Ist Joggen gut fürs Gehirn?

Hirnforschung
Wie wirkt sich Joggen aufs Gehirn aus?

Veröffentlicht am 10.01.2024
Wirkung des Laufens aufs Gehirn
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Wir laufen in der Regel, weil wir unseren Stoffwechsel antreiben, unsere Muskeln stärken, uns fit und gesund halten möchten, etwas abnehmen oder frische Luft tanken möchten. Vielleicht streben wir auch gerade eine neue persönliche Bestzeit im Marathon an. Aber um schlau zu werden? Dies ist vermutlich eher ein Hintergedanke, den weniger Läuferinnen und Läufer bei ihrem Training verfolgen. Dennoch: Studien legen dies nahe. Sie beweisen, dass regelmäßiges Lauftraining auch gut fürs Gehirn ist: Laufen fördert vor allem die Konzentrationsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen und den Orientierungssinn.

Wieso ist Laufen gut für das Gehirn?

Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie in diesem Artikel. Außerdem gibt er Ihnen eine Kurzübersicht über die Studienlage in verschiedenen Ländern zum Themenbereich „Wie wirkt sich Laufen auf unser Gehirn aus?“

Kann Laufen die Konzentration stärken?

Ja, das tut es. Dazu gibt es etliche englischsprachige Studien, mittlerweile aber auch einige Studien in Deutschland. Sie alle belegen, dass Bewegung sich entspannend auf uns auswirkt und uns glücklicher macht. Nach einer Laufrunde sind wir gelassener, fühlen uns freier und können wieder konzentrierter arbeiten. Warum? Genau bewiesen ist noch wenig, da viele Studien an Mäusen gemacht wurden, vor allem die älteren Studien hierzu. Die Vermutung liegt aber nahe, dass durch die Bewegung andere Teile des Gehirns genutzt werden als bei sehr komplexen Denkvorgängen, unserem Gehirn somit eine „bewegte Pause“ gegönnt wird und wir uns deshalb nach dem Joggen so frei fühlen. Dann können wir wieder fokussierter und voller Konzentration an die Arbeit gehen und sind offenbar auch noch kreativer, aber dazu mehr ganz zum Schluss ...

Bewegtes Lernen und Bewegungspausen machen schon länger Schule

Bewegungspausen in der Schule fördern nachweislich die Konzentration, weshalb es auch bereits etliche „Bewegte Schulen“ oder „Bewegte Klassenzimmer“ im deutschsprachigen Raum gibt. Dabei spielt vor allem Ausdauer kombiniert mit Koordination eine Rolle. Bei manchen sehr fortschrittlichen Schulen werden Sportgeräte sogar im Unterricht zum bewegten Lernen eingesetzt (beispielsweise das Einmaleins, Rechenaufgaben oder die neuen Vokabeln mit Seilspringen, Fangspielen oder Ballspiel üben).

Österreich ist in diesem Punkt noch weiter gekommen als Deutschland: „In Österreich ist täglich eine Stunde Sportunterricht gesetzlich vorgeschrieben, dabei zeigen sich sehr gute Ergebnisse. Die Kinder sind auch im Alltag weniger aggressiv, ausgeglichener und konzentrierter“, sagt Sportwissenschaftlerin Prof. Dr. Swantje Scharenberg, die das deutschlandweit einzige Forschungszentrum für den Schulsport und Sport (FoSS) von Kindern und Jugendlichen in Karlsruhe leitet. Ein wesentliches Ziel des österreichischen Pilotprojektes ist es, den Kinder und Jugendlichen Sport auch in der Freizeit schmackhafter zu machen. Dafür gibt das Land viel Geld aus, um Trainerinnen, Vereine und weitere Fachleute der Sportwelt zu akquirieren und mit Schulen zu vernetzen.

Wie funktioniert bewegtes Lernen?

