„Ich war mit mir und meiner Umwelt absolut im Einklang. Das Laufen fühlte sich wie Schweben an und ich hätte endlos weiterrennen können“, so beschreibt eine Person aus unserer Leserschaft das Runner’s High. Jenes Hochgefühl, das sich beim Laufen einstellen kann und nach dem etliche Sporttreibende regelrecht süchtig sind. Manche umschreiben es auch so: „das reine Glück“, „im Gleichgewicht, in vollkommener Harmonie mit mir selbst und der Natur sein“, „wie im Rausch, wie unter Drogen“, „starke Euphorie“ oder einfach nur „im Flow sein“. Wie dieses Gefühl empfunden wird, ist sehr unterschiedlich, höchst individuell und subjektiv. Wie aber entsteht es und warum warten einige Läufer und Läuferinnen ein Leben lang vergeblich darauf? Die Antworten finden Sie in diesem Artikel, genauso wie einige Tipps, mit denen Sie das Runner’s High herbeiführen können.
Was ist das Runner’s High?
„Für den Begriff 'Runner’s High' finden sich in der Literatur verschiedene Definitionen“, erklärt der Sportmediziner Dr. Heiko Striegel. „Gemeinsam ist diesen Definitionen, dass es sich beim Runner’s High um eine Art 'euphorische Empfindung' handelt, die dem Läufer ein gesteigertes Gefühl des Wohlbefindens vermittelt“, sagt er. Dieses Gefühl stelle sich meist erst bei Läufen von über einer Stunde ein, aber auch bei kurzen, intensiven Läufen könne es zu Rauschempfindungen kommen, so der Experte.
Was passiert beim Runner’s High?
Jahrzehntelang glaubte man, dass vor allem die Endorphinausschüttung dafür verantwortlich ist. Das widerlegte eine Studie im Jahr 2021, die bewies, dass dem Cannabis ähnliche körpereigene Moleküle den Laufrausch auslösen.
Jetzt auch beim Menschen nachgewiesen: Endocannabinoide statt Endorphine
Früher erforschte man dieses Hochgefühl nur an Mäusen. In Experimenten wurde bereits nachgewiesen, dass das Läuferhoch bei Mäusen mit den Cannabinoid-Rezeptoren zusammenhängt. Zwar lässt sich an Mäusen kein Glücksgefühl nachweisen, doch die Langstreckenmäuse waren laut Studie weniger schmerzempfindlich und weniger ängstlich als die Kontrollgruppe – Begleiterscheinungen des Läuferhochs.
Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) bewiesen dies nun auch an Menschen. In einer Studie 2021 wiesen sie nach, dass die Annahme, Hormone, wie die Endorphine (auch Opiat-Peptide genannt, die im Zentralnervensystem entstehen und ähnlich wie Morphium wirken) würden den Laufrausch auslösen, falsch ist. Endorphine spielen wohl keine Rolle beim Auslösen des Runner’s High! Das Team an Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen um Prof. Dr. Johannes Fuß belegte damit das oben beschriebene, bereits an Mäusen erforschte Phänomen nun auch bei Menschen: die dem Cannabis ähnlichen Moleküle Endocannabinoide sind verantwortlich. Ihre Ergebnisse veröffentlichte das Team an Wissenschaftlern im Fachmagazin „Psychoneuroendocrinology“.
Die Studie: Es war eine doppelblinde, randomisierte und placebokontrollierte Studie mit über 60 Läufern und Läuferinnen.* Nach einer Dreiviertelstunde zeigten die Probanden beim Laufen in einem für sie angenehmen Tempo auf einem Laufband eine gesteigerte Euphorie und verringerte Angst. Bei den Lauf-Probanden wurden höhere Plasmaspiegel der Endocannabinoide gemessen. Daher schlussfolgerte das Forscherteam, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit für ein Runner’s High verantwortlich sind. Das Gehen auf dem Laufband führte übrigens nicht zu diesem Effekt. Die Studie war zwar nicht groß angelegt, ihre Ergebnisse sind trotzdem eine kleine Revolution, da nun von ganz anderen Stoffen, die für den Laufrausch zuständig sind, ausgegangen werden kann. Auf Basis dieses Ergebnisses werden vermutlich noch weitere Studien in Zukunft stattfinden.
