Sportsucht: Ursachen, Symptome, Folgen und Auswege

Süchtig nach Laufen oder Sport
So lässt sich eine Sportsucht überwinden

Veröffentlicht am 10.11.2023
Ein einsamer Läufer auf einer Straße in einer düsteren, winterlichen Landschaft
Foto: iStockphoto

Sport ist gesund und macht Freude. Wer regelmäßig läuft oder anderen Sport treibt, tut sich selbst etwas Gutes. Doch es gibt Fälle, da richtet sich der Alltag gänzlich nach dem Trainingspensum. Betroffene trainieren täglich intensiv und stundenlang – nicht weil ihnen die Bewegung so viel Spaß macht, sondern weil sie süchtig danach sind.

Was bedeutet Sportsucht?

Dass Sporttreiben gesund ist, ist unumstritten. Bei einer Laufsucht oder Sportsucht nimmt der Sport allerdings so ein Übermaß an, dass es ungesund wird. Umfang und Intensität der Sporteinheit werden maßlos gesteigert, Betroffene trainieren stundenlang und intensiv, bis zum Kollaps. Der Übergang von moderat gesund zu exzessiv ungesund ist oft fließend und kann schleichend oder auch abrupt eintreten. Kann der Sport nicht ausgeübt werden, entsteht ein extremer Leidensdruck für Betroffene.

Wichtig: Die Sportsucht hat bisher keinen Eintrag im Klassifikationssystem für psychische Störungen. Somit ist sie nicht als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt und wird eher als Begleiterscheinung anderer psychischen Erkrankungen eingeordnet.

Wie erkenne ich eine Sportsucht?

Anzeichen einer Sportsucht sind, ähnlich wie bei anderen Süchten, die kontinuierliche Dosissteigerung (immer mehr und immer intensiver wird Sport getrieben) und das Gefühl, dass sich der komplette Alltag nach dem Sport richtet. Ein extrem hoher Zeitaufwand wird zum Sporttreiben aufgewendet, alles andere steht hinten an, sowohl berufliches als auch privates. Darunter leiden oft auch die sozialen Kontakte. Betroffene beginnen, sich zu isolieren.

Betroffenen ist es beinahe unmöglich, keinen Sport zu machen. Jemand, der sportsüchtig ist, läuft oder trainiert im schlimmsten Fall sogar erkältet oder verletzt. Eine Sportsucht ist auch an den Entzugserscheinungen zu erkennen, sollten Betroffene auf den Sport verzichten müssen: Magen-Darm-Probleme, Schlafstörungen, Nervosität, Angstgefühle bis zu Depressionen können Folgen des Entzugs sein.

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Menschen, die leidenschaftlich Sport treiben, und denen, die süchtig danach sind. Jemand, der leidenschaftlich seine Ziele verfolgt, wird traurig sein, wenn er, etwa aufgrund einer Verletzung oder Erkältung, nicht trainieren kann. Doch der Leidensdruck eines mental gesunden Sportlers ist sehr viel geringer als der von Betroffenen. Wer gesund trainiert, dem ist bewusst, wie wichtig Regeneration und das Auskurieren von Laufverletzungen und Erkältungen ist.

Wie entsteht eine Sportsucht?

In der Forschung gibt es Vermutungen, dass die körpereigenen Glückshormone zur Entstehung eines Sportzwangs beitragen. Zwar gibt es bisher keinen Beweis für diesen Zusammenhang, sicher ist jedoch, dass Sport antidepressiv wirken kann. Dies machen sich Betroffene zunutze. Ähnlich wie bei einer Drogensucht brauchen sie mehr und mehr von ihrer Dosis, denn das Bedürfnis, sich durch den Sport besser zu fühlen, ist immens. Die Ursache kann also zum einen das große Verlangen nach den positiven Gefühlen sein, die Sport wie das Laufen durchaus auslöst und von denen ein Mensch im Normalfall auch extrem profitiert – solange er nicht einem Sportzwang verfällt.

Eine Sportsucht kann sich des Weiteren einschleichen, etwa, wenn für einen Wettkampf trainiert wird. Das gilt nicht nur für Profis, sondern viel mehr für Breitensportlerinnen und Breitensportler. Vor allem im Ausdauerbereich kommt es vermehrt zur Sportsucht. Insbesondere die Laufsucht ist viel vertreten, aber auch im Kraftsport gibt es Fälle.

