Unser Körper hat etwa 650 Muskeln – ein riesiges Organsystem. Nicht alle Rädchen im Getriebe sind fürs Laufen wichtig. Um gezielt an der relevanten Muskulatur zu arbeiten, solltest du die anatomischen Mechanismen kennen. Nur so kannst du deine individuellen Schwachstellen und Dysbalancen erkennen und beheben.
Laufanatomie: Die Hauptmuskeln beim Laufen
Bei der Laufbewegung arbeiten mehrere Muskeln zusammen. Es werden also Muskelgruppen beansprucht und nicht isolierte Einzelmuskeln, Laufen ist ein Ganzkörpersport. Ein Verständnis für dieses Zusammenspiel ist die Grundlage für eine gute Lauftechnik und ein ausgewogenes Krafttraining. Fokussierst du dich nämlich zu sehr auf einen einzigen Muskel wie etwa den Oberschenkel und vernachlässigst dabei den Rest, leistet das Ungleichgewichten Vorschub.
Beim Laufen kommen hauptsächlich folgende Muskelgruppen zum Einsatz:
Bein- und Hüftmuskulatur
Die Skelettmuskeln, die von der Hüfte abwärts ziehen, sind die Hauptantriebsmuskeln. Sie alle haben spezifische Aufgaben in der Laufbewegung. Der Oberschenkelmuskel (Quadrizeps) ist für die Kniestreckung zuständig. Er arbeitet exzentrisch beim Aufkommen und konzentrisch bei der Stabilisation. Die rückseitige Oberschenkelmuskulatur (Hamstrings) sorgt für eine Hüftstreckung und Kniebeugung. In der Schwungphase des Bewegungszyklus bremsen diese Muskeln das Bein und unterstützen den Abstoß vom Boden.
Für den Vortrieb in der Standphase und einen kraftvollen Abstoß ist außerdem der Gluteus maximus, der große Muskel am Gesäß, als hauptsächlicher Hüftstrecker wichtig. Die Hüftabduktoren Gluteus medius und minimus stabilisieren das Becken in der Standbeinphase und verhindern ein einseitiges Absinken. Für das Anheben des Beins in der Schwungphase zeichnet der Hüftbeuger (Iliopsoas) verantwortlich.
Am Unterschenkel ist die Wadenmuskulatur entscheidend für den Abdruck und die Stoßdämpfung. Der vordere Schienbeinmuskel (Tibialis anterior) hebt den Fuß in der Schwungphase an und kontrolliert exzentrisch den Fußaufsatz.
Rumpf- und Oberkörpermuskulatur
Neben der Beinmuskulatur sind auch die Muskeln am Oberkörper an der Laufbewegung beteiligt. Die Bauchmuskulatur sorgt dafür, dass du beim Laufen im Rumpf stabil bleibst. Deine Körperhaltung bleibt dank ihr und dem Rückenstrecker aufrecht und kontrolliert. Gleichzeitig überträgt sie die Kräfte zwischen Ober- und Unterkörper und sorgt so für eine effiziente Arm-Bein-Koordination und einen ökonomischen Laufstil. Die Schulter-/Arm-Muskulatur spielt eine Rolle, damit der Armschwung die Beinbewegung unterstützen und ausbalancieren kann.
Exzentrische, konzentrische, isometrische Muskelarbeit: Was heißt das?Muskeln kontrahieren unterschiedlich, um den Körper gezielt zu bewegen und zu stabilisieren. Exzentrisch heißt, der Muskel erzeugt Kraft, während er sich verlängert. Konzentrisch bedeutet, dass sich er verkürzt und aktiv zieht. Im isometrischen Zustand hält der Muskel Spannung, ohne sich merklich in der Länge zu verändern. Beim Laufen dämpfen exzentrische Phasen den Aufprall, konzentrische liefern den Schub nach vorn und isometrische halten Rumpf und Gelenke in Position.
So arbeiten Rumpf und Core beim Laufen mit
Am Rumpf hängen nicht einfach nur die Beine – er arbeitet beim Laufen aktiv mit. Die Körpermitte stabilisiert die Wirbelsäule und das Becken bei jedem Schritt. Der Core hält deinen Körper aufrecht und sorgt für eine effiziente Kraftübertragung: Deine Laufbewegung ist ökonomisch, du bringst die PS ohne große Energieverluste auf die Straße. Im Einzelnen sorgt der Core dafür,
- dass das Becken nicht einseitig absinkt und durch die Schieflage die Bewegungseffizienz verschlechtert,
- dass Rotationsbewegungen in Vortrieb umgesetzt werden und
- dass der Oberkörper in der Schwungphase nicht zu sehr schwankt.