Endocannabinoide, was ist das?
Endocannabinoide sind Cannabis-ähnliche Substanzen, die vom Körper selbst produziert werden. Sie sind Teil des endogenen Cannabinoid-Systems. Es sind keine Peptide. Endocannabinoide wiederum sind weniger bekannt, es sind körpereigene Moleküle, die auf dieselben Rezeptoren in unserem Körper wirken, wie eben die allseits bekannten Cannabinoide (aus der Hanfpflanze). „Endo“ ist abgeleitet aus dem Griechischen für „innen“ oder „innerhalb“ und bedeutet in diesem Kontext „körpereigen“. Sie haben ihren Namen vom Cannabis, das bei Kiffern ebenfalls für rauschartige Zustände sorgen kann.
Denn nach den Angaben der Wissenschaftler können die im Blut ausgeschütteten Endorphine die Blut-Hirn-Schranke nicht problemlos passieren und damit auch gar nicht die Effekte des Runner’s High auslösen. Anders sieht es aber bei den lipophilen Endocannabinoiden aus, deren Werte im Blut von Läufern und Läuferinnen ebenfalls ansteigen. Dadurch entsteht nicht nur der mentale Rauschzustand, sondern Schmerzen werden auch betäubt. Das können alle Marathonläufer und Marathonläuferinnen bestätigen, die Blasen und andere Blessuren erst nach dem Zieleinlauf spüren. Die Ergebnisse der UKE-Studie bestätigen nun auch an Menschen, was bereits in der Vergangenheit an Mäusen nachgewiesen worden war.
Warum erlebt nicht jeder ein Runner’s High?
Ständig erzählen Leute aus Ihrem Lauf-Team von Hochgefühlen, während Sie vergeblich auf ein Runner’s High warten? Laufexperte Martin Grüning erklärt dazu: „Das kann von Mensch zu Mensch stark variieren. Weist Ihr Laufkollege im Gegensatz zu Ihnen eine deutlich höhere Produktion und Ausschüttung von stimulierenden Stoffen auf, so könnte dies die Ursache dafür sein, dass Ihr Laufpartner häufiger ein Runner’s High erlebt, Sie jedoch nicht.“ Sie möchten diesen Zustand aber auch gerne mal erleben? Dabei helfen Ihnen vielleicht die folgenden Tipps ...
Wie entsteht das Runner’s High und wie kann ich es bekommen?
Einige Faktoren begünstigen das Runner’s High, wie beispielsweise die meditative Komponente des Laufens: Der gleichmäßige Schrittrhythmus kann in eine Art Trance versetzen. Wirklich garantieren kann man die körpereigene Produktion stimulierender Substanzen natürlich nicht, aber: Es gibt einige Tricks, wie Sie das Runner’s High eventuell eher erleben können. Hier stellen wir Ihnen sieben Tipps vor:
Die richtige Trainingseinheit
RUNNER’S-WORLD-Chefredakteur Martin Grüning empfiehlt Einsteigern für ihr erstes Runner’s High folgende Trainingseinheit: „Fünf Minuten langsam traben, dann siebenmal je eine Minute lang schnell, aber kontrolliert laufen – Knie hoch, langer Schritt, Arme mitnehmen. Kein Sprint, aber ein hohes Tempo. Und nach jeder schnellen Minute zur Erholung zwei Minuten traben. Wetten, dass Sie in den letzten schnellen Minuten beginnen zu schweben? Und in diesem Rauschzustand am Schluss noch mal fünf Minuten langsam laufen.“
In den Flow finden
Ein Flow-Zustand ähnelt einer Trance, wenn man ganz und gar mit sich und der Welt zufrieden ist. Es ist ein Zustand der Harmonie, wie in der Schwebe. Dabei ist von „Weltvergessenheit“ und dem völligen Aufgehen in der Tätigkeit/Bewegung die Rede. Das Geheimnis eines lockeren Laufschrittes ist eine ausreichend lange Einlaufphase. Die Muskulatur ist erst nach zehn bis 15 Minuten gut aufgewärmt. So lange sollten Sie nur locker traben, um ein Sauerstoffdefizit in den Beinen zu vermeiden. Dann kommen Sie besser in einen Lauf-Flow.