Eine Sportsucht entsteht außerdem oft in Kombination mit einer Essstörung oder geht aus dieser hervor. Aufgrund des Zwangs, Gewicht zu verlieren und Kalorien zu verbrennen, wird zu Regulationsmaßnahmen gegriffen – am nächsten liegt dabei neben anderen Maßnahmen wie striktes Fasten, Abführmittel und Erbrechen vor allem exzessives Sporttreiben. Bei Menschen, die unter einer Essstörung leiden und deshalb auch einen Sportzwang entwickeln, spricht man deshalb von einer sekundären Sportsucht.

Was ist der Unterschied zwischen primärer und sekundärer Sportsucht?

Der Unterschied zwischen primärer und sekundärer Sportsucht liegt darin, dass Betroffene einer primären Sportsucht in erster Linie süchtig nach der Bewegung sind und nicht in erster Linie Sport treiben, um abzunehmen. Menschen mit Essstörung treiben den Sport in erster Linie, um abzunehmen. Sie sind also weniger der sportlichen Leistung wegen oder wegen des Gefühls, das Sport ihnen gibt, dazu motiviert, sondern durch das Wissen, dass sie durch die Bewegung noch mehr Kalorien verbrennen. In diesem Fall spricht man von einer sekundären Sportsucht.

Generell liegen die Ursachen von Essstörungen und Sportzwang oft in dem Gefühl des Kontrollverlusts über das eigene Leben, etwa nach einem einschneidenden oder sogar traumatischen Erlebnis (Trennung der Eltern, Trennung in einer Partnerschaft, Mobbing, Tod eines geliebten Menschen usw.). Dies kann, muss aber nicht der Grund für eine Suchterkrankung sein – jemand mit Veranlagung zur Sucht muss nicht unbedingt etwas offensichtlich Schlimmes erlebt haben. Menschen, die unter einem geringen Selbstwertgefühl leiden, sind eher dazu veranlagt, in eine Sportsucht zu rutschen – denn durch den Sport haben sie das Gefühl, diesen Wert zu steigern.

Durch die Kontrolle über ihr Ess- und Sportverhalten haben Betroffene das Gefühl, den empfunden Kontrollverlust auszugleichen und zumindest in Bezug auf diese beiden Aspekte ihres Lebens die Macht zu haben. Ebenfalls kann eine Sportsucht aus dem Motiv heraus entstehen, dem stressigen Alltag zu entgehen und der Realität zu entfliehen.

Was sind die Folgen einer Sportsucht?

Neben den mentalen Entzugserscheinungen (Gereiztheit, Angst, Depressionen), immer wenn der Sport nicht ausgeübt werden kann, was für Sportsüchtige fast unmöglich ist, kommt es durch das übertriebene Sportpensum zu körperlichen Schädigungen, die oft ignoriert werden.

Das können Ermüdungsbrüche, Sehnenentzündungen und Muskelverletzungen sein. Da dem Körper keine Zeit zur Regeneration mehr gegeben wird, kommt es häufig zur Stagnation oder sogar zum Abfall der Leistung. So wie durch eine Essstörung eine Sportsucht entstehen kann, kann die Folge eine Sportsucht auch eine Essstörung sein – etwa wenn Betroffene keinen Sport mehr machen können und versuchen, den „Suchtkick“, den man sonst beim Sport hatte, durch „Nicht-Essen“ zu ersetzen.

Was kann man gegen eine Sportsucht tun?

Andrea Petruschke leitet in Freiburg die Praxis und Beratungsstelle „Durch dick und dünn“. Durch ihren Beruf als Psychotherapeutin für Essstörung kommt sie regelmäßig in Kontakt mit Menschen, die von einem Sportzwang betroffen sind. „Im schlimmsten Fall kann ein zum Beispiel laufsüchtiger Mensch nie wieder laufen, um nicht rückfällig zu werden“. Auch hier kommt die Ähnlichkeit mit anderen Süchten in Spiel: Ähnliches gilt etwas für Menschen, die Alkoholsüchtig oder Nikotinsüchtig sind. Sie sollten nie wieder mit ihrem Rauschmittel in Berührung kommen.

Doch, Andrea Petruschke betont, dass ein gänzlicher Verzicht auf den Sport nicht bei jedem Betroffenen zutreffen muss: „Es gibt Menschen, die ihren Sportzwang überwinden. Aber da muss man ganz genau hinschauen, inwiefern das Suchtzentrum durch den Ausdauersport wieder getriggert wird“. Einige Betroffenen können also nach einer Therapie wieder Sport treiben.

