Pulsmessung am Handgelenk
Wie genau ist die optische Herzfrequenzmessung?

Fast alle Laufuhren, Smartwatches und Activity-Tracker ermitteln die Herzfrequenz am Handgelenk. Aber wie funktionieren die optischen Sensoren? Und wie genau messen sie?
Polar Pacer
In diesem Artikel:
  • Wie funktioniert die optische Pulsmessung am Handgelenk?
  • Wie genau ist die optische Herzfrequenzmessung am Handgelenk?
  • Welche Uhr misst die Herzfrequenz am besten?
  • Sollte man mit einem Pulsgurt laufen?
  • Ist Pulsmessung am Handgelenk schädlich?

Fast jede neue Laufuhr verfügt über einen eingebauten Herzfrequenzsensor, der den Puls mittels eines optischen Sensors an der Gehäuseunterseite misst. Und das ist sicherlich praktisch, muss man doch sonst einen Pulsgurt anziehen, um seine Herzfrequenzwerte beim Laufen zu ermitteln. Doch gerade Frauen finden so einen Brustgurt nervig, da er häufig mit dem Sport-BH kollidiert und entweder das eine oder das andere nicht richtig sitzt. Also ist die optische Herzfrequenzmessung eine gute Sache, oder etwa doch nicht?

Wie funktioniert die optische Pulsmessung am Handgelenk?

Damit die Herzfrequenz optisch erfasst werden kann, sendet die Uhr zunächst Licht mittels Leuchtdioden (LED) auf, genauer gesagt in die Haut. Die meisten Sensoren nutzen grünes Licht, dessen Wellenlänge vom Blut besonders gut absorbiert wird. Da sich das Blutvolumen in den Gefäßen mit jedem Herzschlag ändert, kann eine Photodiode anhand des reflektierten Lichtspektrums erkennen, wie häufig das Herz schlägt und somit die Herzfrequenz ermitteln.

Der optische Herzfrequenzsensor der Garmin Forerunner 945.
RUNNER’S WORLD
Der optische Herzfrequenzsensor der Garmin Forerunner 945.

Stark vereinfacht können Sie sich auch vorstellen, dass in den Uhren eine kleine Kamera steckt, die dauerhaft Fotos schießt und so erkennt, wie häufig das Herz schlägt. Und genau hier besteht auch ein großes Problem.

Wie genau ist die optische Herzfrequenzmessung am Handgelenk?

Da es sich um ein optisches Messverfahren handelt, kann die Genauigkeit dieser Herzfrequenzsensoren von Faktoren wie Hautfarbe, Körperbehaarung, Passform und Lichteinfall beeinflusst werden. Doch nicht jede Uhr, beziehungsweise jeder Sensor schlägt sich bei der Pulsmessung am Handgelenk gleich gut. Im Gegenteil: In diversen Uhrentests, die wir von RUNNER’S WORLD in den vergangenen Jahren durchgeführt haben, gab es je nach Modell teilweise fatale Aussetzer.

Inzwischen wurde die Genauigkeit der optischen Herzfrequenzmessung am Handgelenk mehrfach wissenschaftlich untersucht. Forscher der Cleveland Clinic veröffentlichten bereits vor einigen Jahren im Fachblatt Cardiovascular Diagnosis & Therapy eine Studie, die unsere Erfahrungen bestätigt: Die optische Herzfrequenzmessung am Handgelenk ist weniger genau als die Messung mit einem Pulsgurt. Vor allem bei höherer Laufgeschwindigkeit zeigen sich je nach Laufuhr deutliche Abweichungen zwischen der tatsächlichen und der gemessenen Herzfrequenz.

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Für ihre Studie unterzogen die Forscher insgesamt 50 Probanden einem Testprozedere auf einem Laufband. Die Läufer starteten bei einem Tempo von 4 Meilen pro Stunde (6,4 km/h bzw. 9:22 min/km) und mussten alle zwei Minuten eine Meile schneller laufen. Die maximale Geschwindigkeit lag bei 9 Meilen pro Stunde (14,5 km/h bzw. 4:08 min/km). Dabei zeichneten die Forscher die Herzfrequenz der Probanden mittels Elektrokardiografen (ECG) – der genausten Methode zur Aufzeichnung der Herzmuskelaktivität – einem Brustgurt (Polar H7) und zwei zufällig zugeteilte Uhren – je eine pro Arm – mit optischem Herzfrequenzsensor auf. Die getesteten Uhrenmodelle waren Apple Watch 3, Fitbit Ionic, Garmin Vivosmart HR und TomTom Spark 3.

