Knapp 3:59,7 Minuten pro Kilometer hätte Florian Neuschwander bei seinem 100-Kilometer-Laufband-Weltrekordversuch am Samstag, den 30. Januar benötigen dürfen. Damit gab sich der im Saarland geborene Ultra-Marathon-Läufer jedoch nicht zufrieden, lief durchschnittlich jeden Kilometer acht Sekunden schneller und unterbot den alten Laufband-Weltrekord in 6:26:14 Stunden um rund 13 Minuten.
Weltrekordjagd-Idee entstand im Herbst
Die Idee der #beat100flow Challenge entstand im Herbst, sodass die sportlichen wie organisatorischen Vorbereitungen im Oktober begannen. Zwölf Wochen später war der große Tag gekommen und in der Turnhalle in Nußdorf in Oberbayern alles angerichtet. Elf Monate nach seinem 50-Kilometer-Laufband-Weltrekord, der später inoffiziell von Mario Mendoza Jr. unterboten wurde, drehte Neuschwander den Spieß um und griff – aufgrund der bestehenden Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen ebenfalls inoffiziell – den 100-Kilometer-Laufband-Weltrekord von Mendoza an. Um 9 Uhr startete Florian Neuschwander offensiv, aber nicht zu offensiv, indem er ein Tempo von 3:51 Minuten pro Kilometer wählte. Später reduzierte er dies um sieben Sekunden, um kein Risiko einzugehen, schließlich war der Vorsprung inzwischen auf mehrere Minuten angewachsen und der Wunsch, den Weltrekord zu unterbieten, nach wie vor groß.
Tausende drücken Neuschwander die Daumen
Kilometer um Kilometer lief Neuschwander und machte einen guten Eindruck. Einen Anteil daran hatten auch die 10.000 motivierenden Nachrichten, die während der knapp sechseinhalb Stunden auf der Social Wall zu sehen waren. Gleich drei Bildschirme hatten die Organisatoren vor dem Laufband positioniert, damit ausreichend Platz für motivierende Worte gewährleistet war. Ebenfalls motivierend und gleichzeitig unterhaltend waren auch die Beiträge des Moderatoren-Duos Hartwig Thöne und Till Schenk. Es überraschte folglich nicht, dass die sportliche Ausnahmeleistung in Kombination mit aller zusätzlichen Unterhaltung tausende Menschen begeisterte, die das Rennen live mitverfolgten. Den von Garmin über www.beatyesterday.org und YouTube gestreamte Weltrekordversuch verfolgten insgesamt 37.300 Interessierte. Mit Neuschwander auf die Zielgerade der 100 Kilometer gingen derweil 6.200 Zuschauer, was den Höchstwert darstellte.

Mit Schlusssprint zum Weltrekord
Zuschauer, die dachten, dass sich der 40 Jahre alte Spitzensportler am Ende eines langen Rennens über die Ziellinie quälen müsse, wurden überrascht. Deutlich unter dem Weltrekord liegend erhöhte Neuschwander das Tempo für die letzten Meter deutlich. Laut seiner Uhr lief er den 100. und somit letzten Kilometer in beeindruckenden 3:25 Minuten. Somit stoppte die Uhr nach 6:26:14 Stunden. 69.582 Schritte hatte Neuschwanders Laufuhr in dieser Zeit gezählt. Bei seinem zweiten 100-Kilometer-Rennen konnte Florian Neuschwander seine persönliche Bestzeit, die er bei den 100-Kilometer-Weltmeisterschaften auf der Straße aufgestellt hatte, um ca. 23 Minuten unterbieten. Den 1994 von Kazimierz Bak auf der Straße aufgestellten deutschen Straßen-Rekord über 100 Kilometer verpasste Neuschwander derweil um nicht einmal zwei Minuten. Aber Experten wissen, dass Straßen- und Laufbandzeiten nicht direkt vergleichbar sind.