Bewegung und Erlernen von Fremdsprachen lässt sich gut verknüpfen, das geht aus Studien hervor. Darauf setzen auch schon einige Schulen. „Bewegung ins Klassenzimmer zu bringen, ist wichtig. In einer Oberschule in Bremen verbessert ein Ergometer im Klassenzimmer die Lernatmosphäre nachweislich. Immer ein Kind darf während des Regelunterrichts Fahrrad fahren: Bewegung als Belohnung und Stressabbau“, berichtet Prof. Scharenberg. Bei Grundschülern solle man aber eher darauf achten, viele verschiedene Bewegungen miteinander zu verbinden, um ihnen eine vielseitige motorische Grundausbildung zu ermöglichen, sagt die Expertin. „Seilspringen, Ballspielen, Balancieren fördern die Koordination“, informiert die Professorin.

Die gute Nachricht ist: Das funktioniert nicht nur im Kindesalter, sondern ein Leben lang. Es ist nie zu spät, mit Laufen anzufangen, um positive Effekte zu erreichen. Auch dies belegen Studien, auf die später noch eingegangen wird.

Hintergrundinformation zur Studienlage: Ende der 1990er-Jahre wurden die ersten Studien zu diesem Thema mit Mäusen in Amerika gemacht. Später folgten Studien mit Menschen. Rund zehn Jahre später gab es auch Studien in Deutschland mit Menschen. Besonders bekannt ist eine Studie der Universität Ulm (von Psychiater Prof. Manfred Spitzer, gemeinsam mit Ralf Reinhardt, Professor im Fachbereich Gesundheit und Psychologin Dr. Sanna Stroth), die nahelegt, dass diese drei geistigen Fähigkeiten von regelmäßigem Lauftraining profitieren:

  1. Orientierungssinn
  2. Konzentration
  3. Zufriedenheit/Stimmungslage

Eine der jüngsten Studien zu diesem Themenkomplex stammt aus dem Jahr 2022: Diese sogenannte „Clear Mind“-Studie zweier Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule Köln ist häufig zitiert worden, sie untersuchte das „neuronale Rauschen“ in der Elektroenzephalographie (EEG). Die beiden Wissenschaftler, Dr. Vera Abeln und Leonhard Braunsmann, fanden in ihrer Studie mit 30-minutigen Laufeinheiten von erfahrenen Läufern heraus, dass während des Laufens überflüssige Reize ausgeblendet werden, bevor eine meditative Wirkung einsetzt. So konnten sie zeigen, dass das Laufen den Kopf frei macht und zur Tiefenentspannung beiträgt und das Denkvermögen bzw. die Konzentration vor allem nach dem Sport verbessert.

Warum beugt Joggen Stress vor?

Lauftraining in einem gesunden, moderaten Maß reduziert Stress – das ist durch die Studienlage sehr gut nachgewiesen. Laufen wirkt sich auf unseren Stresshormon-Haushalt positiv aus, beeinflusst die Hormone Adrenalin und Noradrenalin, aber vor allem das Cortisol (auch als Stresshormon bekannt). Ausdauersportarten wie Laufen, Radfahren und Schwimmen sind dafür prädestiniert, den Hormonhaushalt wieder in die richtige Balance zu bringen, weil stressabbauende Hormone produziert werden und wir uns dadurch besser entspannen können.

Die Produktion von Glücksstoffen steigt während der Bewegung, gleichzeitig sinken Blutzucker, Blutfette und der Cortisolspiegel. Wir kommen entspannt zurück und können an den „Lauftagen“ auch meistens besser und tiefer schlafen. Viel besser, als wenn wir unseren Tag ausschließlich in geschlossenen Räumen – im Büro oder in der Wohnung – verbringen. Denn mit dem Sport hatten wir einen positiven Ausgleich zum vielen Denken im Sitzen. Moderates Laufen eignet sich bestens zum Stressabbau: Es fördert Schlaf und somit auch Regeneration sowie Konzentration. Das Laufen durch die Natur und an der frischen Luft wirkt sich beruhigend auf uns aus, hellt unsere Stimmung auf und stärkt unser Immunsystem.

