Jeder Läufer und jede Läuferin sollte sich mit dem schwierigen Begriff Herzfrequenzvariabilität oder Herzratenvariabilität (kurz: HRV, vom englischen heart rate variability) vertraut machen. Der Grund dafür: Die Herzfrequenzvariabilität gilt zunehmend als eine Art Generalmaß für Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden. Sie sagt viel darüber aus, wie es um die allgemeine Leistungsfähigkeit Ihres Körpers steht, wie groß seine Fähigkeit zur Erholung ist, ob Sie trainieren oder sich ausruhen sollten und ob Sie zurzeit gesund oder gestresst sind.
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Was ist die Herzfrequenzvariabilität?
Um die Herzfrequenzvariabilität zu verstehen, müssen wir zuerst einige grundlegende Eigenschaften des Herzens erläutern. Generell schlägt das Herz in Ruhe langsamer und bei hoher Belastung schneller. Die Zahl der Schläge pro Minute wird als Herzfrequenz (oft auch nur als Puls) bezeichnet. So weit, so bekannt.
Was viele nicht wissen, ist, dass das Herz nie ganz gleichmäßig schlägt. Ein Ruhepuls von 60 Schlägen pro Minute bedeutet nicht, dass der Abstand zwischen den einzelnen Herzschlägen jeweils genau eine Sekunde beziehungsweise 1.000 Millisekunden beträgt. Variationen von beispielsweise über 100 Millisekunden ganz normal. Gut sehen kann man das im EKG: Die großen Zacken, die den Herzschlag zeigen, sind nie exakt gleich weit voneinander entfernt – diese Abweichung ist die Herzfrequenzvariabilität. Je stärker die Abstände der einzelnen Herzschläge (RR-Intervall) um einen individuellen Grundwert schwanken, desto höher die Herzfrequenzvariabilität. Schlägt das Herz hingegen sehr gleichmäßig und rhythmisch, also mit einer geringen zeitlichen Abweichung zwischen den einzelnen Schlägen, spricht man von einer niedrigen Herzratenvariabilität.
Was ist besser: eine hohe oder niedrige Herzfrequenzvariabilität?
Was sagt die Herzfrequenzvariabilität eigentlich aus? Diese Frage ist leicht zu beantworten: Je höher die Herzfrequenzvariabilität, desto besser kann sich das Herz an körperliche (etwa durch Training hervorgerufene) und seelische (zum Beispiel durch Stress verursachte) Belastungen anpassen. Ein unrhythmischer, variabler Herzschlag – nicht zu verwechseln mit krankhaften Herzrhythmusstörungen – ist also ein deutliches Zeichen dafür, dass Sie fit, gesund und ausgeruht sind. Ein starrer, unvariabler Rhythmus deutet dagegen darauf hin, dass etwas nicht stimmt.
So schlägt Ihr Herz in den Stunden und auch Tagen nach intensiven (sich häufig wiederholenden) körperlichen Belastungen gleichförmiger. Eine niedrige Herzfrequenzvariabilität kann daher ein klares Symptom dafür sein, dass Sie zu viel trainiert haben oder Ihnen das letzte Rennen noch in den Knochen steckt. Beachten Sie darüber hinaus, dass Krankheit, Nikotin- und Alkoholkonsum sowie Schlafqualität den Wert der Herzfrequenzvariabilität beeinflussen können. Stark vereinfacht ausgedrückt: Eine hohe Herzfrequenzvariabilität ist besser als eine niedrige.
