Vom Junkie zur Lauftherapeutin
Mein Lauf zu mir selbst

Katja Gallasch war 17 Jahre lang drogenabhängig. Im Gefängnis entdeckte sie den Laufsport für sich. Heute ist sie selbst Lauf- und Suchttherapeutin.
Katja Gallasch war 17 Jahre lang drogenabhängig. Heute ist sie Lauf- und Suchttherapeutin.
Foto: Jean-Marc Delettre

"Ich kam schon als Kleinkind mit Sucht in Berührung – zu Hause in meiner Familie", berichtet Katja über ihre schwierige Kindheit. Wenn Suchtprobleme im Elternhaus verwurzelt sind, bekommen die Kinder das Gefühl vermittelt, nicht gewünscht zu sein. Denn die Eltern sind ständig mit ihrer Abhängigkeit beschäftigt. "Ich habe überhaupt kein Selbstwertgefühl entwickelt. Schon damals war ich immer mit Älteren zusammen, die Drogen nahmen. Schließlich habe ich mitgemacht", sagt Katja.

Lauf-Therapie

"Von meinem 18. bis 28. Lebensjahr war ich auf der Flucht vor meinen Gefühlen. Ich rannte nur den Drogen hinterher."

Im Alter von elf Jahren rauchte sie zum ersten Mal Cannabis. "Später kamen Chemiedrogen dazu. Mit 16 Jahren konsumierte ich Kokain und Heroin. Von meinem 18. bis 28. Lebensjahr war ich auf der Flucht vor meinen Gefühlen. Ich rannte ständig den Drogen hinterher, um Geld zu beschaffen und die Gefühle schnellstmöglich wegzudrücken", beschreibt Katja ihr Drogenelend, in dem sie sich damals befand. So landete sie 1999 im Gefängnis. "Dort lernte ich eine Frau kennen, die Läuferin war. Ich schloss mich ihr an. Zu dieser Zeit war ich 22 Jahre alt und fand mich viel zu dick. Ich bin damals nur gelaufen, um abzunehmen – auch nach der Zeit des Gefängnisaufenthalts."

Katja Gallasch war 17 Jahre lang drogenabhängig. Heute ist sie Lauf- und Suchttherapeutin.
Jean-Marc Delettre
Katja Gallasch gibt ihre Erfahrungen heute als Lauftherapeutin an Drogenabhängige weiter.

In jener Phase war das Laufen noch nichts Schönes für sie, sondern nur Mittel zum Zweck. Kurz nach der Entlassung aus dem Gefängnis wurde sie rückfällig. Die Schuldgefühle, das schlechte Gewissen und das Gefühl der Wertlosigkeit wollten betäubt werden. Doch irgendwann half auch die größte Dosis nichts mehr.

"Im Alter von 28 Jahren kam ich zur Entgiftung nach Wittichen in Baden-Württemberg", erzählt Katja. Anschließend wurde sie in die Fachklinik für Drogenkrankheiten "Siebenzwerge" eingeliefert, eine Einrichtung für Suchtkranke in Salem, die nach der anthroposophischen Denkweise arbeitet. "Mein erster Besuch in dieser Klinik war für mich ein Aha-Erlebnis. Ich wusste sofort: Wenn mir irgendwo geholfen werden kann, dann hier", erinnert sich Katja. Sie ist der Klinik bis heute treu geblieben, nur dass sie mit der Zeit die Seiten wechselte: Als Patientin kam sie hierher, heute ist sie dort selbst als Therapeutin tätig …

"Das Laufen gab mir das Gefühl von Freiheit."

Nachdem Katja vor rund 13 Jahren in die Klinik eingeliefert worden war, arbeitete sie intensiv an ihrer Drogenvergangenheit. "Nach einem Entzug ist man zwar drogenfrei, aber noch lange nicht geheilt. Ich machte damals zahlreiche Therapien: Gruppengespräche, Lauftherapie, Kunsttherapie und Eurythmie, denn in unserer Klinik gibt es ganz viele verschiedene Ansätze – zum Beispiel über die Sinne, Bewegung, bewusstes Essen –, um sein Leben zu verändern. Wir haben auch eine ‚Schauspiel-Epoche‘. Diese Anwendungen waren für mich die Stützbeine auf meinem Weg zur Heilung, das Laufen gab mir dabei das Gefühl von Freiheit."

