Trainingstagebuch
Strecke: Halle (Saale)
Wetter: Sonnig, 22 Grad
Distanz: 5 Kilometer
Zeit: 30:30 Minuten
Tempo: 6:05 Min./km
Ein Kompliment vorweg: Du siehst rank und schlank aus! Was tust Du noch für Deine Fitness?
Ich habe tatsächlich mein Gewicht mehr oder weniger gehalten. Liegt ein bisschen auch in den Genen, aber ich treibe auch noch weiterhin viel Sport. Gewöhnlich spiele ich dreimal wöchentlich Fußball, in verschiedenen Mannschaften, meist montags, mittwochs, freitags. Donnerstags gehe ich laufen und sonntags seit vielen Jahren mit meiner Frau gemeinsam saunieren. Und durch die Sportgeschäfte, die ich betrieben habe – inzwischen hat das mein Sohn Falk übernommen – musste ich mich auch ein bisschen mit Tennis und Golf auseinandersetzen. Dazu kommen regelmäßige Radtouren, meist mit Freunden.
Das hört sich nach täglichem Sport an.
Vier- bis fünfmal pro Woche Sport werden es auf jeden Fall. Und ich brauche das auch gesundheitlich. Wenn man nach zirka 250.000 gelaufenen Kilometern mal plötzlich nichts mehr macht, dann spürt man ein Unwohlsein schon nach zwei, drei Tagen ohne Sport. Meine Frau sagt dann ‚Du bist unausstehlich!‘. Natürlich mache ich mich beim Sport nicht mehr verrückt, lasse mir beim Laufen Zeit, aber ohne geht es auf gar keinen Fall.
In den nächsten Wochen finden die Olympischen Spiele statt. Bist Du als Doppel-Olympiasieger da in irgendeiner Form involviert? Wärest Du dorthin gefahren?
Offiziell hätte und habe ich dort keine Aufgaben, aber eigentlich wollte ich privat dort hinreisen. Erstens wohnt ein Neffe mit Frau und Kind in Tokio, und zum anderen hatten wir mit einer Radgruppe die Idee, einen Besuch der Olympischen Spiele mit unserer jährlichen Radtour zu verbinden. Also ich hatte schon Lust und Plan, mir die Spiele in Tokio anzuschauen, aber Corona hat dann durch alle Pläne einen Strich gemacht.

Du hast zu Japan vermutlich auch aufgrund deiner vielen Marathonstarts dort eine enge Verbindung?
Die Reisen nach Japan waren immer etwas Besonderes, trotz der Rennen auch so etwas wie ein ‚aktives Luftholen‘. Tatsächlich verbinden mich mit dem Land also viele wichtige, aber auch tolle Lauferlebnisse. Manch eine Qualifikation für große Meisterschaften musste ich dort bei den traditionellen Rennen in Fukuoka oder Tokio abliefern. Und ich habe auch die große Hingabe für unseren Sport und die perfekte Organisation dort immer genossen und bewundert.
Gibt es nach Japan denn auch noch persönliche Sportler-Kontakte?
Mit Toshihiko Seko (u. a. vierfacher Sieger des Tokio-Marathons 1978-1980, 1983, Bestzeit: 2:08:27 h, Anm. der Red.) hatte ich nochmal wieder Kontakt. Er hat in Japan eine eigene Talk-Show, in der er sich auf die Spuren vergangener Sport-Stars macht, und in dem Rahmen besuchte mich vor zwei Jahren sein Kamera-Team hier in Halle und ich wurde Gast seiner Sendung.
Du bist Doppel-Olympiasieger im Marathon, Dein Wort hat Gewicht, da möchte man natürlich wissen, wie Du die aktuelle Entwicklung der Laufleistungen beurteilst?
