Ob Langstreckenläufer, Schwimmer, Skilangläufer oder Eisschnelläufer – Höhentraining gehört heute ins Jahresprogramm eines Topathleten, aber auch Freizeitläufer können davon profitieren. Der sportlich interessierte Laie hat schon mal etwas von roten Blutkörperchen gehört, die sich in der Höhe vermehren; dadurch kann das Blut mehr Sauerstoff transportieren. Folge: Der Athlet kann in Tieflagen schneller und ausdauernder laufen. Eigentlich ist doch alles ganz einfach. Die Hochlandafrikaner sind die schnelleren Läufer, und als schlichtem Europäer bleibt einem nur die Möglichkeit, ins Hochland zu reisen und dort zu trainieren, um all die Attribute zu gewinnen, die zur afrikanischen Weltklasseleistung im Langstreckenlauf noch fehlten. Ihre Überlegenheit auf den langen Laufstrecken konnten die Hochlandbewohner Afrikas erstmals 1968 demonstrieren, als die Olympischen Spiele in der Höhe von Mexiko City stattfanden. Das entscheidende Problem für die Langstreckenläufer bestand damals nicht in der Luftverschmutzung, sondern darin, dass die Luft zu dünn war. Die höhengewohnten Afrikaner gewannen die Goldmedaillen und ließen die meisten Weltrekordinhaber ziemlich „alt“ aussehen.
Es war eigentlich naheliegend, dass die Anpassung an die Gegebenheiten in der heimatlichen Höhe dafür verantwortlich war, dass die afrikanischen Läufer später auch auf Meereshöhe an die Erfolge bei den Olympischen Sommerspielen von Mexiko anknüpfen konnten. Allerdings hätte an diesem Zusammenhang bereits Anfang der Siebziger Jahre gezweifelt werden müssen. Bei den Großereignissen der Leichtathletik ohne Höhenluft gaben damals nämlich noch eindeutig die weißhäutigen Flachlandläufer die Leistung vor.Inzwischen wurde die Entwicklung geradezu von einem Höhentrainingsboom überrollt. Es hat ein derartiger Strom von Ausdauerathleten in die Höhentrainings-Camps eingesetzt, dass kaum zweifelsfrei beurteilt werden kann, ob eine Weltklasseleistung im Langstreckenlauf ohne Höhentraining überhaupt noch machbar ist.
Auswirkungen der Höhenlage
In der Höhe ist die Luft dünner, und der Luftdruck ist niedriger als auf Meereshöhe. Alle Anteile der Atemluft sind gleichermaßen verringert. Der geringere Sauerstoffgehalt der Höhenluft muss durch eine Mehrarbeit der Lunge ausgeglichen werden. Dies gilt in körperlicher Ruhe genauso wie unter Belastung. Es gab schon Forscher, die vermuteten, die positive Wirkung des Höhentrainings ginge einzig und allein vom zusätzlichen Training der Atemmuskulatur aus.
Blutbildung
Der eigentliche Hauptgrund für Ausdauerathleten, Höhentrainingslager aufzusuchen, ist medizinisch gesehen die Stimulation der Bildung von roten Blutkörperchen. Bereits von der ersten Stunde des Höhenaufenthaltes an wird von den Nieren ein Hormon abgegeben, welches die Blutbildung anregt: Erythropoetin. Der Reiz des Hormons sorgt dafür, dass sich die sauerstofftragenden roten Blutkörperchen vermehren. Weiterhin gibt es Hinweise darauf, dass Plasmavolumen und Pufferkapazität nach Rückkehr aus der Höhe für eine gewisse Zeit erhöht sind. Nicht zuletzt werden auch günstige Einflüsse des Höhentrainings auf Größe und Funktion der Mitochondrien und eine Stimulation der Wachstumshormon-Ausschüttung angenommen.
Die Atmung wird stimuliert
Über die gesteigerte Atemtätigkeit wegen der dünneren Luft wird möglicherweise auch ein zusätzlicher Trainingsreiz auf die Atemmuskulatur ausgeübt. Auch wenn die Sauerstoffversorgung noch auf einem ausreichenden Niveau gehalten werden kann, so hat die gesteigerte Atmung aber auch gewisse „Nebenwirkungen“. Obwohl auf der einen Seite die Sauerstoffkonzentration im Gewebe aufrecht erhalten werden kann und muss, führt eine gesteigerte Atmung zu einer vermehrten Abgabe des Gases Kohlendioxid. Eine Absenkung der Kohlendioxidkonzentration im Körper führt wiederum zu einer merkbaren Verschiebung des chemischen Gleichgewichtes. Das Gefühl einer derartigen „Alkalisierung“ dürfte jedem bekannt sein, der schon einmal im Ruhezustand kurzzeitig die Atmung forciert hat.
