"Vom Säufer zum Läufer" beschreibt Franz-Paul Bock salopp die Entwicklung, die er vor rund 30 Jahren durchlief. "Ich bin Alkoholiker und habe 1990 eine Therapie und Lauf-Therapie gemacht, was mir half. Seitdem lebe ich abstinent", sagt er. Und ist dem Laufsport treu geblieben. "Das Laufen gibt mir innere Ausgeglichenheit, Fitness und Zufriedenheit."
Vor seiner Therapie übte er mehrere Berufe aus. "Als Sohn eines Gastwirts kam ich schon früh mit Alkohol in Berührung, was mir nicht guttat. Ich arbeitete dann erst als Soldat, später als Bürokaufmann und schließlich als Koch, da ich damals den elterlichen Betrieb übernehmen wollte", so Franz-Paul. Doch die Sucht ergriff immer mehr Besitz von seinem Leben. "Irgendwann bin ich ganz tief abgerutscht. Erst verlor ich den Führerschein, dann den Job, und Schulden kamen auch noch dazu."

Als der Leidensdruck zu groß wurde, begann Franz-Paul einen sechsmonatigen Entzug. Aus dem ging er von seiner Sucht geheilt und als ambitionierter Läufer hervor. Ein Jahr später bewarb er sich in der Heimstatt Röderhof in Niedersachsen für eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. "Das war 1991. Als ich die Zusage erhielt, war ich 31 Jahre alt", erzählt er. Seine Geschichte ist so außergewöhnlich, weil er die Seiten wechselte: vom Therapie-Patienten zum Therapeuten. Seit der Umschulung arbeitet Franz-Paul als Heilerzieher, leitet seit zehn Jahren eine Behinderteneinrichtung der Heimstatt und bietet seit vielen Jahren eine Lauf-Therapie an.
In der Heimstatt Röderhof leben und arbeiten, verteilt auf mehrere Ortschaften und Häuser, rund 240 Menschen mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung. Franz-Paul leitet die Außenstelle Haus Gertrudenberg mit rund 25 Bewohnern. "Der Ursprung der Lauf-Therapie in unserem Haus ist das Jahr 1996. In einer Gruppe für schwer Verhaltensauffällige war ein junger Mann mit Lauftalent. Ich wollte ihn fördern, wir liefen bald längere Strecken bis zu 15 Kilometern."
"Das Laufen gibt mir innere Ausgeglichenheit, Fitness und Zufriedenheit."
Doch auch den anderen Bewohnern wollte Franz-Paul die Lauf-Therapie anbieten. 1998 besuchte er mit einer Kollegin ein Lauf-Therapie-Seminar, in dem sie aus Einsteiger-Laufplänen ein perfekt passendes Laufprogramm zusammenstrickten. 2005 gründeten sie ihren inklusiven Lauftreff. Seither trainiert Franz-Paul dreimal pro Woche mit den Bewohnern der Heimstatt. "Es sind immer um die zehn Läufer und Läuferinnen dabei; wir laufen Distanzen zwischen drei und zehn Kilometern."

Mittlerweile nimmt der Röderhof-Lauftreff jährlich an fünf bis sieben Volksläufen teil: "Immer mit Betreuer, denn bei Volksläufen haben wir eine Eins-zu-eins-Betreuung. Wenn also 15 Bewohner mitrennen, dann haben wir auch 15 Lauftrainer am Start", erklärt Franz-Paul.
"Lauftraining ist Inklusion pur, denn beim Laufen wird jeder gleich behandelt"
"Durch meine eigenen Therapie-Erfahrungen habe ich bemerkt, dass das Laufen nicht nur positive körperliche Effekte auf Kreislauf, Kondition, Übergewicht und Immunsystem hat, sondern auch psychische: Aggressionen werden abgebaut, Probleme können sich im Laufschritt manchmal von allein lösen", so der Heilerzieher.
Bei seinen Hausbewohnern registriert er tolle Resultate. "Lauftraining ist Inklusion pur, denn beim Laufen wird jeder gleich behandelt. Bei Volksläufen ist dieses Phänomen noch stärker. Unsere Bewohner sind nie die Letzten, das gibt ihnen ein Gefühl von Normalität. Eine Urkunde ist ein Erfolgserlebnis. Das stärkt das Ego. Und wer zufrieden ist, hat auch keinen Grund, aggressiv zu sein, oder?", lacht er.