Katja Gallasch war 17 Jahre lang drogenabhängig. Heute ist sie Lauf- und Suchttherapeutin.
Jean-Marc Delettre
Katja bringt viel Talent mit: Ihre Bestzeit im Marathon steht bei 3:18 Stunden, im Halbmarathon bei 1:31.

In Salem erlebte Katja das Laufen dann zum allerersten Mal ganz bewusst: "Es ging mir nicht mehr um Ergebnisse. Es war ein kompletter Neueinstieg, nach dem Motto: Weniger ist mehr." Früher bedeuteten Strecken bis zu fünf Kilometer kein ernstzunehmendes Training für Katja: "Ich war schlimm ehrgeizig. In der Lauftherapie lernte ich zuerst einmal das langsame Laufen", erzählt sie. Katja bringt eine ordentliche Portion Talent mit: Ihre Bestzeit im Marathon steht bei 3:18 Stunden, im Halbmarathon bei 1:31. "Früher, mit Anfang 20, hätte ich alles gegeben, um noch besser zu werden. Ich muss auch was dafür tun, es fliegt mir keinesfalls zu. Aber heute reicht mir meine Leistungsform vollkommen aus."

Katja arbeitet momentan in Vollzeit als Lauf- und Suchttherapeutin. Nebenher absolviert sie ein Studium zur Sozialarbeiterin. Als Lauftherapeutin läuft sie vor allem mit Anfängern, im moderaten Tempo von acht Kilometern pro Stunde – für sie ein gutes Regenerationstraining. "Mit den jüngeren Läufern gebe ich aber auch mal Vollgas", sagt sie.

"Die Bewegung bringt den Gedankenfluss in eine Struktur, er wird besser und positiver. Die Gefühle können abfließen."

Warum ist gerade das Laufen als Unterstützung beim Drogenentzug so effektiv? "Aus vielen Gründen", antwortet Katja: "Es ist vor allem das körperliche Reinigen. Die Patienten sind ja schon entgiftet, aber trotzdem wird da noch mal was hinausgeschwitzt. Laufen ist einfach und schnell erlernbar und es vermittelt ein gutes Verhältnis zur Ernährung. Vielen Patienten hilft es dabei, das Rauchen aufzugeben. Und sozial gesehen schafft der Laufsport schnell Verbindungen: Man ist gemeinsam mit seinem Team im Laufschritt, in einem Rhythmus, unterwegs. Die Bewegung bringt den Gedankenfluss in eine Struktur, er wird besser und positiver. Man verharrt nicht mehr länger in seinen Gefühlen, sie können abfließen. Ganz wichtig: Beim Laufen wird ein gesundes Körpergefühl wieder neu erlernt."

"Beim Laufen wird ein gesundes Körpergefühl wieder neu erlernt."

Katja nimmt im Schnitt pro Jahr an 25 Läufen teil, darunter drei Marathons. Kürzere Volks- und Naturläufe bestreitet sie meistens mit den Teilnehmern ihrer Laufgruppe. "Im Schnitt trainiere ich zwischen 60 und 85 Kilometer pro Woche", erzählt die 41-Jährige. Einen Wunsch für die Zukunft hat Katja auch: "Mein Ziel ist, dass ich auch noch im Alter von 75 Jahren laufen kann. Und wenn ich in diesem Alter dann auch noch auf dem Treppchen lande, mache ich einen Kopfstand vor Freude."

Katja Gallasch war 17 Jahre lang drogenabhängig. Heute ist sie Lauf- und Suchttherapeutin.
Jean-Marc Delettre
Ihr Wunsch für die Zukunft: „Mein Ziel ist, dass ich auch noch im Alter von 75 Jahren laufen kann."
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04 / 2023

Erscheinungsdatum 16.03.2023