Wie also kommt man aus einer Sportsucht heraus, ohne für immer auf den geliebten Sport zu verzichten? Eine Therapie kann helfen, neue Verhaltensmuster gegenüber dem Sport zu etablieren. Sport muss von Betroffenen jenseits von Leistung mit einer neuen Motivation verknüpft werden. Dabei werden neue Synapsen im Gehirn gebildet. Diese Umbildungen, so Psychotherapeutin Andrea Petruschke, schaffen im Nervensystem einen neuen Anker. Betroffene lernen, auf andere Dinge zu achten und andere Aspekte beim Sporttreiben wertzuschätzen. „Das schafft man zum Beispiel über die Sinneswahrnehmung. Wie gut riecht die Herbstluft, wenn ich durch den Wald jogge? Wie ist es, wenn ich meine Atmung spüre?“, erklärt die Expertin. Betroffene können so ein neues Wohlgefühl schaffen, das den „Suchtkick“ ersetzt.

Wer einmal süchtig war, kann lernen, den Sport als etwas Positives, nicht aber etwas Zwanghaftes zu sehen. So gibt es etwa Menschen, die so gut wie täglich aus Leidenschaft laufen, trotzdem aber nicht süchtig danach sind. Sie sehen das Laufen nicht als Zwang, sondern als etwas, das ihnen auf gesundem Weg zu mehr Lebensfreude verhilft.

So schreibt Heather L. Reid in ihrem Aufsatz „Die Freiheit des Langstreckenläufers“ (erschienen in „Die Philosophie des Laufens“, Hrsg. M.W. Austin, P. Reichenbach): „Diejenigen, die die Freiheit und die spielerischen Aspekte des Laufens entdecken, können lernen, dieses Erlebnis zu bewahren und zu würdigen. Das Gefühl der Freiheit ist eines der größten Geschenke, die einem das Laufen geben kann“. Genau diese Freiheit und spielerischen Aspekte sieht ein sportsüchtiger Mensch nicht mehr. Wer es schafft, gesund zu werden, entdeckt durch den Sport mit etwas Glück die „Oase der Freiheit“, wie Heather L. Reid es schreibt.

Das Problem mit einer Essstörung oder einem Sportzwang ist, dass sowohl Essen als auch Bewegung essenziell sind. Darauf zu verzichten, wie es im Fall einer Drogensucht gehandhabt wird, ist nicht möglich. Um Rückfälle zu vermeiden, müssen Betroffene einen Neuzusammenhang herstellen und lernen, Essen und Bewegung in gesundem Maß in den Alltag zu integrieren.

Auch Bücher können helfen, die Sportsucht besser zu verstehen und Methoden zu entwickeln, sie abzuschwächen. Erfahrungsberichte von Betroffenen können Mut machen auf dem Weg, einen besseren Umgang mit sich und dem eigenen Körper zu finden. In ihrem Buch „Bis es weh tut“ etwa schreibt Autorin und Bloggerin Yavi Hameister schonungslos ehrlich über ihre persönliche Geschichte, die Auslöser und ihren Weg aus der Essstörung und Sportsucht. In dem Buch „Sportsucht und pathologisches Bewegungsverhalten“ geht es um interdisziplinäre Ansätze von der Prävention bis zur Therapie sowie den aktuellen Stand zum Thema Sportsucht.

Leider gibt es bis jetzt keine ausgereiften Therapiemöglichkeiten, bei denen es primär um Sportsucht geht. Behandelt wird Sportsucht in erster Linie in Zusammenhang mit Essstörungen. Dies wird so bleiben, solange die Sportsucht keine offiziell anerkannte Krankheit ist.

Fazit: Um der Sportsucht zu entgehen, muss der Bewegung eine neue Bedeutung gegeben werden

Wer dem Drang, zu joggen bzw. Sport zu treiben, wie unter Zwang nachgibt, der läuft Gefahr, sportsüchtig zu sein. Eine Sportsucht entwickelt sich oft fließend, kann sowohl schleichend als auch abrupt eintreten. Weil Sportsucht nicht als offiziell eigenständiges Krankheitsbild anerkannt ist, wird sie meist nur in Zusammenhang mit anderen psychischen Erkrankungen therapiert, am häufigsten mit Essstörungen. Wer unter einer primären Sportsucht leidet, treibt jedoch nicht in erster Linie Sport, um weiter abzunehmen, sondern weil eine Sucht nach der Bewegung und dem Gefühl, dass man durch diese erhält, besteht.

Im schlimmsten Fall kann eine Sportsucht oder Laufsucht dazu führen, dass Betroffene nie wieder Sport machen können, um nicht rückfällig zu werden. Wer rechtzeitig reagiert, kann jedoch lernen, dem Sport eine neue, weniger leistungsorientierte und exzessive Bedeutung zu geben und ein gesünderes Verhalten zur Bewegung zu erlernen.