Kurzer Exkurs zum Thema Flow: Der ungarische Psychologe und Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi (1934–2021) ist der Entdecker von dem Flow-Erlebnis. Um seine Flow-Theorie zu formulieren, beobachtete er unter anderem Sporttreibende dabei, wie sie einen extremen Sport ausübten.
Haben Sie Geduld mit sich selbst
Laufen ist auch immer von Ihrer Tagesform anhängig. Es gibt Läufe, nach denen Sie froh sind, sie nicht nach der ersten halben Stunde abgebrochen zu haben. Denn plötzlich, nach schleppenden 30 oder sogar 40 Minuten läuft es auf einmal richtig gut und Ihre Beine fangen an zu schweben und am Ende haben Sie das Gefühl, ewig weiter laufen zu können, den perfekten Lauf-Flow eben. Deshalb gilt: Nur weil die erste Hälfte eines Laufs schwerfällt, heißt das nicht, dass Sie aufhören sollten zu laufen. Manchmal braucht der Körper länger, um in den richtigen Schritt zu finden. Manchmal braucht auch der Kopf länger, um abschalten zu können und überhaupt offen für einen Rauschzustand zu sein.
Im passenden Takt laufen
Musik kann dabei helfen, beim Laufen in einen gleichmäßigen Rhythmus zu finden. Außerdem hat sie eine ablenkende Wirkung. Ideal ist es, wenn der Beat der Musik zu Ihrer Schrittfrequenz passt.
Der Natur lauschen
Wer nicht gerne mit Musik läuft, kann auch ganz bewusst auf die Natur hören. Lauschen Sie Ihren Schritten. Wie hören sich diese auf dem Waldboden an? Hören Sie genau hin, welche Töne das Rauchen in den Bäumen macht und wie die Vögel singen. Seien Sie ganz im Hier und Jetzt. Lauschen Sie jedem Ihrer Atemzüge oder dem Pochen Ihres Herzens. Wenn Sie ganz im Moment leben, nennt sich das Achtsamkeit. Laufen kann nicht nur ein gutes Ausdauertraining sein, es kann auch zum Achtsamkeitstraining werden. Ihre Zeit am Tag, in der Sie ganz bei sich sind und ihre Umgebung und sich bewusst wahrnehmen. Schritt für Schritt. Atemzug für Atemzug.
Kurzer Exkurs in puncto Achtsamkeit: Sie ist genau wie Flow ein aktuell viel diskutiertes Thema, auch in der Sportpsychologie. Die Achtsamkeit (mindfulness) basiert auf uraltem Wissen. Sie beschreibt den Zustand der bewussten Geistesgegenwart: mit allen Sinnen, ein Erleben des Moments, von sich selbst und der Umwelt. Achtsamkeits-Lehrende arbeiten unter anderem mit Atemtechniken.
Mentaltraining
Wenn die Achtsamkeit nicht Ihre Sache ist, suchen Sie sich während des Laufens ein Ihnen wohlbekanntes Gedicht, Lied, eventuell nur eine Gedicht- oder Liedzeile aus, welche Sie sich wiederholt imaginär, sozusagen tonlos, vorsagen. Bringen Sie den Text in Einklang mit Ihrem Atemrhythmus und versuchen Sie schließlich noch im Takt dazu, mit dem Daumen den kleinen Finger und nachfolgend alle anderen Finger immer wieder zu berühren. Wohlgemerkt, alles, während Sie weiterlaufen. Dies bedarf zu Beginn eines Laufs großer Konzentration, aber mit zunehmender Dauer kann der rhythmische Einklang von Atem, Text, Händen und Beinen zu einem transzendentalen Erlebnis führen. Falls Ihnen kein Gedicht oder Lied einfällt, können Sie auch ein Bild wählen, in das Sie sich geistig vertiefen, weil Sie sich damit verbunden fühlen und das Ihnen Kraft und Entspannung vermittelt.
Die passende Strecke finden
Ein Runner’s High können Sie in der Stadt genauso gut erleben wie auf dem flachen Land, im Wald oder in den Bergen. Mitten in der Natur ist die Chance allerdings etwas höher. Lange Ampelphasen, Autos oder Radfahrende, auf die man ständig achtgeben muss, können einen schnell aus dem Trance-Zustand herausholen oder einem die Möglichkeit nehmen, diesen überhaupt zu erreichen.
