Guido Sander, 46, Industriekaufmann aus Wagenfeld (Niedersachsen) war früher ein erfolgreicher Unternehmer in der IT-Branche. Das brachte jedoch einen ungesunden Lebensstil mit langen Arbeitszeiten, wenig Bewegung und zu viel Fast Food mit sich. 2015 wog Guido 193 Kilo – und schaffte gerade noch rechtzeitig die Kehrtwende. Durch eine Umstellung seiner Ernährung und seines Lebens nahm er in den ersten zehn Monaten bis auf 93 Kilo ab. Dann begann er zu laufen.
„Mein Körper war mir peinlich. Ich wollte nicht, dass Kollegen meiner Frau denken: Was hat die für einen dicken Mann“
„Mit diesem Körper werde ich meinen 50. Geburtstag wahrscheinlich nicht erleben – das wurde mir vor vier Jahren klar, als ich mein Höchstgewicht von 193 Kilo wog“, sagt Guido Sander. Seine Blutwerte waren damals lebensbedrohlich. Er kann sich noch gut erinnern an die Schicksalsnacht, die zu seiner Lebenswende führte. „Ich konnte nicht schlafen, jede Stunde kontrollierte meine Frau Renate meinen Blutzuckerspiegel. Sie ist Krankenschwester und kennt sich glücklicherweise damit aus. Am Tag zuvor ging es mir sehr schlecht, mir war schwindelig, ich hatte Herzrasen. Renate war kurz davor, den Notarzt zu rufen“, erzählt der zweifache Vater.
Aber er wollte nicht ins Krankenhaus, in dem seine Frau arbeitete. „Mein Körper war mir peinlich. Ich wollte auf keinen Fall, dass mich ihre Kollegen sehen und denken: Was hat die für einen dicken Mann!“, erzählt er. Guido erinnerte sich an seinen Großvater, der an den Folgen von Diabetes gestorben war. Er wollte leben. „Mir wurde in dieser Nacht klar, dass ich mein Leben radikal ändern musste.“
Zuerst stellte Guido seine Ernährung um: „Ich nahm den industriell gefertigten Zucker komplett raus.“ Kohlenhydrate und Fruchtzucker reduzierte er ebenfalls stark. Ein paar Tage später wog er schon drei Kilo weniger. Das spornte ihn an. Auf Pizza, Burger und fettiges Fleisch verzichtete er fast ganz. Zeitweise ernährte er sich sehr asketisch mit nur rund 500 Kalorien pro Tag. Heute isst er nach dem Motto: grün, grüner, am grünsten. Seine Frau zieht mit: „Wir bereiten vor allem viel Gemüse zu“, berichtet er.
Guido begann, Sport in seinen Alltag zu integrieren: Radfahren und Schwimmen standen fortan regelmäßig im Wochenkalender. Sein Ehrgeiz half ihm: Wenn er etwas anpackt, dann richtig. Guido verkaufte Teile seiner Firma und zog mit seiner Familie zurück auf den elterlichen Hof. Drei Esel, ein Hund und zwei Katzen leisten ihnen heute Gesellschaft. Auf dem über 7500 Quadratmeter großen Grundstück gibt es immer etwas zu tun; Guido ist ständig in Bewegung. Frische Landluft, Hof- und Stallarbeit sind heute sein Alltag. Er und seine Frau leben größtenteils vom Ersparten. Die Kinder sind bereits erwachsen und aus dem Haus. Mit diesem Lebenswandel auf ganzer Linie schaffte Guido es, in zehn Monaten 100 Kilogramm abzuspecken.
Mit 93 Kilo begann der 1,87 Meter große Mann zu laufen. „Meine erste Runde lief ich am 6. Januar 2017, es war eiskalt. Ich schämte mich ein bisschen vor den Nachbarn, deshalb ging ich abends in der Dunkelheit los.“ Laufen war ihm früher immer verhasst; als Kind sammelte er die ersten schlechten Erfahrungen im Schulunterricht: „Sport war für mich ein rotes Tuch, ich blamierte mich oft.“ Ganz anders verlief sein Laufeinstieg: Auf Anhieb schaffte er dreieinhalb Kilometer am Stück, denn mithilfe von Radfahren und Schwimmen hatte er bereits seine Ausdauer geschult.Guido spürte, dass dieser Sport ihm guttat. Er steigerte die Umfänge, bis er fünf- bis sechsmal pro Woche trainierte. Seinen ersten Halbmarathon auf Mallorca absolvierte er knapp zehn Monate nach dem Laufeinstieg in 1:55 Stunden.
„Ich möchte nie wieder dick werden! Ich bin leistungsstärker, fitter und motivierter denn je“
Auf den Palma-Halbmarathon 2016 und den Berlin-Marathon 2017 bereitete Guido sich dann schon nach Plan vor. Als das Ergebnis 2017 nicht seinen Erwartungen entsprach, suchte er sich mit Thomas Eickmann einen professionellen Trainer. „Momentan laufe ich 90 bis 120 Kilometer pro Woche, ganz selten mit Vereinskollegen, dann dauert die Anfahrt zu lange. Ich trainiere zu 80 Prozent allein, meine Frau ist meine größte Motivation, sie nimmt die Zeiten bei den Intervallen.“Seinen ersten Marathon finishte Guido in 4:15 Stunden. Den Köln-Marathon ein Jahr später lief er bereits fast eine Stunde schneller, in 3:17 Stunden. Kurz zuvor hatte er bei den Deutschen Meisterschaften den 10-Kilometer-Lauf in Siegburg in 41:06 Minuten geschafft (28. in seiner Altersklasse M45).
Seine Metamorphose vom übergewichtigen Workaholic zur Laufgazelle schaut er sich jeden Tag im extra eingerichteten Fitnessstudio an. Dort steht ein Banner von ihm in Lebensgröße, aus alten Zeiten. „Das ist für mich ein Mahnmal. Wenn ich es ansehe, bin ich traurig, dass ich es so weit habe kommen lassen. Ich war damals ein trauriger und unzufriedener Mensch. Ich möchte nie wieder so dick werden! Ich bin leistungsstärker, fitter und motivierter denn je“, berichtet er. Pläne und neue Ziele hat er bereits im Kopf und mit seinem Trainer abgestimmt. Jetzt geht es an die Umsetzung. „Da geht noch einiges!“, sagt er.