Abnahme der Pufferkapazität
Die Nieren schützen den Organismus gegen diese Veränderung durch Ausscheidung der Substanz Bicarbonat. Auch dieser Vorgang bleibt nicht ohne Folgen. Die Ausscheidung von Bicarbonat führt in der Höhe zu einer verminderten Pufferfunktion des Körpers. Hierdurch kann die Übersäuerung, die bei intensivem Laufen entsteht, nicht mehr so gut ausgeglichen werden, die Ermüdung tritt schneller ein. Eine derartige Veränderung der Pufferkapazität geschieht sehr schnell. Nach Rückkehr auf Seehöhe erreicht das Bicarbonat dann aber einen höheren Wert mit besserer Pufferkapazität als vor dem Höhenaufenthalt.
Anpassung ist individuell
Der letzte Kenntnisstand zum Thema Höhentraining scheint eine pauschale Unterteilung in »gut oder schlecht« zu relativieren. Laut Prof. Dr. Andreas Nieß, dem Leiter der Sportmedizinischen Abteilung der Universitätsklinik Tübingen, einem Experten in Sachen Höhentraining, lassen neuere Arbeiten vermuten, "dass eine größere individuelle Streubreite im Ansprechen auf das Höhentraining besteht". Nieß zitiert die neuesten sportmedizinischen Erkentnisse aus einer Untersuchung seines amerikanischen Kollegen Robert F. Chapman: "Es gibt Athleten, die auf ein Höhentraining mit einer starken Zunahme der Neubildung roter Blutkörperchen und der Verbesserung der maximalen Sauerstoffaufnahme reagierten, und es gibt Athleten, die keine derartigen Reaktionen zeigten. Dabei wiesen die Responder zu Beginn des Höhenaufenthaltes auch einen deutlicheren Epo-Anstieg auf und konnten im Gegensatz zu den Non-Respondern ihre anschließende Laufleistung über alle Wettkampfdistanz verbessern." Das Fazit des Tübinger Mediziners: "Es besteht nach wie vor eine Diskrepanz zwischen einer wissenschaftlich bisher nicht objektivierten Wirksamkeit von Höhentraining einerseits und in Teilen guten individuellen Erfahrungen von Athleten andererseits."
Auch bei Freizeitläufern effektiv
Eines steht jedenfalls fest: Alle Phänomene, die man mit dem Höhentraining verbindet, sind nachweislich nicht nur für Olympiateilnehmer von Bedeutung, sondern auch für Freizeitläufer: eine bessere Sauerstoffversorgung der Muskulatur, eine kürzere Regenerationszeit nach Belastungen, eine Verbesserung des Fettstoffwechsels sowie eine Erhöhung des energetischen Umsatzes. Der letztgenannte Effekt kann das Höhentraining grundsätzlich sogar für übergewichtige Menschen sinnvoll machen.
Zusammengefasst: Die Effekte des Höhentrainings
• Zusätzlicher Reiz der Atemmuskulatur über die gesteigerte Atemtätigkeit.
• Die Ausschüttung von Wachstumshormonen wird gesteigert.
• Die Mitochondrien werden positiv beeinflusst (Größe und Funktion).
• Beim Training erfolgt ein höherer Anstieg von Stresshormonen als beim Training im Tiefland.
• Bei Belastung verschiebt sich der Energiestoffwechsel in Richtung Kohlenhydratverbrennung. Dadurch werden die Glykogenvorräte im Körper stärker beansprucht und somit schneller verbraucht.
• Bei Belastung deutlich höhere Flüssigkeitsverluste und dadurch Verringerung des Wassergehaltes im Körper.
• Individuell unterschiedliche Anpassungsprozesse; typische Phänomene sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlaf- und Appetitlosigkeit.
Formen des Höhentrainings
Viele Trainer und Sportler schwören auf die „sleep (live) high, train low“-Methode. Hierbei schläft oder lebt der Athlet in der Höhe, trainiert wird aber weiter unter. Der Gedanke dabei: Die oben genannten körperlichem Effekte treten auch ohne Training, also quasi beim Schlafen beziehungsweise beim Leben in der Höhe, ein. Das Training findet dann weiter unten (low) statt, wo mehr Sauerstoff zur Verfügung steht und intensiver trainiert werden kann als weiter oben. Einige Sportler nutzen für diese Trainingsform auch sogenannte Höhenzelte, in denen man zuhause unter Sauerstoffmangel schlafen kann.
Umgekehrt gibt es die „train high, sleep low“-Methode, bei der spezifische Einheiten unter Sauerstoffmangel in der Höhe/unter Sauerstoffmangel absolviert werden.
Wissenschaftlich ist die Wirksamkeit auch dieser beiden Methoden nicht eindeutig bestätigt. Viele Untersuchungen zeigen überhaupt keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit.
Ob Höhentraining etwas für sie ist, testen Sie daher am besten selbst. Und dafür müssen Sie nicht mal weit reisen. In sogenannten Höhenkammern können Sie auf Laufbändern, Rad- oder Ruderergometer unter Sauerstoffmangel trainieren. Dies empfiehlt sich übrigens für all jene, die nicht wissen, wie sie auf Höhe reagieren. Nicht wenige sehr gut trainierte Sportler haben sich für mehrwöchige Trainingslager in der Höhe entschieden, um dann festzustellen, dass sie dort kein geregeltes Training absolvieren können. In diesem Fall ist ein Höhentrainingslager definitiv nachteilig.