Nicht nur Sport und Erholung wirken sich auf Ihre Leistungsfähigkeit und damit auf die Herzfrequenzvariabilität aus. Auch die Hast im Alltag, ein Streit mit dem Partner, Stress bei der Arbeit oder eine durchzechte Nacht haben Folgen für Ihre Gesamtverfassung. Also kann die Herzfrequenzvariabilität auch niedrig sein, wenn Sie gar nicht trainiert haben, sondern gerade in einer Stressphase stecken. Wie beim Sport hilft es auch dann, es etwas ruhiger angehen zu lassen. Hören Sie auf Ihr Herz – auch in den Pausen zwischen seinen Schlägen, wenn es zu schweigen scheint. Nicht nur Mediziner haben die Aussagekraft der Herzratenvariabilität inzwischen erkannt, auch Spitzensportler wissen längst Bescheid. Anhand der HRV-Messwerte kontrollieren sie unter anderem, wie gut ihr Training anschlägt, wie erholt sie sind und ob sie belastbar sind. Und das können Sie auch.
Wie hoch sollte die Herzfrequenzvariabilität sein?
Wie hoch der Wert der HRV sein sollte, kann man nicht sagen, denn es gibt keine Norm- oder Grenzwerte – die Herzfrequenzvariabilität ist individuell. Man kann also nicht sagen, dass 30 Millisekunden ein schlechter und 100 Millisekunden ein guter Wert ist. Die Frage, welche Herzfrequenzvariabilität gut beziehungsweise schlecht ist, lässt sich nicht beantworten. Viel wichtiger und aussagekräftiger ist, wie sich die HRV individuell über einen längeren Zeitraum verhält.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Herzfrequenzvariabilität abnimmt, je älter man wird. Aber es kann sein, dass ein junger Faulpelz eine niedrige HRV aufweist, als ein älterer Sportler. Sie sollten Ihre HRV-Werte also stets nur in Vergleich zu Ihren bisherigen Werten stellen. Daher ist es ratsam, die HRV über einen langen Zeitraum jeden Tag zu messen. Wie das geht, verraten wir weiter unten.
Haben Sportler eine andere/bessere Herzfrequenzvariabilität?
Wenn Ihr Herz während des Trainings schneller schlägt, nimmt auch die Herzfrequenzvariabilität ab – das Herz schlägt jetzt sehr gleichmäßig. Das ist aber nur eine Momentaufnahme, da die sportliche Belastung für den Körper in erster Reaktion Stress darstellt. Auf Dauer senkt regelmäßiges Ausdauertraining nicht nur den Ruhepuls – es steigert auch die HRV. Zwei- bis dreimal pro Woche je 30 bis 60 Minuten reichen dafür bereits aus.
Eine hohe HRV bedeutet jedoch nicht automatisch, dass jemand zehn Kilometer in 30 Minuten läuft. Jeder muss zunächst seinen persönlichen HRV-Bereich ermitteln, um dann von Tag zu Tag und Monat zu Monat zu beobachten, wie dieser Wert von den bis dahin gemessenen abweicht. Eine steigende Herzfrequenzvariabilität ist jedoch ein Anzeichen dafür, dass Sie fitter werden und das Trainings in puncto Pensum und Intensität zur individuellen Leistungsfähigkeit und zum Lebensstil passt.
Wie funktioniert die Trainingssteuerung mit Herzfrequenzvariabilität?
Wenn Sie Ihren individuellen HRV-Bereich kennen, können Sie mithilfe der Herzratenvariabilität Ihr Training optimieren. Beispiel: Sie haben gestern hart trainiert und wollen wissen, ob Sie schon heute einen neuen Reiz setzen können oder lieber pausieren sollten. An der Herzfrequenzvariabilität morgens nach dem Aufstehen lässt sich erkennen, ob die Nacht ausgereicht hat, um zu regenerieren, oder nicht. Ein hoher Wert signalisiert: Sie sind erholt, heute können Sie sich belasten. Ein niedriger Wert deutet darauf hin, dass Sie Ihren Körper durch zu hartes Training überlastet haben. Dieses Wissen ist wichtig, wenn Sie nachhaltig trainieren wollen.