Diese stressabbauende und konzentrationsfördernde Wirkung ist langfristig übrigens noch effektiver. Das kennt jede Läuferin, die über einige Zeit Lauferfahrung verfügt, auch der Alltag fällt Läufern leichter. Denn ein trainierter Körper kann Stresshormone besser abfedern. Wir trainieren sozusagen mit einer Regelmäßigkeit unsere Stresstoleranz. Das regelmäßige Ausdauertraining wirkt sich nicht nur positiv auf unseren Puls (den Trainings- und den Ruhepuls) aus. Nein, wir bekommen in jeder Hinsicht mehr Ausdauer, indem wir viel gelassener auf Stressoren reagieren. Somit kann sich auch die Leistung in Schule, Ausbildung oder Uni und im Job durch Ausdauertraining verbessern.

Verbessert Joggen unser Gedächtnis?

Regelmäßiges Lauftraining baut Stress ab, fördert die Konzentration und scheint auch die Gedächtnisfunktion zu verbessern. Während des Laufens ist unser Gehirn stark durchblutet und es kommt offenbar zu einem Wachstum von Nervenzellen im Hippocampus, dem Lern- Merkbereich in unserem Hirn. Der Hippocampus befindet sich am inneren Rand des Temporallappens und ist eine zentrale Schaltstation des limbischen Systems, wo die Verarbeitung von Gefühlen stattfindet. Es entstehen neue Verknüpfungen in unserem Gehirn, auch im Alter scheint dies noch zu funktionieren. Denn insbesondere bei älteren Studienteilnehmenden zeigte sich, dass Ausdauertraining helfen kann, ihr Gedächtnis zu verbessern.

Kann Joggen das Gedächtnis von älteren Menschen verbessern und sogar Demenz vorbeugen?

Die Wissenschaftlerin Teresa Liu-Ambrose von der University of British Columbia in Kanada untersuchte die Auswirkungen von Ausdauersport und Widerstandstraining bei Frauen im Alter zwischen 70 und 80 Jahren, die bereits leichte kognitive Verfallserscheinungen aufwiesen. Von den Ergebnissen war die Forscherin sehr überrascht. Sie hatte bestenfalls eine Verlangsamung der Verschlechterung erwartet, doch „stattdessen stellten wir messbare Verbesserungen fest“, sagt die Wissenschaftlerin.

Beide aktiven Frauen-Gruppen schnitten bei Tests zum räumlichen Erinnerungsvermögen besser ab, die Ausdauersportlerinnen zeigten darüber hinaus einen deutlicheren Fortschritt beim Sprachgedächtnis. Das Sprachzentrum ist ein wichtiger Bereich nicht nur für das Arbeiten bis ins hohe Alter, sondern auch für soziales Miteinander. Auf dieser Studie werden in Zukunft voraussichtlich noch etliche weitere bauen, denn es würde ja an ein Wunder grenzen, wenn das Lauftraining auch Demenz- und Alzheimer-Erkrankungen vorbeugen könnte. Dann könnten Ärztinnen und Ärzte in Zukunft Sport statt Tabletten verschreiben ...

Was heißt „Joggen macht den Kopf frei“?

Laufen macht den Kopf frei, das wissen alle Läuferinnen und Läufer aus eigener Erfahrung. Wenn sie von Nichtläufern gefragt werden „Wie soll denn das funktionieren?“, haben sie aber oft keine Antwort darauf. Warum ist das Laufen Entspannung pur für unser Gehirn? Die Wissenschaft erklärt dieses Phänomen mit einer Art Ruhezustand unseres Gehirns während des Laufens. Eine klassische Büroarbeit ist heutzutage sehr komplex; viele Dinge müssen synchron ablaufen und vor allem viel schneller als früher. Wir brauchen also in einer gewissen Form die Fähigkeit des Multitaskings.

