Personalisierte Ernährung: Wie dein Genotyp deine sportliche Leistung beeinflusst

Essen nach der eigenen Genetik
Personalisierte Ernährung

ArtikeldatumVeröffentlicht am 22.10.2025
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Nutrigenetik
Foto: Getty Images

Warum funktioniert der Haferbrei vor dem Training für die einen, während andere davon nur Seitenstechen bekommen? Antworten darauf könnten in unseren Genen liegen. Die Wissenschaft der Nutrigenetik will genau das entschlüsseln: wie unsere genetische Ausstattung beeinflusst, welche Nährstoffe wir besonders gut verwerten, wie schnell wir Energie bereitstellen – und wie wir uns nach Belastung erholen. Die sogenannte personalisierte Ernährung verspricht, diese genetischen Unterschiede zu nutzen, um Ernährung individueller, gesünder und leistungsorientierter zu gestalten. Doch wie funktioniert das – und wie viel davon ist wirklich wissenschaftlich belegt?

Was bedeutet personalisierte Ernährung?

Ziel der personalisierten Ernährung ist es, deine Essgewohnheiten so abzustimmen, dass sie zu deinem Genotyp und deinem individuellen Stoffwechsel passen. Du befolgst hierbei also nicht allgemeine Empfehlungen, wie „Iss mehr Proteine“ oder „Verzichte auf Zucker“, sondern richtest deine Ernährung nach deinem eigenen Körper.

Jeder von uns verstoffwechselt Makro- und Mikronährstoffe anders und hat demzufolge andere Bedürfnisse. Grundlage dessen sind Erkenntnisse aus Nutrigenetik und Nutrigenomik: Kleine genetische Unterschiede beeinflussen, wie gut bestimmte Enzyme arbeiten, wie du Energie gewinnst, speicherst und wiederherstellst – und damit auch, wie du dich beim Laufen fühlst, erholst und Leistung abrufen kannst. Die personalisierte Ernährung nutzt deine tägliche Lebensmittelwahl als Werkzeug, das zu deinen biologischen Stärken passen sollte und mögliche Schwachstellen ausgleicht.

Wissenschaftlicher Hintergrund: Gene, SNPs und Stoffwechsel

Unsere Gene liefern den Bauplan dafür, wie der Körper funktioniert – und damit auch dafür, wie er Nährstoffe aufnimmt, verarbeitet und speichert. In der Nutrigenetik geht es darum, wie genetische Varianten – genauer sogenannte SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms) – diese Prozesse beeinflussen. SNPs sind minimale Veränderungen in der DNA, die dazu führen können, dass Enzyme unterschiedlich aktiv sind. Das erklärt, warum manche Menschen Kohlenhydrate besonders effizient verstoffwechseln, während andere schneller Fett als Energiequelle nutzen oder stärker auf Koffein reagieren. Für den Stoffwechsel bedeutet das: Zwei Läuferinnen können sich identisch ernähren – und dennoch völlig unterschiedliche Effekte spüren. Die eine gewinnt Energie aus einem Frühstück mit Haferflocken und Banane, die andere fühlt sich damit träge und läuft besser nach einer fettreicheren Mahlzeit. Die genetische Variabilität entscheidet mit, wie gut Nährstoffe aufgenommen, transportiert oder gespeichert werden.

Auch wie gut wir uns nach einer intensiven Trainingssession erholen können, wird von den SNPs beeinflusst. So kann eine genetische Variation etwa bewirken, dass der Körper Fette schneller oxidiert oder Kohlenhydrate langsamer abbaut – ein Grund, warum manche mit Low-Carb-Phasen besser zurechtkommen als andere. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) betont allerdings, dass Gene nur einen Teil des Puzzles ausmachen. Neben der genetischen Ausstattung spielen auch Training, Alltag, Schlaf und Stresslevel eine Rolle. Personalisierte Ernährung bedeutet also nicht, sich blind nach seiner DNA zu richten, sondern die genetischen Hinweise als zusätzlichen Kompass zu verstehen.

Welche genetischen Varianten sind für Läufer besonders relevant?

