Yoga, Meditation und andere Formen der Achtsamkeitspraxis liegen im Trend. Vielleicht deshalb, weil Achtsamkeit aus unserem durchgeplanten Alltag fast gänzlich verschwunden ist und Stresssymptome dafür umso präsenter sind. Multitasking, endlose To-do-Listen und ständige Erreichbarkeit lassen uns nie abschalten. Achtsamkeit bringt Ruhe und Entspannung, senkt das Stresslevel, lässt den Geist klarer und das Gemüt munterer werden. Ärztinnen, Therapeuten und auch schon viele Krankenkassen sind überzeugt vom Erfolg regelmäßiger Achtsamkeitspraxis.
Was ist Achtsamkeit?
Doch was ist Achtsamkeit genau? Vor allem bedeutet es, mental im Hier und Jetzt zu bleiben, was für viele von uns nicht leicht ist, sind wir doch ständig mit den Gedanken woanders: Beim Frühstück lesen wir die Zeitung, in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit werden Mails gecheckt, auf dem Heimweg überlegen wir uns, was wir einkaufen müssen.
Der zweite Grundpfeiler der Achtsamkeit lautet: wahrnehmen und annehmen, was ist, ohne zu bewerten. „Wir haben die Eigenschaft, alles, was uns widerfährt, in Gut oder Schlecht einzuordnen“, erklärt Achtsamkeitstrainerin Hanna Tempelhagen aus Hamburg. „Doch jede Bewertung einer Situation macht etwas mit uns – vor allem negative Bewertungen.“
Den gegenwärtigen Moment bewusst wahrnehmen
Ein Beispiel, das du vielleicht kennst: Du hattest eine Laufrunde geplant, aber es regnet. Was denkst du? Wahrscheinlich etwas wie: „Oh nein, jetzt regnet es, Mist!“ Das ist eine Wertung. Gelebte Achtsamkeit könnte etwa so aussehen: Man schaut aus dem Fenster und beobachtet einfach nur. Die Regentropfen prasseln gegen das Fenster, das Haus gegenüber spiegelt sich in der Pfütze, die Blume auf dem Balkon lässt immer mehr den Kopf hängen. Durch achtsames Beobachten bist du ganz im Moment.
Vergangenheit („Gestern schien doch noch so schön die Sonne“) und Zukunft („Ich werde völlig durchnässt sein und mich womöglich erkälten“) spielen keine Rolle. Diese Hingabe an den Moment befreit dich aus dem Gedankenkorsett und leitet die Energie in positivere Bahnen. Probiere es aus: In der nächsten Situation, in der du dich dabei ertappst, etwas bewerten zu wollen, beobachtest du einfach nur, was passiert und was in dir vorgeht. Anschließend kannst du bewerten, wie es dir mit dieser Praxis geht.
Achtsamkeit lässt sich trainieren
Die wohl bekannteste Methode des Achtsamkeitstrainings ist die sogenannte Mindfulness-Based-Stress-Reduction (MBSR), was so viel wie Stressbewältigung durch Achtsamkeit bedeutet. Der Erfinder dieser Methode ist der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn. Seine bekannteste Übung ist der Bodyscan. Dabei konzentrierst du dich nach und nach auf die verschiedenen Bereiche deines Körpers. Neben Elementen aus Yoga und Meditation sind Erkenntnisse aus Medizin und Psychologie in sein Programm eingeflossen.
Hanna Tempelhagen als Achtsamkeitstrainerin fürs Laufen
Weltweit gibt es ausgebildete MBSR-Trainer, deren Kurse von vielen Krankenkassen anerkannt und bezuschusst werden. Hanna Tempelhagen ist eine von ihnen. Die begeisterte Läuferin und Meditationslehrerin hat die Idee der MBSR weitergesponnen und ein Konzept entwickelt, bei dem sie Laufen und Achtsamkeit verbindet: Mindful Running.
Achtsames Laufen – was ist das?
Laufen kann an sich schon ein Akt der Achtsamkeit sein. Wenn du beim Laufen den Vögeln im Wald lauschst oder nur den Rhythmus deiner Schritte wahrnimmst, bist du schon ziemlich achtsam unterwegs. In ihren Achtsamkeits-Workshops speziell für Läuferinnen und Läufer ermutigt Mindfulness-Coach Tempelhagen dazu, Achtsamkeitspraxis ins Lauftraining einzubauen. Denn ihre Erfahrung zeigt ihr: Achtsamkeitsbasiertes Laufen hat eine ganzheitlich positive Wirkung. Es fördert die körperliche und mentale Gesundheit, steigert die Lebensfreude und sogar die Leistungsfähigkeit.
