Um eine Leistungssteigerung durch Höhentraining zu erzielen, reisen viele Top-Läuferinnen und -Läufer oft wochenlang nach St. Moritz (Schweiz), Iten (Kenia) oder Flagstaff (USA). Durch den verringerten Sauerstoffanteil in der Umgebungsluft fällt das Laufen in der Höhe spürbar schwerer und der Körper reagiert mit gewissen Anpassungsprozessen. Man spricht hierbei von hypoxischem Training oder Hypoxietraining – also Training unter Sauerstoffarmut. Kehrt man dann zurück in niederigere Höhenlagen, steht dem Körper mehr Sauerstoff zur Verfügung, wodurch sich die Leistungsfähigkeit erhöht. Diese körperliche Reaktion ist sehr gut erforscht und wird in fast allen Ausdauersportarten angewendet.
Was ist hyperoxisches Training?
Das Gegenteil vom klassischen Höhentraining beziehungsweise Training unter Sauerstoffarmut bezeichnet man als hyperoxisches Training. Beim hyperoxischen Training wird unter zusätzlichem Sauerstoff trainiert, was die unmittelbare Leistungsfähigkeit erhöht, da dem Körper mehr Sauerstoff zur Verfügung steht. Doch hat der zusätzliche Sauerstoff auch einen langfristigen Effekt, wenn man wieder unter normalisierten Bedingungen trainiert?
Zur unmittelbaren Leistungssteigerung ist zusätzlicher Sauerstoff bei Alpinisten, die die höchsten Berge der Welt erklimmen, sehr verbreitet. Auch bei Mannschaftssportarten wie Football oder Basketball setzen viele Teams, vor allem in den USA, seit Jahrzehnten auf Sauerstoffmasken. Sie sollen unter anderem die Erholung während der Spielpausen verbessern. Beim Laufen wird Hyperoxie hingegen kaum genutzt, weshalb wir zur Bebilderung dieses Artikels auch ein älteres Foto eines Football-Spieles verwenden.
Was bringt hyperoxisches Training?
Wenn wir an variable Sauerstofflevel während des Trainings denken, haben wir zuerst einmal Höhentraining im Kopf. Der Körper soll daran gewöhnt werden, mit weniger Sauerstoff auszukommen, damit er effizienter mit dem vorhandenen Sauerstoff umgeht. Das Gegenteil hiervon ist das hyperoxische Training. Dabei trägt der Läufer eine Sauerstoffmaske, die ihn mit mehr Sauerstoff versorgt, als in der normalen Umgebungsluft steckt. Damit kann man – so die Theorie – schneller und länger laufen.
Kann das funktionieren? Wissenschaftler und Trainer untersuchen hyperoxisches Training schon seit Jahrzehnten – Roger Bannister veröffentlichte bereits in den 1950er-Jahren eine ausführliche Studie zu diesem Thema, bevor er die Meile zum ersten Mal in unter vier Minuten lief. Bannisters Ergebnisse zeigen, dass man mit zusätzlich eingeatmetem Sauerstoff tatsächlich schneller und weiter laufen kann. Bei einem Versuch auf dem Laufband lief Bannister mit einem Tempo von 10 km/h und einer 14-prozentigen Steigung. Bei normalem Sauerstoffanteil an der Atemluft (20,95 Prozent) lief er 8:45 Minuten bis zur Erschöpfung. Bei einem Sauerstoffanteil von 66 Prozent rannte er doppelt so weit, ohne anschließend gänzlich erschöpft zu sein.
Zeigt hyperoxisches Training auch ohne Sauerstoffmaske Wirkung?
Die Frage nun ist: Erzielt man durch diese Trainingsform Trainingsreize, also körperliche Anpassungsprozesse, die die Leistungsfähigkeit erhöhen? In der Theorie erscheint es durchaus logisch. Der zusätzliche Sauerstoff erlaubt es, intensiver zu trainieren, was zu einem größeren Trainingsreiz führen sollte. Entsprechende trainingsphysiologische Effekte werden bislang allerdings durch keine wirklich guten und vernünftig durchgeführten Untersuchungen belegt.
Forscher der University of Western Australia ließen Läufer ein Intervalltraining absolvieren und versorgten eine Gruppe in den Pausen mit zusätzlichem Sauerstoff. Alle Läufer mussten 10-mal 3:00 Minuten mit 85 Prozent ihrer maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) laufen. Die Pausen betrugen jeweils 1:30 Minuten. Wie erwartet normalisierte sich die Sauerstoffsättigung im Blut schneller als bei der Vergleichsgruppe – normalerweise fällt die Sauerstoffsättigung während eines harten Intervalltrainings um 8 bis 13 Prozent. Allerdings führte das nicht zwangsläufig zu besseren Leistungen. Insbesondere sollte bei der Untersuchung herausgefunden werden, ob die Sauerstoffzufuhr Entzündungen und oxidativen Stress nach dem Training reduzieren kann. Das Diagramm zeigt die Konzentration von Interleukin-6, welches die Entzündungsreaktionen im Körper reguliert (pg/ml = Pikogramm pro Milliliter).

Das Ergebnis der Studie: Es konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen festgestellt werden. Kurzum: Ein Trainingseffekt des hyperoxischen Trainings lässt sich derzeit nicht feststellen.
Für wen eignet sich hyperoxisches Training?
Anders als das klassische Höhentraining – also hypoxisches Training –, ist hyperoxisches Training weniger verbreitet und eine Wirkung auf die Leistungsfähigkeit wissenschaftlich nicht bestätigt. Generell lässt sich sagen, dass sich durch Variation des Sauerstoffgehalts in der Atemluft keine langfristigen Anpassungen in der Trainingsphysiologie bewirken lassen. Bei Profis spielt jedoch jedes Prozent eine gewichtige Rolle, da die Luft in der Weltspitze im wahrsten Sinne immer dünner wird. Die einfachsten Mittel, im Laufen schneller zu werden, sind Trainingsvolumen (Häufigkeit und Umfang) sowie Trainingsintensität zu steigern. Während Profis dies sehr stark ausgereizt haben, liegt bei den allermeisten Hobby-Sportlern hier das größte Potenzial, sodass hypoxisches oder hyperoxisches Training unter Freizeit-Sporterinnen und -Sportlern wenig Relevanz haben.
Fazit: Wissenschaftliche Lage noch ungeklärt
Wir müssen festhalten, dass wir noch nichts wirklich Aussagekräftiges über die Wirkung des hyperoxischen Trainings wissen. Klar ist, dass zusätzlicher Sauerstoff signifikante physiologische Auswirkungen hat. Allerdings ist fraglich, wie sich der Trainingsreiz auf die langfristige Leistungsentwicklung auswirkt. Auch die Umsetzung zu einem praktikablen Trainingsmittel, ähnlich des Höhentrainings, ist noch nicht geklärt. Denn auf einem Heimtrainer oder Laufband ist es kein Problem eine Sauerstoffmaske zu tragen, beim Laufen ist das jedoch anders.