Die SNPs kennst du schon. Diese genetischen Variationen lassen sich vereinfacht so erklären: An einer bestimmten Stelle der DNA ist bei dir vielleicht ein anderer „Buchstabe“ gespeichert als bei jemand anderem – und das kann schon ausreichen, um Enzyme oder Transportproteine im Stoffwechsel etwas anders arbeiten zu lassen. Solche Varianten sind nichts Krankhaftes, sondern Teil unserer biologischen Vielfalt. Einige beeinflussen, wie gut wir Fett oder Kohlenhydrate verstoffwechseln, andere steuern, wie schnell Muskelfasern kontrahieren, wie stark Entzündungen nach dem Training ausfallen oder wie effektiv der Körper regeneriert.

Für dich als Läufer sind vorrangig die folgenden Gene interessant:

Energie- und Nährstoffstoffwechsel

Gene, die bestimmen, ob dein Körper bevorzugt Fett oder Kohlenhydrate als Treibstoff nutzt. Hierzu zählen:

  • Das PPARA-Gen (Peroxisome Proliferator-Activated Receptor Alpha) steuert Enzyme, die an der Fettverbrennung beteiligt sind. Bestimmte Varianten aktivieren deinen Fettstoffwechsel früher und können bei langen Einheiten länger auf Fett als Energiequelle zurückgreifen – ein klarer Vorteil bei Marathon- oder Ultradistanzen. Bedeutet praktisch: Wer hier „fettstoffwechselstark“ ist, profitiert oft von langen, moderaten Läufen und einer Ernährung mit ausgewogenem Fettanteil.
  • Das Amylase-1-Gen ist verantwortlich für die Produktion des Enzyms Amylase, das Kohlenhydrate im Speichel spaltet. Menschen mit mehr Kopien dieses Gens können Stärke schneller aufspalten. Sie profitieren tendenziell stärker von kohlenhydratreicher Ernährung vor intensiven Läufen. Bedeutet praktisch: „High-AMY1-Typen“ fühlen sich oft energiegeladener mit einer Haferflocken-/Reismahlzeit vor dem Training.
  • Eine Variante des FTO-Gens (Fat Mass and Obesity-Associated Gene) beeinflusst, wie effizient Energie gespeichert wird. Menschen mit dieser Genvariante neigen eher zu Fettansammlung, wenn sie sich kalorienreich ernähren. Regelmäßige Bewegung wirkt hier besonders regulierend. Bedeutet praktisch: Bewegung kann bei FTO-Trägern den „Nachteil“ im Energiestoffwechsel effektiv ausgleichen.

Muskelfunktion und Leistungsphysiologie

Gene, die den Anteil schneller oder langsamer Muskelfasern beeinflussen und damit Ausdauer oder Explosivität prägen. Das sind folgende:

  • Das ACTN3-Gen (Alpha-Actinin-3) kodiert ein Strukturprotein in schnell kontrahierenden Muskelfasern. Fehlt es (bei der sogenannten X-Variante), dominieren eher langsame, ausdauerorientierte Fasern. Studien zeigen, dass viele Spitzenmarathonläufer diesen „Ausdauer-Genotyp“ tragen. Bedeutet praktisch: Kein Nachteil für den Laufsport, sondern eher ein natürlicher Vorteil für lange Strecken und konstantes Tempo.
  • Beim ACE (Angiotensin-Converting Enzyme) unterscheidet man zwischen der D-Variante (kraft- und sprintaffin) und der I-Variante (ausdauerorientiert). Die I-Variante steht mit einer besseren Sauerstoffaufnahme und Herz-Kreislauf-Effizienz in Verbindung – ideal für lange Distanzen.

Erholung und Entzündungsreaktionen

Gene, die steuern, wie stark oxidative Prozesse nach Belastung ausfallen und wie schnell sich der Körper regeneriert. Diese Gene sind dafür verantwortlich:

  • Das IL6-Gen (Interleukin-6-Gen) steuert ein Entzündungsprotein. Eine bestimmte Variante führt dazu, dass der Körper nach starker Belastung mehr IL-6 ausschüttet – was kurzfristig die Regeneration bremst. Eine entzündungshemmende Ernährung mit Omega-3-Fettsäuren und Antioxidantien kann hier unterstützen.
  • Das SOD2-Gen (Superoxid-Dismutase-2) kodiert ein Enzym, das freie Radikale in den Mitochondrien neutralisiert. Varianten mit geringerer Enzymaktivität erhöhen den oxidativen Stress. Bedeutet praktisch: Läufer und Läuferinnen mit dieser Ausprägung profitieren von ausreichend Antioxidantien (z. B. aus Beeren, Gemüse oder Tee).

