Wer gerne deutsche Krimis im Fernsehen schaut, kennt Wanja Mues mit großer Wahrscheinlichkeit. Vom Tatort über Alarm für Cobra 11 bis Wilsberg und der Stralsund-Reihe hat er in zahlreichen großen Produktionen mitgewirkt. Warum ihn die Corona-Zeit erst zum ehrgeizigen Läufer gemacht hat, verrät er im Interview. Natürlich beim Laufen!

Hast Du schon vor Corona mit dem Laufen begonnen?
Ich musste immer mal mit meiner Frau laufen, weil sie meinte, das sei wichtig und für die Gesundheit gut.
Das klingt nach anfänglichem Widerstand!?
Totaler Widerstand! Ich fand Laufen reine Zeitverschwendung.
Aber jetzt ist das anders? Hat die Corona-Zeit etwas bewirkt?
Ja! Eure Interviewanfrage kam an einem Punkt, an dem ich das Laufen gerade zu lieben gelernt habe, wo ich sagen konnte: das ist mir wichtig. – Begonnen hatte das noch vor Corona bei Dreharbeiten zu dem ARD Film „Eine fremde Tochter“, in dem Mark Waschke und ich ein Liebespaar spielen. Und Mark treibt gar nicht so viel Sport, ist aber ein unglaublich sportlicher Typ. Ich weiß nicht, woher der das nimmt! Ich wollte einfach von ihm wissen: Mark, wie hältst Du Dich so fit? Und er sagte irgendetwas von, „naja, ich mache immer mal so ... zwischendurch ein bisschen was ... und dann laufe ich mal“. Jedenfalls wohnten wir in einem Hotel direkt an der Alster. Mark ist dann um die Alster gelaufen und als ich ihn fragte, wie lange er gebraucht hat, sagte er mir eine Zeit, bei der ich dachte: Wow! Das ist eine Zeit, die die fittesten Ruderer in meinem Abi-Jahrgang gelaufen waren. Aber da war ich fast dreißig Jahre jünger. Dann bin ich ein paar Tage später also auch mal wieder die Alsterrunde gelaufen. Und ich war völlig ausgepowert und deutlich, deutlich langsamer als Mark. Aber so fing das mit dem Laufen und meinem Ehrgeiz an.

Und dann kam Corona?
Als dann Corona zuschlug, war ich gerade in Frankfurt für Dreharbeiten von „Ein Fall für Zwei“. Ich saß zwei Wochen am Main im Hotel fest, bis klar war, wie es weitergeht. Da habe ich die für mich ideale Kombination von Cross-fit und Laufen entdeckt. Im Frankfurter Laufladen erhielt ich eine sehr gute Laufschuhberatung, und zum Geburtstag hatte ich mir Laufklamotten und Equipment zum Laufen gewünscht – darunter eine Apple Watch, für die ich mir dann Programme runtergeladen habe. Es ging also alles so ein bisschen Hand in Hand. Der Ehrgeiz des Sportlers in mir war geweckt. Die Corona-Zeit hat das verfestigt, denn ich konnte ja nicht viel anderes tun. Aber ich habe auch gespürt, wie gut mir das tat, jeden Tag zwischen sieben und zehn Kilometern zu laufen.
Bist Du der sportlich-ehrgeizige Läufer, oder der gemütliche Jogger?
Mittlerweile ist mein Ehrgeiz geweckt. Und ich brauche schon ein Ziel und den Ansporn, weil ich eigentlich ein fauler Typ bin. Ich bin schon gerne zu Hause, liege auf dem Boden und höre Jazz-Platten. Aber auch der Job verlangt eine gewisse Fitness, da geht viel über die Optik, gerade bei physischen Rollen, die im Moment verstärkt auf mich zukommen, die brauchen einen bestimmten Typus. Ich habe zwar auch schon einen dicken Sesselpuper-Polizisten gespielt, der brauchte eher eine Wampe. Und die Wampe habe ich mir dann angefuttert, das gehört auch zum Job dazu. Das Anfuttern fällt mir leicht. Aber das Abtrainieren ist dafür doppelt hart. Ich würde das gerne viel öfter machen mich für Rollen optisch stark zu verändern. Dafür liebe ich den Job! Aber die Rollen, die ich im Momentspiele, die brauchen eher mehr Fitness.
Tatsächlich: Du hast Dir für eine Rolle schon mal eine Wampe angefuttert?
Ja, klar, zwar nicht so extrem, wie das die Amis teilweise machen – dazu haben wir hier in Deutschland zwischen den verschiedenen Rollen meistens gar nicht genügend Zeit – aber ich habe mich da einfach gehen lassen und etliche Kilos zugenommen. Das sah man schon sehr deutlich, und das tat der Rolle extrem gut!