Ab wann erreiche ich ein Runner’s High?
Die Lauf-Probanden des Hamburger Experiments liefen im Durchschnitt 45 Minuten, bis sie etwas vom Hochgefühl spürten. Es sind also eher Läufe um eine Stunde oder sogar länger vonnöten, um das Glücksgefühl zu erreichen. Generell dürfte Zeitdruck Sie daran hindern, in den Genuss eines Laufrauschs zu geraten, da dieser für Anspannung sorgt. Nehmen Sie sich besser das Wochenende vor!
Wie lange dauert das Runner’s High an?
Die Dauer dieses Zustandes ist wohl so individuell wie die Läufer selbst, kann also von Läufer zu Läufer, aber auch von Lauf zu Lauf variieren.
Kann das Runner’s High süchtig machen?
Klar, da es ein schönes Gefühl ist. Vielleicht könnte man es ein wenig mit Schwerelosigkeit vergleichen – falls Sie schon mal in einer Kletterwand hingen. Natürlich vorausgesetzt, dass Sie gut gesichert von einem Kletterbuddy waren, wissen Sie, wie schön das freie Schweben in einer fantastischen Kulisse ist. Genauso schön ist auch das Fliegen durch den Wald, das schwerelose Gefühl, das wir beim Runner’s High erleben.
Laufen macht kreativ und den Kopf frei
Wenn Sie trotz unserer Tipps keinerlei berauschende Glücksgefühle beim Laufen erlangen, verzagen Sie dennoch nicht. Denn eines können wir Ihnen garantieren. Laufen kann noch mehr als Rauschzustände auslösen: Es macht kreativ, denn es macht den Kopf frei!
Jeder Läufer und jede Läuferin kennen das: Wir starten beladen mit einem Problem auf die Laufrunde. Währenddessen verflüchtigt sich „der große Elefant zu einer Mücke“, denn unser Kopf wird frei. Nach dem Lauf fühlen wir uns wie neu geboren. Manche macht das Laufen – offenbar genau deshalb – kreativ und fördert ihre Auffassungsgabe.
Die Autorin Murielle Rousseau schreibt in ihrem Buch „Die Gärten von Paris“ den interessanten Satz: „Ich konnte schon immer am besten lernen, wenn ich mich bewege.“ In ihrem Buch bezieht die Französin diese Aussage auf ihre Vergangenheit, ihre Studienzeit in Paris. „Heute würde ich das sogar noch erweitern. Wenn ich laufe, kann ich viel kreativer sein. Ich komme in eine Art Flow, dabei kommen mir tausend Ideen und ich fange dann bereits zu formulieren an. Ich stricke sozusagen auf der Laufrunde neue Geschichten für meine Bücher“, sagt die mehrfach ausgezeichnete Buchautorin. Das Laufen mache sie aber nicht nur kreativ und frei im Kopf, es löse bei ihr auch Probleme, erklärt sie weiter. „Wenn ich ein Problem mit auf die Laufrunde nehme, löst sich dieses mit jedem Schritt mehr und mehr in Wohlgefallen auf“, sagt die Autorin.
Fazit: Endocannabinoide machen Läufer glücklich
Für den Laufrausch, das Runner’s High, sind die Endocannabinoide verantwortlich, Cannabis-ähnliche Substanzen, die vom Körper selbst produziert werden – sozusagen selbst erzeugte gesunde Drogen.
- Wir bekommen beim Runner’s High eine Art Kick, der uns leicht macht und schweben lässt.
- Um dieses Hochgefühl zu erreichen, sollten Sie nicht unter Zeitdruck stehen (Laufdauer: mindestens 45 Minuten, besser noch länger).
- Suchen Sie sich eine schöne Strecke durch die Natur aus.
- Laufen Sie entweder zu einem Takt oder versuchen Sie, achtsam zu laufen.
- Laufen kann noch mehr als zu berauschen: Es macht den Kopf frei und fördert bei manchen die Kreativität.
* Literaturangabe zu der genannten Studie: Siebers, M.; Biedermann, S. V.; Bindilia, L.; Lutz, B. und Fuß, J.: Exercise-induced euphoria and anxiolysis do not depend on endogeous opioids in humans. In: Psychoneuroendocrinology, April 2021 (www.sciencedirect.com)