Das Wissen darüber, welche Varianten sich in deinen Genen befinden, kann dir für eine effiziente Leistungssteigerung und Ernährungsanpassung demnach sehr helfen.

Wie läuft ein DNA-Test zur Ernährung ab?

Um herauszufinden, wie genau dein Körper funktioniert, ist ein DNA-Test notwendig. Die meisten Tests funktionieren über eine Speichelprobe, die man zu Hause entnimmt: Wattestäbchen an die Wangeninnenseite, Probe ins Röhrchen, ab ins Labor. Nach rund zwei bis vier Wochen folgt das Ergebnis digital – meist als farbiger Bericht mit Ernährungsempfehlungen, Fitness-Tipps oder Hinweisen zu Mikronährstoffen. Analysiert werden dabei die SNPs, die mit Stoffwechselprozessen oder Enzymaktivitäten in Verbindung stehen. Je nach Anbieter werden zwischen 20 und 150 solcher Marker ausgewertet. Die Kosten liegen je nach Umfang zwischen 100 und 300 Euro. Hochwertige Tests nennen offen, welche Gene untersucht und welche wissenschaftlichen Studien zur Interpretation herangezogen werden. Seriöse Anbieter arbeiten mit zertifizierten Laboren und stellen ihre Ergebnisse in den richtigen Kontext.

Wie zuverlässig sind solche Tests?

So spannend das klingt – die Realität ist etwas komplexer. Viele Tests versprechen mehr, als sie wissenschaftlich halten können. Die meisten Analysen betrachten nur eine Handvoll genetischer Varianten, während Stoffwechsel und Leistungsfähigkeit von tausenden Genen, Hormonen, dem Mikrobiom und Lebensstilfaktoren abhängen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung betont, dass die aktuelle Studienlage zur genetisch personalisierten Ernährung noch nicht robust genug ist, um daraus verbindliche Empfehlungen abzuleiten. Einzelne Genvarianten können Hinweise geben, erklären aber nie das ganze Bild.

Hinzu kommt: Die Qualität der Anbieter ist sehr unterschiedlich. Während einige auf wissenschaftliche Forschung und qualifizierte Ernährungsberatung setzen, nutzen andere die Ergebnisse eher als Marketinginstrument – und versprechen „maßgeschneiderte Ernährungspläne“, die in der Praxis kaum überprüfbar sind.

Hierauf solltest du bei der Wahl des Anbieters achten:

  • Transparenz darüber, welche Gene/SNPs untersucht werden
  • Kombination aus Labor und Fachberatung
  • Datenschutz und Anonymisierung
  • Realistische Kommunikation statt großer Versprechen
  • Unabhängige Bewertung ohne Bindung an Produkte

Personalisierte Ernährungsstrategien für Läufer

Wäre die Genetik eine Landkarte, dann wären Training, Ernährung und Regeneration die Wege darauf. Personalisierte Ernährung heißt nicht, alles umzukrempeln – sondern bewusster zu wählen, was zum eigenen Stoffwechsel passt.

Je nach genetischer Veranlagung (z. B. AMY1 oder TCF7L2) verarbeitet der Körper Kohlenhydrate unterschiedlich effizient. Läuferinnen und Läufer, die Stärke gut verstoffwechseln, dürfen vor intensiven Einheiten ruhig auf klassische Kohlenhydratquellen setzen: Haferflocken, Vollkornreis, Süßkartoffeln oder Datteln liefern schnelle und nachhaltige Energie. Wer dagegen zu Blutzuckerschwankungen neigt, fährt besser mit niedrig-glykämischen Quellen wie Quinoa, Hirse oder Hülsenfrüchten – kombiniert mit etwas Fett oder Protein, um die Energie länger verfügbar zu halten.

Auch der Fettstoffwechsel unterscheidet sich individuell. Wenn du genetisch zu einer höheren Aktivität des PPARA-Gens neigst, kannst du Fette besonders gut als Energiequelle nutzen – ein Vorteil auf langen Strecken. In dem Fall lohnt sich eine Ernährung, die reich an gesunden Fettsäuren ist: Avocado, Nüsse, Olivenöl und fettreicher Fisch wie Lachs oder Makrele liefern lang anhaltende Energie und unterstützen gleichzeitig die Zellregeneration. MCT-Öle oder Kokosprodukte können, bei guter Verträglichkeit, den Fettstoffwechsel zusätzlich trainieren.