So lädt sie die Teilnehmenden etwa dazu ein, für eine gewisse Zeit nur auf ihre Schritte zu achten. „Achtsames Laufen“, so erklärt sie, „kann auch heißen, bewusst wahrzunehmen, wie sich bestimmte Bereiche des Körpers anfühlen.“ Gedanken und Gefühle dürfen dabei ruhig auftauchen. Wichtig ist jedoch, sich nicht von ihnen leiten zu lassen, sondern sie „einfach nur“ wahrzunehmen – und sie auch wieder loszulassen.
Schneller dank Achtsamkeit?
Schneller macht Achtsamkeit nicht unbedingt, aber sie kann verhindern, dass du durch nicht zu ändernde Dinge wie Niederlagen mental aus der Spur gerätst und dadurch langsamer wirst. Kommt bei einem Wettkampf zum Beispiel Wind auf, und du ärgerst dich darüber, bringt dich das gedanklich in eine Negativspirale. Und negative Gedanken haben bekanntlich einen Einfluss auf die körperliche Leistung. Wer sagt: „Das schaffe ich nicht“, der schafft es höchstwahrscheinlich nicht. Nimmst du die Situation hingegen so an, wie sie ist, hast du weiterhin die Chance, schnell zu laufen, denn keine durch Gedanken erbaute innere Barriere versperrt dir den Weg.
Wer von den positiven Effekten eines achtsameren Lebens profitieren möchte, für den gilt als erste Achtsamkeitsübung: Denke nicht an das Ziel, also an das, was du durch ein achtsameres Leben erreichen möchtest – denn das wäre gerade nicht achtsam. Fang einfach an.
Achtsamkeitsübung für den Alltag
Das Schöne am Achtsamkeitstraining: Es lässt sich ganz einfach in das alltägliche Leben integrieren. Die meisten Übungen dauern nur wenige Minuten und lassen sich fast an jedem Ort durchführen.
Achtsam in den Tag starten
Alltägliches bewusst erleben: Spüre beim Duschen das Wasser auf deiner Haut. Trockne dich ganz bewusst ab, und beobachte anschließend, wie du dich eincremst oder deine Kleidung anziehst. Verteilst du die Creme mit flinken Handbewegungen auf deinem Körper oder massierst du sie langsam ein? Greifst du erst zum linken oder erst zum rechten Strumpf? Genieße deine Tasse Kaffee oder Tee: Was schmeckst du, was riechst du? Fahre oder gehe einen anderen Weg zur Arbeit als sonst, und sei dabei wach und offen dafür, was du siehst und hörst.
Achtsam laufen
Körper-Scan und Neugier: Nutze die Auszeit vom Alltag, die dir das Laufen beschert, für eine kurze Achtsamkeitssequenz: Spüre, bevor du losjoggst, in deinen Körper hinein. Beginne zum Beispiel mit den Füßen und ende am Kopf. Oder: Schließe die Augen und nimm die Geräusche um dich herum wahr. Während des Laufens kannst du immer wieder mal deinen Körper beobachten: Wie hören sich deine Schritte an? Wie rollst du mit den Füßen ab? Wie fühlt es sich an, wenn du kleine oder große Schritte machst? Wie hältst du deine Schultern? Oder: Laufe deine gewohnte Laufstrecke so, als ob sie neu wäre: Was gibt es zu entdecken? Sei neugierig, denn auch das ist Achtsamkeit.
Achtsam im Job
Atmen und Beobachten: Beobachte mehrmals am Tag für wenige Minuten deinen Atem. Atme tief in den Bauch, und spüre, wie er sich beim Einatmen nach vorn ausdehnt und wie er beim Ausatmen wieder flacher wird. Diese Übung kannst du wunderbar während der Arbeit machen, ganz gleich, ob du eine sitzende oder stehende Tätigkeit ausübst. Gerätst du im Berufsalltag unter Stress, nimm dir bewusst eine kurze Auszeit: Erlaube aufkommenden Gefühlen wie etwa Wut, Ärger oder Nervosität, einfach nur da zu sein. Beobachte, was diese Gefühle mit dir machen. Danach wird es dir leichter fallen, nicht aus diesen Emotionen heraus zu handeln, sondern mit klarem Kopf an die Sache heranzugehen.
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