Die Leistungsentwicklung ist für mich sehr schwierig einzuordnen, wie sagt man immer so schön ‚Die Zeiten haben sich geändert‘: von der Ausrüstung bis zu den Lebensumständen hat sich seit meinen aktiven Jahren in den 1970er, 1980er Jahren vieles verändert. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass die Schere zwischen denen, die Spitzenleistungen bringen, und der Sportlichkeit der ‚breiten Masse‘ heute sehr viel mehr auseinandergeht. Nur weil der Marathon-Weltrekord bei 2:01 Stunden steht, heißt das ja nicht, dass die Menschen an sich leistungsfähiger geworden sind. Bei uns war der tägliche Bewegungsanteil ein sehr viel größerer als bei der heutigen Jugend.
Aber was sagst Du zu der Leistungsexplosion im Marathon speziell?
Ich denke, diese Entwicklung hat sehr viel mit der großartigen Konzentration der Lauftalente in großen, dynamischen Trainingsgruppen, speziell in Kenia und Äthiopien, aber auch in Japan oder den USA, zu tun. Dazu sind die Strukturen in diesen Trainingszentren professionalisiert worden. Das betrifft sowohl die Ernährung, wie aber auch die therapeutischen, regenerativen Maßnahmen. Wir haben im Sportsystem der DDR, zumindest, was das Organisatorische betraf, auch so professionell arbeiten können. Heute ist es für einen deutschen Topläufer, der auf dem Sprung ist, schon schwieriger, eine entsprechende Unterstützung zu erhalten.
Hat sich denn an der Trainingssystematik von damals bis heute viel verändert?
Grundsätzlich, also im Großen und Ganzen, nicht. Es gibt die beiden Parameter ‚aerob‘ und ‚anaerob‘, mit denen man im Ausdauertraining spielen muss. Es gibt nichts, was ein Intervalltraining ersetzt. Vielleicht traut man sich ganz aktuell nochmal wieder akzentuierter zu trainieren, oder einfach: härter. Das betrifft ja speziell die langen Läufe, aber auch da gilt: Raketenwissenschaft ist das nicht. Es kommt vor allem darauf an, für jeden das richtige Maß zu finden. Maximale Belastung, aber nicht Überlastung, das ist das Ideal.
Apropos ‚hart trainieren‘, stimmt es, dass Du zwei Tage vor deinem zweiten Olympiasieg in Moskau im Training 10.000 Meter in 28:05 Minuten gerannt bist?
28:00… ja. Wir hatten von den Ruderern übernommen, nochmal zwei Tage vor der Hauptbelastung Herz-Kreislauf maximal zu fordern – nur die Muskulatur brauchte anschließend schnelle und beste Pflege.
Wenn Du jetzt nochmal jung wärest und so trainieren könntest wie damals, würdest Du dann noch schneller laufen (Waldemar Cierpinskis Marathonbestzeit steht bei 2:09:55 h, Anm. d. Red.)?
Ich denke schon, schau dir nur die heutigen Straßenbeläge an... Leider konnte ich meine Leistung nicht ganz ausreizen, der Boykott der Olympischen Spiele in Los Angeles, 1984, durch die DDR stand dagegen. Ein Jahr vor LA, 1983, habe ich bei den Weltmeisterschaften in Helsinki eigentlich nur die Konkurrenz austesten wollen, und ich hatte vom DDR-Verband die Genehmigung, bei Kilometer 35 auszusteigen. Ich wollte einfach vermeiden, als einer der Favoriten nach LA zu fahren. Ich stieg dann doch nicht aus und ließ es aber meines Erachtens locker auslaufen – und wurde dennoch völlig überraschend Dritter. Danach stand der Plan, in Los Angeles nochmal um den Sieg zu laufen, und als Zeitziel stand eine Weltbestzeit im Plan meines Trainers Walter Schmidt. Gut, es kam dann anders…

Am Schluss nochmal eine banale Frage an Marathon-Legende und Sportfachhändler zugleich: welche Rolle spielen die neuen Carbonschuhe für die derzeitige Leistungsentwicklung?
Für Spitzenläufer können die Mischung aus geringstem Gewicht und großer Reaktivität ganz bestimmt was bringen. Aber ob dies wirklich diese Leistungsvorteile für alle und jeden Läufer bringt, kann ich tatsächlich nicht sagen. Und das Beste: Damit muss ich mich auch nicht mehr auseinandersetzen… Privileg des Alters.