Proteine sind besonders nach intensiven Einheiten notwendig. Etwa 20 bis 25 Gramm Eiweiß innerhalb der ersten Stunde nach dem Training gelten als optimal, um die Muskelregeneration zu fördern. Gute Quellen sind hier mageres Fleisch, Fisch, Eier, Hülsenfrüchte, Tofu oder Skyr. Wer genetisch eher zum Muskelabbau neigt, z. B. durch bestimmte Varianten im ACTN3- oder MSTN-Gen, sollte über den Tag verteilt regelmäßig Protein einbauen. Zum Beispiel in Form von Joghurt mit Nüssen am Morgen, Linsensalat zu Mittag oder einem Omelett mit Gemüse am Abend.

Vor- und Nachteile der personalisierten Ernährung

Die Idee klingt verlockend: ein Ernährungsplan, der perfekt zu den eigenen Genen passt – maßgeschneidert für Leistung, Gesundheit und Wohlbefinden. Tatsächlich steckt in der personalisierten Ernährung großes Potenzial. Doch zwischen wissenschaftlicher Vision und praktischer Umsetzung liegen noch einige Hürden.

Der größte Vorteil ist vermutlich das eigene Verständnis für die individuelle Biochemie. Statt sich an allgemeinen Empfehlungen zu orientieren, rückt personalisierte Ernährung die eigene Reaktion auf Nährstoffe in den Mittelpunkt. Wer weiß, dass er Fett besonders effizient verbrennt oder empfindlich auf bestimmte Kohlenhydrate reagiert, kann Training und Ernährung gezielter steuern. Auch im Bereich Gesundheitsprävention kann das hilfreich sein – etwa bei erblich erhöhtem Risiko für Entzündungen, Insulinresistenz oder Mikronährstoffmängel. Ein weiterer Pluspunkt liegt im Motivationsfaktor. Wer die eigene Genetik kennt, entwickelt häufig ein stärkeres Verantwortungsgefühl für den eigenen Körper. Ernährung wird dadurch greifbarer und persönlicher – kein abstraktes Regelwerk, sondern ein System, das man selbst aktiv beeinflussen kann.

Doch es gibt auch klare Grenzen: Die wissenschaftliche Datenlage ist noch nicht so weit, dass aus einzelnen Genvarianten verlässliche Ernährungsempfehlungen abgeleitet werden könnten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) betont, dass Gene immer nur ein Baustein sind – beeinflusst von Training, Schlaf, Stress, Darmflora und Umweltfaktoren. Eine einzelne DNA-Analyse erklärt also nie das ganze Bild. Hinzu kommt, dass die Qualität der Anbieter stark variiert. Während einige Unternehmen mit zertifizierten Laboren und fundierten Interpretationen arbeiten, verkaufen andere eher Lifestyle-Produkte mit wissenschaftlichem Anstrich. Wer einen Test macht, sollte deshalb kritisch prüfen, ob die Analysen transparent, nachvollziehbar und fachlich begleitet sind.

Nutrigenetik

WichtigGenotyp = bezeichnet die individuelle genetische Ausstattung eines Menschen – also die Gesamtheit seiner Gene und Erbanlagen, die bestimmen, wie der Körper funktioniert und auf Umweltfaktoren reagiert.

SNPs = sind winzige Veränderungen in der DNA, bei denen ein einzelner „Baustein“ des Erbguts ausgetauscht ist – und die beeinflussen können, wie aktiv bestimmte Enzyme oder Stoffwechselprozesse im Körper ablaufen.

Enzyme = körpereigene Eiweiße, die biochemische Reaktionen ermöglichen oder beschleunigen – etwa den Abbau, die Umwandlung und Verwertung von Nährstoffen im Stoffwechsel.

Nutrigenetik = beschäftigt sich damit, wie unsere genetische Ausstattung bestimmt, wie wir auf bestimmte Nährstoffe reagieren.

Nutrigenomik = bezeichnet die Wissenschaft, die untersucht, wie Nährstoffe die Aktivität unserer Gene beeinflussen – also wie Ernährung bestimmte Gene an- oder abschalten und dadurch Stoffwechselprozesse im Körper steuern kann.

Oxidative Prozesse = Stoffwechselvorgänge, bei denen durch die Reaktion von Sauerstoff mit anderen Molekülen Energie gewonnen, aber auch reaktive Sauerstoffverbindungen (freie Radikale) gebildet werden, die Zellen belasten können, wenn sie nicht durch Antioxidantien neutralisiert werden.