Der anschließende Vergleich der jeweils aufgezeichneten Herzfrequenzwerte ergab: 1. Der Brustgurt zeigte bei allen Geschwindigkeiten nur insignifikante Abweichungen von den ECG-Werten. 2. Keine der Uhren mit optischem Sensor war ähnlich genau wie der Brustgurt. 3. Im Gegenteil: Je schneller die Probanden liefen, desto weniger verlässlich waren die Werte der optischen Messung. 4. Nur in Ruhe und bei langsamem Tempo kann man die Abweichungen zwischen optischer Herzfrequenzmessung und den ECG-Werten als unerheblich bezeichnen.

Die Pulsmessung am Handgelenk mittels optischem Herzfrequenzsensor ist demnach weniger genau und verlässlich als die Pulsmessung mittels Brustgurt.

Garmin Forerunner 935 Garmin Connect
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Die Auswertung der Herzfrequenz (rot) in der App Garmin Connect zeigt, dass der optische Herzfrequenzsensor der Garmin Forerunner 935 in den ersten Minuten intensiver Läufe oder Wettkämpfe völlig daneben liegt.

Welche Uhr misst die Herzfrequenz am besten?

Die Wissenschaftler führten zudem auch auf, welche Modelle wie gut oder schlecht abschnitten. Demnach ermittelte die Apple Watch 3 die zuverlässigsten Werte. Bei der maximalen Geschwindigkeit zeigte sie nur eine Abweichung von 1,5 Schlägen pro Minute. Das Modell von Garmin lag 3 Schläge daneben – über alle Geschwindigkeitsbereiche ermittelte sie zwei Schläge zu wenig, während die TomTom-Uhr 6 Schläge zu viel maß. Was zunächst wenig klingt, kann im Training oder Wettkampf jedoch negative Auswirkungen haben, etwa wenn man unter oder über der anaeroben Schwelle läuft. Kurz: Die Unsicherheit bei der Herzfrequenzmessung mit einem optischen Sensor ist groß, da man sich nie sicher sein kann, ob der angezeigte Wert stimmt. Interessanterweise hat sich an der Messgenauigkeit auch bei neueren Modellen nichts wesentlich verbessert.

Dr. Milind Desai, einer der an der Studie beteiligten Forscher, teilte RUNNER’S WORLD mit, dass für die Messungenauigkeit der optischen Sensoren die Bewegung des Armes mitverantwortlich ist. Je höher das Tempo, desto größer die Fliehkräfte. Folge: Die Uhr bewegt sich und der Sensor hat Schwierigkeiten bei der Messung. Um beim oben bereits benutzten Beispiel zu bleiben, hilft es, sich vorzustellen, dass sie auch mit einer Kamera ein schärferes Bild machen können, wenn Sie die Kamera ruhig halten. Bewegen Sie die Kamera hingegen, wird verwackelt die Aufnahme und Sie können keine Details erkennen.

Entsprechend ist die Genauigkeit in Ruhe und bei entspannten Läufen höher als bei flotten. Doch genau das ist die Krux: Während die Herzfrequenz- beziehungsweise Trainingsbereiche im langsamen Tempo einen recht breiten Pulsbereich abdecken, werden diese bei höherer Intensität immer enger. Sprich: Dort, wo es auf möglichst genaue Messwerte ankommt, ist die Messung mittels optischem Sensor am ungenauesten. Ein Beispiel: Angenommen Ihre maximale Herzfrequenz liegt bei 180 Schlägen in der Minute und Sie wollen durch ein Intervalltraining maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit (VO2max) trainieren. Dann sollten Sie 800 Meter im Bereich von 93 bis 95 Prozent der maximalen Herzfrequenz laufen, womit der optimale Trainingsbereich bei 167 bis 171 Schlägen pro Minute liegt. Bei diesem recht engen Herzfrequenzfenster kann sich Ungenauigkeit der optischen Herzfrequenzmessung deutlich auf das Tempo auswirken. Was ist die Lösung?

Sollte man mit einem Pulsgurt laufen?

Wir empfehlen grundsätzlich das Training nach Herzfrequenz, da es die genauste Methode zur individuellen Trainingssteuerung ist. In all unseren Trainingsplänen wird entsprechend das Gros der Einheiten mit bestimmten Herzfrequenzbereichen vorgegeben. Hierfür sind genaue und verlässliche Pulswerte essenziell. Mit unseren Erfahrungswerten und den Erkenntnissen der Studie muss man klar sagen: Ein sinnvolles Training nach Herzfrequenz ist (derzeit) nur mit einem Brustgurt möglich.

Ist Pulsmessung am Handgelenk schädlich?

Nein, die optische Herzfrequenzmessung hat keine negativen Auswirkungen auf den Körper. Weder Haut noch darunter liegendes Gewebe werden durch die Wellenlänge des Lichts geschädigt. Sportuhren, Smartwatches oder Acitvity-Tracker mit entsprechenden Sensoren können völlig bedenkenlos getragen und verwendet werden.

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 19.09.2023