkampf kann dies ein 5.000-Meter-Lauf auf der Laufbahn sein, für einen Marathon ­eine flache 10-Kilometer-Strecke im Park.

4) Herzfrequenz messen

Die Herzfrequenz ist ein wesentlicher Parameter der Trainingssteuerung, aber auch ein guter Gradmesser für die Leistungsentwicklung: Je schneller Sie – nach einigen Wochen regelmäßi­gen Trainings – mit einer bestimmten Herzfrequenz laufen können (oder je ­niedriger Ihr Puls bei gleicher Geschwindigkeit), desto fitter sind Sie. Tipp: Laufen Sie zum Beispiel alle zwei Wochen 40 Minuten in einem vorgegebenen zügigen Tempo, und beobachten Sie, ob Ihre Herz­frequenz von einem Probelauf zum nächsten sinkt oder steigt. Sinkt sie, hat sich Ihr Trainingszustand verbessert, steigt sie, hat er sich verschlechtert – oder Sie sind akut krank.

5) Beweglichkeit verbessern

Nicht alle Läufer sind unbeweglich wie ein Klotz oder steif wie ein Stock, aber viele täten gut daran, mit Dehnübungen und Faszienmassagen ihre Beweglichkeit zu verbessern und auf diese Weise ihr Verletzungsrisiko zu reduzieren. Ein einfacher Test kann ­Ihnen zeigen, ob Sie es nötig haben.

So geht’s:

  • Stellen Sie sich vor eine Wand (mit dem Gesicht zur Wand) und platzieren Sie ­einen Fuß so, dass die Zehenspitzen die Wand berühren.
  • Drücken Sie nun auch das Knie des Beins gegen die Wand.
  • Nun schieben Sie den Fuß langsam zurück (von der Wand weg), bis Sie merken, dass sich die Ferse des Fußes vom Boden hebt.
  • Messen Sie an dem Punkt, an dem sich gerade noch nicht die Ferse hebt, den Abstand zwischen Wand und Zehenspitzen.

Auswertung:

  • unter 5 cm: unflexibel
  • 5 bis 10 cm: normal beweglich
  • über 10 cm: sehr flexibel

6) Muskulatur kräftigen

Ein Läufer muss keinen gewaltigen Bizeps mit sich herumschleppen, sollte aber zumindest eine stabile Rumpf- und Hüftmuskulatur ­haben. Das schützt vor vorzeitiger Ermüdung und einem erhöhten Verletzungsrisiko. Die hintere Oberschenkelmuskulatur ist eine der wichtigsten Muskelgruppen für die Laufbewegung. Testen Sie ihre Kraft und trainieren Sie sie, wenn nötig.

So geht’s:

  • Legen Sie sich rücklings vor einen Stuhl.
  • Platzieren Sie einen Fuß mit der Ferse auf dem Stuhl und strecken Sie das andere Bein in die Luft.
  • Stemmen Sie sich in einem etwa zweisekündigen Rhythmus, sooft Sie können, in die Brücke.

Auswertung:

  • weniger als 20-mal: Daran müssen Sie ­arbeiten (diese Übung berücksichtigen!)
  • 20 bis 30: normal
  • über 30: sehr gut

7) Ruheherzfrequenz beobachten

Je fitter Sie werden, desto stärker und größer wird Ihr Herz, wodurch es in gegebener Zeit mehr Blut durch Ihren Körper pumpen kann. Die Folge: Mit der Zeit sinkt Ihr Ruhepuls.Tipp: Nehmen Sie regelmäßig morgens gleich nach dem Aufwachen Ihren Puls. Ein längerfristiges Absinken des Ruhepulses spricht für eine gesteigerte Fitness, kurzzeitig er­höhte Werte dagegen für eine akute Krankheit wie einen Infekt oder für Übertraining.