Der Rumpf ist außerdem wichtig für das Gleichgewicht. Deswegen arbeiten Trailrunner beim schnellen Bergablaufen viel mit dem Oberkörper und den Armen – mit dieser Lauftechnik balancieren sie den unebenen Laufuntergrund aus.

Beim Langstreckenlauf auf der Straße ist der Core entscheidend, um auch nach stundenlangem Laufen noch eine gute Körperhaltung zu haben. Bei Marathons kannst du das auf den letzten Kilometern beobachten: Wer eine stark ermüdete Körpermitte hat, kippt regelrecht nach vorne. Diese Vorbeugung verlangsamt den Schritt und erhöht die Gefahr für Verletzungen. So steigt der Druck auf die Knie, die Hüfte und die Lendenwirbelsäule mehr als nötig.
Balance und Abstoß: Unterschenkel, Füße und Sprunggelenk
Unterschenkel, Fuß und Sprunggelenk stellen beim Laufen die direkte Verbindung zum Boden her und machen zwei entgegengesetzte Bewegungen möglich: Zuerst sorgen sie für eine weiche, kontrollierte Landung, dann für einen effektiven Abstoß. Beim Aufsetzen sorgt die Muskulatur des Unterschenkels dafür, dass dein Fuß richtig aufkommt, die Waden- und Schienbeinmuskeln bremsen exzentrisch. Dabei spielt das Sprunggelenk eine zentrale Rolle: Es hebt den Fuß beim Aufsetzen kontrolliert an und drückt ihn beim Absprung mit hoher Schnellkraft nach unten, nimmt Aufprallenergie auf und gibt sie über die Achillessehne als elastische Energie wieder frei.
Das Funktionsprinzip kannst du gut nachvollziehen, wenn du einen großen Zeh nach oben streckst. Du merkst dann, wie sich die Plantarfaszie unter dem Fuß zusammenzieht und das Längsgewölbe anhebt. Dein Fuß wird quasi vom elastischen Dämpfer zur steifen Feder, die einen druckvollen Abstoß ermöglicht. Im Verlauf des Schrittzyklus verändert sich der Fuß also dynamisch.
Balance entsteht durch ein Zusammenspiel aus sensiblen Rezeptoren in der Fußsohle, der feinen Fußmuskulatur und den seitlichen Unterschenkelmuskeln (Peroneen). Sie machen kleine Korrekturen möglich, besonders auf unebener Laufstrecke. Bei schnellen Laufbewegungen, etwa im Sprint oder bei steilen Anstiegen, entscheidet die verfügbare Schnellkraft der Plantarflexoren und der Fußmuskulatur mit darüber, wie explosiv und effizient der Abstoß ausfällt.
Welche Faktoren beeinflussen, welche Muskeln beim Laufen beansprucht werden?
Bei der Muskelbeanspruchung macht es natürlich einen Unterschied, wie schnell, wo und mit welcher Lauftechnik du unterwegs bist. Das sind die wichtigsten Faktoren:
Geschwindigkeit und Intensität
Wie schnell und wie hart du läufst bestimmt, welche Muskelfasern und Muskelgruppen dominieren. Dauerläufe in gemäßigtem Tempo beanspruchen vor allem ausdauerfähige, langsam zuckende Fasern und stabilisierende Muskeln wie den Gluteus medius und Rumpf. Sprints aktivieren viel stärker schnelle, kraftvolle Fasern in Gesäß, Quadrizeps und Waden. Eine höhere Intensität erhöht die Stoßkräfte und damit die Bedeutung der exzentrischen Muskelarbeit.
Terrain und Untergrund
Unterschiedliche Böden – Asphalt, Trail, Waldboden, Sand oder Laufband – verändern, wie die Kraft übertragen wird und welche Muskeln stabilisieren. Auf weichem oder unebenem Untergrund arbeiten Fußmuskulatur, Schienbein und Hüftabduktoren mehr, um die Balance und kleine Ausgleichsbewegungen zu gewährleisten. Harte Flächen wie Asphalt übertragen stärkere Aufprallkräfte auf Knie, Kniesehnen und Hüfte. Technische Trails fordern besonders die tiefen Stabilisatoren und die Rumpfmuskulatur.