100 Kilometer, Pizza und viel Lob
Nachdem die 100 Kilometer geschafft und bejubelt waren und Florian Neuschwander auf dem Laufband sitzend mit einer veganen Pizza neben sich (die er allerdings kalt werden ließ) etwas zur Ruhe gekommen war, erklärte er, dass er mit seiner Leistung sehr zufrieden sei. Dass er den deutschen Rekord, der nicht wirklich ein Ziel war, um knapp zwei Minuten verpasst hatte, sei zudem nicht schlimm, schließlich hätte dieser sowieso nicht gezählt. Einen weiteren Rekord, den sich Neuschwander inoffiziell sicherte, war hingegen der deutsche Rekord im 6-Stunden-Lauf. Darüber hinaus zeigte er sich über den gesamten Ablauf des Events erfreut: „Ich hätte gar nicht gedacht, dass man so etwas Krasses auf die Beine stellen kann. Das war schon mega!“ In der Folge bedankte er sich bei allen, die großen Einsatz in die Organisation und Durchführung des Rennens gesteckt hatten.

Heim-WM 2022 könnten ein weiteres Karriere-Highlight werden
Dass er mit seinem Rennen tausende Laufbegeisterte ansprechen konnte, kommentierte der inzwischen in Bayern lebende Neuschwander mit einem Augenzwinkern: „Für so etwas Langweiliges wie Laufen ist das schon ziemlich gut.“ Danach führte er fort: „Laufband ist für jeden, der die Natur liebt ziemlich langweilig. Trail finde ich halt immer noch geil. Mein Plan ist es den Speed von einem flachen Hunderter irgendwann mal noch auf einen Trail zu bringen. Das ist mir zwar bisher noch nicht gelungen, aber ich hoffe, dass es irgendwann mal noch klappt.“ Auch wenn Neuschwander den deutschen 100-Kilometer-Straßenlauf-Rekord sowie die Teilnahme an Ultra-Trail-Rennen als nächste Ziele nannte, ist nicht damit zu rechnen, dass man ihn zukünftig nur bei extra für ihn organisierten Läufen bzw. bei Trail-Rennen sehen wird. Auch die 100-Kilometer-Weltmeisterschaften, die 2022 in Berlin stattfinden sollen, nannte Neuschwander, der in den letzten zwölf Wochen nach eigener Aussage meist 100 bis 120 Wochenkilometer gelaufen war, als nächstes Ziel. Mit Paul Schmidt-Hellinger & Co. darf sich Neuschwander über ähnlich schnelle Mitstreiter freuen, sodass gemeinsam eine sehr gute Mannschaftsleistung möglich sein könnte.
Wings for Life World Run wartet
Welche Läufe Neuschwander, der in den vergangenen Jahrzehnten viele Erfahrungen über die unterschiedlichsten Distanzen sammeln konnte, zudem noch reizen würden, beantwortete er klar: „UTMB wäre ein großes Ziel, aber da fehlen mir die Punkte. Irgendwann möchte ich ihn aber laufen. Und natürlich nochmal zum Western States.“ Einen Angriff auf den inoffiziellen 50-Kilometer-Laufband-Weltrekord plane er hingegen nicht. Erst kürzlich hatte er seine persönliche 50-Kilometer-Bestzeit bei einer seiner zahlreichen Laufband-Trainingseinheiten der letzten Monate in 2:51 Stunden unterboten. Eine weitere Steigerung wäre dem vielseitig talentierten Läufer zweifelsohne zuzutrauen. Statt eines Angriffs auf diverse 50-Kilometer-Rekorde wartet als nächstes Highlight der Wings for Life World Run, dem Neuschwander in den vergangenen Jahren stets seinen Stempel aufdrücken konnte. Einerseits war er fast immer unter den besten Fünf der Welt zu finden und gewann mehrfach in Deutschland, andererseits bewegte er Jahr für Jahr tausende Läufer, die sich seinem Team anschlossen. Zum großen Wurf, dem globalen Sieg, hatte es bislang jedoch noch nie gereicht. Anfang Mai wird Florian Neuschwander dieses Ziel erneut in Angriff nehmen. Es wäre dem sympathischen Neuschwander zu gönnen, dass er 2021 auch dieses Ziel erreicht. Sollte es dieses Jahr nicht klappen, wird man Florian Neuschwander aber bestimmt auch 2022 wieder an der Startlinie des Wings for Life World Run sehen.