Bei komplexen, verdichteten Denkabläufen ist unsere Denkzentrale im Gehirn, der präfrontale Cortex, sehr aktiv. Der präfrontale Cortex oder Cortex praefrontalis ist ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde und befindet sich im vorderen Bereich (sozusagen gleich hinter unserer Stirn). Er koordiniert komplexe Denkabläufe und hilft bei wichtigen Terminen, Gesprächen, Präsentation, Vorträgen und mehr. Seine Auffassungsgabe hat Grenzen. Um ihn zu entlasten, scheint Bewegung zu helfen. Denn die Bewegungen beim Laufen erfordern ebenfalls viel von unserem Gehirn, aber dies passiert im sogenannten „Bewegungszentrum“. Das heißt konkret: Jogging entlastet unser Denkzentrum, macht uns frei von dem üblichen Kreislauf der Gedanken. Die schöne Folge: Es macht unseren Kopf frei!

Macht Laufen kreativ?

Nach dem Lauf fühlen wir uns deshalb freier, denn wir haben Platz für neue Perspektiven, frische Ideen. Genau jetzt findet sich oft die richtige Lösung, weil wir die alten Denkprozesse durchbrochen haben und wieder frisch und neu denken können. Das scheint auch die Kreativität zu fördern. Dazu gibt es bis dato noch keine Studienlage, aber die Praxis spricht für sich. Viele kreative Köpfe sind Läufer, unter anderem auch aus diesem Grund. Sie haben selbst die Erfahrung gemacht: Joggen macht kreativ, denn es macht den Kopf frei!

Hier zwei Beispiele aus der Praxis: eine Autorin und ein Fotograf. Die Bestseller-Autorin Murielle Rousseau schreibt in einem ihrer Bücher, sie habe schon immer am besten lernen können, wenn sie sich dabei bewegt. Bereits in ihrer Studienzeit in Paris habe sie das festgestellt. „Wenn ich laufe, kann ich viel kreativer sein. Ich komme in eine Art Flow, dabei kommen mir tausend Ideen und ich fange dann bereits zu formulieren an. Ich stricke sozusagen auf der Laufrunde neue Geschichten für meine Bücher“, sagt sie. Fotograf Jens Nieth, der auch für RUNNER’S WORLD arbeitet, kommt zu demselben Ergebnis: „Laufen bedeutet für mich Leichtigkeit, Rauskommen aus dem Büro, der Wohnung, aus dem Üblichen, aus dem Alltag. Die Perspektive wechseln, sich spüren, in die Natur rein, Entspannung, den Kopf frei bekommen. Ich komme danach immer frei und gut gelaunt zurück“, sagt Jens, der als Fotodesigner und Sportfotograf arbeitet und für seine Arbeit bereits einige Preise gewonnen hat.

Macht Laufen schlau, fördert es also unsere Denkfunktion?

Eindeutig ist Jogging auch Gehirnsport. Das haben Bildungspolitiker erkannt und auch die Chefetagen etlicher Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden Firmensport oder Trainings anbieten und manchmal sogar ein Fitness-Studio und Duschen im Unternehmen einbauen lassen, um die Mitarbeitenden ganzheitlich zu stärken. Vielleicht eben auch nicht ganz uneigennützig, denn viele Chefinnen und Chefs haben sich mit Sicherheit mit der Studienlage vertraut gemacht ...

Fazit: Laufen ist Sport fürs Gehirn!

  • Das belegen zahlreiche Studien an Mäusen und neuerdings auch an Menschen.
  • Auch Schulen setzen auf Ausdauereinheiten, manche sogar im Unterricht.
  • Regelmäßiges Lauftraining stärkt die Konzentration, das Gedächtnis und das räumliche Denken.
  • Ausdauersport kann neue Vernetzungen im Gehirn fördern.
  • Laufsport ist die beste Medizin gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ob es aber auch Demenz vorbeugen kann, werden wissenschaftliche Studien der Zukunft noch zeigen.