Steigungen und Gefälle
Beim Bergauflaufen verlagert sich die Muskelarbeit deutlich zu den Hüftstreckern (Gluteus maximus) und Oberschenkeln, weil du gegen die Schwerkraft arbeitest und oft längere Bodenkontaktphasen hast. Bergab verändert sich die Belastung Richtung exzentrische Kontrolle – vor allem die Quadrizeps sind gefordert, um das Tempo zu kontrollieren. Deshalb führen ungewohnt lange Downhills oft zu starkem Muskelkater in den Oberschenkeln.
Stabilität und Lauftechnik
Stabile Hüften und ein kräftiger Rumpf sorgen dafür, dass die großen Muskelketten effizient arbeiten. Sind Hüftabduktoren oder Gluteus geschwächt, kompensieren oft Lendenwirbelsäule oder die Fußmuskulatur. Das ändert das Belastungsmuster und erhöht die Verletzungsanfälligkeit. Längere Schritte erhöhen Hebel und Impuls, was Quadrizeps, Hüftstrecker und Waden stärker fordert und zu höheren Bremskräften bei der Landung führen kann. Erhöhst du die Schrittfrequenz, verkürzt sich meist die Bodenkontaktzeit, die Belastung verteilt sich auf kleinere, schnellere Zyklen und einzelne Muskeln werden entlastet.
Fußaufsatz und Laufschuhe
Vorfußlauf beansprucht Waden und Achillessehne stärker, Fersenlauf überträgt oft mehr Bremskräfte auf Knie und Hüftstrecker. Kommst du mit dem Mittelfuß auf, verteilt das die Last tendenziell ausgeglichener. Jede Technik verändert also das Ermüdungsprofil von Fußmuskeln, Schienbeinmuskulatur und Sehnen. Gut gedämpfte Laufschuhe können die Aufprallkräfte absorbieren, reduzieren aber die Aktivierung der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur im Vergleich zu minimalistischen Schuhen. Stabilschuhe korrigieren Überpronation und geben Halt. Sie können aber auch dazu führen, dass andere Muskeln mehr arbeiten müssen, um die veränderte Mechanik zu kontrollieren.
Ermüdung
Mit zunehmender Ermüdung verschlechtert sich die Koordination: Die Kadenz sinkt, die Hüftstreckung klappt nicht mehr so gut und andere Muskeln übernehmen die Arbeit – z. B. im unteren Rücken statt im Gesäß. Schlafmangel, fehlende Regeneration oder akute Ermüdung verändern die Aktivierungsmuster, was Fehlbelastung und Überlastungsschmerzen begünstigt.
Muskelungleichgewicht: Typische Schwachstellen und wie man sie vermeidet
Dysbalancen zwischen Muskelgruppen beeinträchtigen die Muskelarbeit und verändern die Bewegungsmuster ungünstig: ein häufiger Grund für Schmerzen, Effizienzverlust und Verletzungen beim Laufen. Ungleichgewichte entstehen, wenn bestimmte Muskelgruppen systematisch stärker oder schwächer belastet werden als ihre Gegenspieler. Bei Läuferinnen und Läufern sind typische Schwachstellen:
- Eine starke vordere Oberschenkelmuskulatur in Verbindung mit einer schwachen hinteren Kette (Hamstrings, Gesäß): Dadurch funktioniert die Hüftstreckung nicht mehr so gut und die Gefahr für Zerrungen steigt.
- Schwacher Gluteus maximus, zu starker Hüftbeuger: Dieses Ungleichgewicht an der Gesäßmuskulatur stört die Kraftübertragung in der Abstoßphase.
- Eine schwache tiefe Rumpfmuskulatur: Daraus resultiert eine zu geringe Stabilität, das Becken kippt einseitig und die Kraftübertragung wird ineffizient.
- Wenig trainierte Hüftabduktoren: Ist insbesondere der mittlere Gesäßmuskel nicht gut gekräftigt, müssen andere Muskeln seine Arbeit übernehmen. Das kann als typische Beschwerden IT-Bandreizungen und das Läuferknie begünstigen.
- Asymmetrische Beinmuskulatur: Selbst feine Ungleichgewichte bei Kraft und Muskelaktivierung zwischen den beiden Beinen können Probleme bereiten – etwa Achillessehnenbeschwerden.