Von der Wampe sieht man bei Dir jedenfalls nichts mehr: Deine Kondition hilft Dir heute bestimmt bei den schweißtreibenden Rollen, die Du spielst?
Ja, an einem Filmset sind die Action-Szenen schon oft anspruchsvoll, da wird man von Null auf Hundert gefordert, wenn man dreißig Mal hintereinander einen Sprint für eine Verfolgungsjagd durchzieht, über Zäune springt, über Autos rollt oder sich prügelt. Wobei ich sagen muss: Für‘s Theater ist noch mehr Kraft und Ausdauer gefordert! Bei meiner Theatertournee im Winter bin ich drei Monate lang jeden Tag an einem anderen Ort, stehe jeden Tag 90-Minuten in einem Zwei-Personen-Stück auf der Bühne. Das ist sehr anstrengend, auch physisch. Man schläft, man isst, man spielt, dann steigt man wieder in den Bus und fährt an einen anderen Ort: Auch dafür habe ich angefangen, zu laufen und Ausdauer zu trainieren.
Mir scheint, die Schauspielerei wird physischer. Wird das äußere Erscheinungsbild wichtiger?
Ja, ich merke, dass es wichtiger wird, weil man über die sozialen Medien ein Sixpack besser verkaufen kann als eine Schwabbelwampe. Häufig wird ein strenges Schönheitsideal verfolgt, Aber das ist nicht meine Herangehensweise an den Job. Ich schaue mir die Rolle an und frage: Was ist das für ein Typ? Was für eine Körperlichkeit hat der? Braucht der jetzt eher etwas steiferes, eher einen Bodybuilder-Gang, oder eher die geschmeidigen, fließenden Bewegungen eines Capoeira-Tänzers. Oder hat er eine Wampe und bewegt sich dadurch behäbiger?
Der Spagat zwischen Deinen Rollen – mal spritzt das Blut, mal der sanfte Typ – erfordert doch eine große Verwandlung: Ist das nicht extrem anspruchsvoll?
Das ist ja das, was mir am meisten Spaß macht an dem Beruf! Es gibt natürlich Kollegen, die gehen da ganz anders ran, die sagen: „Ich möchte immer wiedererkennbar sein, ich möchte immer einen ähnlichen Rollentyp spielen“. Aber es gibt auch andere – und aus der Schule komme ich eher: Aus dem Method Acting. Ich spiele gerne jede Rolle verschieden und strebe eine Verwandlung an. Meine Vorbilder sind eher die wandelbaren Schauspieler der 70er und 80er Jahre, wie etwa Robert De Niro, Al Pacino und Dustin Hoffman. Die haben versucht, sich für jede Rolle zu verändern und in jeder Rolle einen anderen Charakter zu personifizieren. Das ist auch, was mir Spaß macht! Wenn ich jetzt – wie in der Rolle kürzlich mit Mark Waschke – Teil eines Schwulenpärchens spiele, gilt es zu gucken: Was bedeutet das, wenn man für Männer attraktiv sein will? Und was ändert das, wenn man Männer attraktiv findet? Wie bewegt man sich da? Hat man eine andere Haltung? Was ändert das im Blick? Das wirklich zu empfinden, und nicht nur so zu tun, als wenn man da etwas spielen muss, das macht mir Spaß! Das ist natürlich auch der Job – aber das ist eben auch die Kunst!
Du bist in Hamburg geboren, lebst in Berlin, hast lange in New York gelebt: In welcher dieser Städte würdest einen Marathon laufen wollen?
Ich würde natürlich am liebsten in New York laufen. Wobei das ein unerfüllter Lebenstraum bleiben wird, glaube ich, weil ich mir ehrlich gesagt 42 Kilometer zu laufen überhaupt nicht vorstellen kann. Ich bin mit meinen zehn Kilometern happy.
Und wenn es eine Rolle erfordern würde?
Für eine Rolle sofort! Auch wenn jetzt irgendeiner sagt: Komm, lass uns ein Projekt daraus machen, ich nehm dich an die Hand, du kriegst einen Trainingsplan, wir machen uns einen Spaß daraus! Dann würde ich da wahrscheinlich auch sofort mitmachen. Aber die Entbehrungen, die man für einen Marathon auf sich nehmen muss, und die Zeit, die das kostet mit dem täglichen Training, die Zeit habe ich momentan nicht. Sag mal, gibt es eigentlich einen Besenwagen beim Marathon?