Robert Wiley war nicht sehr flexibel, wenn es um sein Training oder gar eine Trainingsperiodisierung ging. Der Projektmanager kannte genau zwei Arten: harte Trainingsphasen in der Vorbereitung auf einen Wettkampf und durchgängig ruhige Phasen, wenn er sich nicht auf einen Wettkampf vorbereitete. Dabei konnten sich seine Wettkampferfolge durchaus sehen lassen. Doch er wollte mehr, suchte sich einen Trainer und traf Jenny Spangler. Die begann nicht nur, seine einzelnen Laufeinheiten variabler zu gestalten, sondern unterschied auch klarer in Wochen des Grundlagentrainings und Wochen einer speziellen Wettkampfvorbereitung.
Zu Wileys Erstaunen sah ihr Trainingsplan schon in der Phase des Basistrainings einige ganz schön harte Laufeinheiten vor. Wozu das gut war, fand er heraus, als er nach Grundlagentraining in die Wettkampfvorbereitung einstieg: Er startete auf einem ganz anderen Niveau. So gut hatte sich der 3:05-Stunden-Marathonläufer noch nie gefühlt. Und er stand ja erst am Anfang der speziellen Trainingsphase. „Eine Basis zu legen bedeutet nicht, einfach einen Kilometer an den anderen zu reihen beziehungsweise so viele langsame Laufkilometer zu sammeln wie möglich“, sagt Spangler, die es als Siegerin der amerikanischen Marathon-Olympia-Ausscheidung von 1996 wissen sollte. „Eine vernünftige Basis legt den Grundstein sowohl im Bereich Ausdauer als auch in Sachen Tempohärte und Kraft. Außerdem ist das Überlastungsrisiko enorm hoch, wenn Sie aus einer Phase ohne Belastungen plötzlich in eine Phase mit vielen Belastungen wechseln.“
Das Basistraining ernst nehmen
„Nur weil das Grundlagentraining eben nicht im direkten Umfeld eines Laufhöhepunkts liegt, wird es gern auf die leichte Schulter genommen“, sagt Spangler und spricht dabei aus der Erfahrung, die sie mit ihren Athleten gemacht hat. Der Schlüssel zum ausgewogenen Grundlagentraining ist folgender: einerseits so anspruchsvoll zu trainieren, dass sich die Leistungsfähigkeit schon in dieser Phase weiterentwickelt, andererseits aber noch nicht so hart zu trainieren, dass man zu früh in Topform kommt und es später schwerfällt, diese Form bis zum Tag X zu halten.
„Es gibt zum Beispiel keinen Grund, im Grundlagentraining schon Tempoläufe bei 95 Prozent der maximalen Herzfrequenz zu absolvieren“, sagt die Trainerin, „daher haben kurze Tempolaufprogramme – wie schnelle 200- oder 400-Meter-Intervalle, bei denen man an seine Grenzen geht – darin nichts zu suchen.“ Dagegen empfiehlt sie Fahrtspiele, bei denen man im Gelände (nicht auf einer Laufbahn oder anderen abgemessenen Strecken) nach Gefühl mit dem Tempo spielt und nicht dem Zwang ausgesetzt ist, vorgegebene Zeiten auf vorgegebenen Distanzen einzuhalten. „Und auch der lange Lauf muss nicht endlos lang sein“, meint Spangler. „90 Minuten sind lang genug, bei extrem ambitionierten Läufern vielleicht noch 15 Minuten länger, aber das ist das Maximum.“
Abstriche beim Tempo sind erlaubt
Im Grundlagentraining empfiehlt es sich, mehr nach Gefühl als nach Tempovorgaben zu trainieren. So behält man sich vor, auch mal langsamer als geplant zu laufen, wenn es die Tagesform nicht zulässt. „Sagen wir es so“, meint Spangler: „In dieser Phase ist es nicht ganz so wichtig, den Trainingsplan eins zu eins umzusetzen. Da sind gewisse Abstriche erlaubt. Vor allem hinsichtlich des Tempos.“ Dennoch stehen im Grundlagentraining der Ex-Weltklasse-Marathonläuferin zweimal wöchentlich Tempoprogramme auf dem Plan. „An den Tagen kann man sich fordern, aber man muss es nicht“, sagt Robert Wiley, der es etwa „bei den Bergaufsprints mal langsamer, mal schneller angehen“ lässt.
Wiley lief aus seinem ersten richtigen Grundlagentraining heraus direkt eine neue Halbmarathonbestzeit, obwohl er noch Wochen vor dem Höhepunkt lag und der Halbmarathon nur eine Durchgangsstation war. „Und so ging das weiter und weiter“, sagt der 32-jährige. „Schließlich rannte ich Bestzeiten über alle Laufdistanzen von 5 Kilometer bis zum Halbmarathon. Und das Wichtigste: Zum eigentlichen Höhepunkt, dem Marathon, brach ich schließlich die magische 3:00-Stunden-Schallmauer.“
Aber Vorsicht! „Das heißt nicht, dass Sie das ganze Jahr über Woche für Woche Qualitätstrainings machen sollten“, hebt Spangler warnend den Finger. „Es ist absolut sinnvoll, mindestens einmal im Jahr vier bis sechs Wochen so richtig lasch zu trainieren, mit vielen Ruhetagen und keinem schnellen Schritt.“ Das nennt man dann aber Regenerations- und nicht Grundlagentraining und es gehört in die Zeit nach einem Jahreshöhepunkt – wie zum Beispiel dem ersten Marathon unter 3:00 Stunden.