Hauptsächliche Ursachen für die Ungleichgewichte sind einseitiges Training, viel Sitzen, Technikdefizite, falsche Schuhwahl oder frühere Verletzungen, die kompensatorische Muster begünstigen. Die eigenen Schwachstellen überhaupt zu erkennen, ist das A und O. Ein erfahrener Coach, Physio oder Sportmediziner kann dir dabei helfen. Die Dysbalancen lassen sich dann ganz gezielt mit einem funktional ausgerichteten Kräftigungsprogramm beheben.
Zur Vorbeugung von Muskelungleichgewichten sind folgende Maßnahmen sinnvoll:
- Trainiere gezielt die hintere Kette: Gluteus, Hamstrings und Rückenstrecker.
- Setze dabei auch exzentrisches Krafttraining ein, also langsames Absenken des Gewichts.
- Baue einbeinige Übungen ein, um Unterschiede zwischen links und rechts auszugleichen.
- Ergänze Core-Training mit Fokus auf die tiefen Bauch- und Hüftstabilisatoren.
- Dehne regelmäßig Hüftbeuger und Quadrizeps, um überaktive Strukturen zu entspannen.
- Führe ab und zu Krafttests oder Beweglichkeitschecks durch, um Dysbalancen früh zu erkennen.
- Fordere den Bewegungsapparat vielseitig durch eine regelmäßige Variation von Untergrund und Trainingsreizen.
Trainingstipps zur gezielten Stärkung
Wer läuft, braucht keine dicken Muskelpakete. Deshalb sind isolierte Kraftübungen für einzelne Muskeln an Geräten nicht so zielführend. Besser ist es, mehrere Muskelketten gleichzeitig anzusprechen. Funktionelles Training verbessert neben der Kraft auch die Koordination, Stabilisation und das Zusammenspiel zwischen Rumpf und Beinen. So gelingt der neuromuskuläre Transfer zur Laufbewegung besser.
Vor dem Lauftraining kannst du ein paar Aktivierungs- und Stabi-Übungen für die tiefe Bauchmuskulatur und die Hüfte einbauen. Zwei bis vier Minuten genügen schon. Beispielübungen wären Planks, die Käferübung und Hüftrotation im Sitz.
Ansonsten sind zwei bis vier spezifische Krafttrainingseinheiten mit progressivem Belastungsaufbau sinnvoll. Dabei sollten koordinative Übungen mit einbeiniger Belastung und funktionelle für Gesäß und seitliche Hüftmuskulatur nicht fehlen: So kann das ideale Krafttraining für Läufer aussehen.
Auch beim Laufen selbst kannst du deine Muskeln gezielt stärken. Achte darauf, dass deine Brust aufrecht und das Becken in neutraler Position bleiben, atme rhythmisch und halte eine leichte, konstante Spannung im tiefen Bauch. Deine Arme sollten locker vor und zurück pendeln und sich nicht überkreuzen – das reduziert eine unnötige Rumpfrotation und macht jeden Schritt ökonomischer.
5 Fragen und Antworten zur Laufanatomie
Höchstens beim Sprinten bringt der intensive Einsatz der Arme etwas Kraftausdauer, aber keine nennenswerte Zunahme an Muskelkraft. Für eine spürbare Stärkung sind gezielte Kraftübungen wie Liegestütze, Rudern und Widerstandstraining mit dem Band weitaus effektiver.
Sehr wichtig: Nur eine ausreichende Gelenkmobilität ermöglicht volle Bewegungsamplituden. Das verhindert kompensatorische Überlastungen und sorgt dafür, dass deine Muskeln effizient und mit geringerem Verletzungsrisiko arbeiten.
Ja, regelmäßiges und gut dosiertes Dehnen verbessert langfristig den Bewegungsumfang und damit die Muskelarbeit. Vor schnellen Trainingseinheiten verbessern dynamische Mobilisationsübungen die neuromuskuläre Koordination und Leistungsfähigkeit.
Strukturen wie die Achillessehne und Plantarfaszie nehmen elastische Energie auf und geben sie zurück, senken so den Energieverbrauch und verbessern den Abdruck. Sie profitieren von progressiver, exzentrischer Belastung und ausreichender Regeneration, sonst steigt das Risiko für Überlastungsbeschwerden.
Die neuromuskuläre Steuerung bestimmt, wie Muskeln synchron arbeiten. Koordinative Übungen wie einbeinige Kniebeugen und Sprünge verbessern die Laufökonomie und verringern das Verletzungsrisiko – sie zeigen oft binnen weniger Wochen Effekte.