Vor allem ambitionierte, wettkampforientiere Freizeitsportlerinnen und -sportler können oft nicht gut einschätzen, was sie ihrem Körper zumuten können. Viele trainieren zu viel, obwohl ihre Herzfrequenzvariabilität teilweise herabgesetzt ist. In dem Fall lautet die Empfehlung, einen Ruhetag einzulegen. Dadurch normalisiert sich die Herzratenvariabilität meistens wieder, der Körper ist bereit für neue Belastungen. Sind Sie nicht ausreichend erholt und setzen zu früh neue Trainingsreize, nimmt Ihre Leistungsfähigkeit ab. Wenn Sie Ihre Herzfrequenzvariabilität kennen, schützt Sie das jedoch nicht nur vor Übertraining. Richtig eingesetzt hilft Ihnen das Wissen, schneller ein neues Fitnesslevel zu erreichen. Anders gesagt: Wer nach seiner Herzfrequenzvariabilität stets regeneriert trainiert, erreicht noch schneller ein höheres Leistungsniveau.
Wie kann ich die Herzfrequenzvariabilität zuverlässig messen?
Das Wissen über die Herzratenvariabilität bringt wenig, solange Sie Ihren exakten Wert nicht kennen – und die Werte über einen langen Zeitraum ins Verhältnis miteinander setzen. Bis vor wenigen Jahren brauchte es medizinische EKG-Geräte, die das RR-Intervall (RRi), also den Abstand zwischen den Herzschlägen messen. Inzwischen gibt es jedoch deutlich kompaktere Möglichkeiten für den Hausgebrauch. Hier stellen wir zwei Messmethoden vor, die nicht nur einen HRV-Wert, sondern dazu gleich noch verlässliche Auswertungen des Fitness-, Stress- und Erholungslevels liefern.
Sportuhr/Smartwatch
Die einfachste Möglichkeit tragen die meisten Läuferinnen und Läufer vermutlich bereits am Handgelenk: eine Sportuhr oder Smartwatch. Modelle wie etwa die Polar Vantage V3 oder die Garmin Forerunner 965 messen nämlich nicht nur die Herzfrequenz, sondern auch die Herzfrequenzvariabilität. Inzwischen wird die HRV dabei rund um die Uhr sogar im Schlaf gemessen. Dabei nutzen die Uhren meist neben dem optischen Herzfrequenzsensor auch die Leitfähigkeit des Gehäuses. Genauer ist die Messung aber mit einem Brustgurt wie dem Polar H10.
App
Es gibt auch Apps, die über einen mit dem Smartphone gekoppelten Herzfrequenzgurt die Messdaten auswertet. Auch diese Analyse verrät, wie erholt Sie sind, wie hoch Ihr Stresslevel ist, wie intensiv Sie trainieren sollten. Wichtig ist, die Messung stets zur selben Tageszeit und in der gleichen Körperhaltung zu messen – am besten direkt nach dem Aufwachen. Beispiele sind der „Vitalmonitor“ oder „Autonom Health“.
Zusammenfassung und Fazit zur Herzfrequenzvariabilität
- Die Herzfrequenzvariabilität gibt die Variabilität Ihres Herzschlags an. Schaut man sich die großen Zacken (RR-Intervall) im EKG an, sind die Abstände nicht immer genau gleich. Die Unterschiede der Abstände bemisst die Herzfrequenzvariabilität.
- Je fitter und ausgeruhter man ist, desto unregelmäßiger ist der Herzschlag und desto höher die Herzratenvariabilität. Das Herz schlägt mit einer hohen Abweichung von zum Beispiel 100 Millisekunden. Dem Körper fällt es leicht, schnell ein paar Gänge hoch- oder herunterzuschalten. Jetzt ist Zeit für forderndes Training.
- Ist man nicht erholt oder gestresst, ist die Herzfrequenzvariabilität niedrig. Zwischen den einzelnen Schlägen kommt es beispielsweise nur zu Abweichungen von 30 Millisekunden. Reduzieren Sie dann Stress und intensives Training.
- Die Messung ist vor allem mittels modernen Sportuhren und Smartwatches sehr einfach, da diese den Herzschlag durchgängig aufzeichnen und auswerten.