Lauf der Woche
Mittwoch 23.01.2020
Tübingen
Mensch-Du-Wildsau-Dauerlauf
Ich melde mich vom Dauerlaufen heute mit einem Gruß nach München an den Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Herrn Kurt Kister.
Lieber Herr Kister, vielen Dank für Ihre Mail in der letzten Woche an uns Abonnenten. Sie schreiben dort über den Wolf. Nein, über Schäfer in Wiesbaden, die gegen den einzigen in Hessen gesichteten Wolf protestierten. Sie philosophierten über das Plakat der Schäfer, das sie über ihre Köpfe hielten: „Wolf, wir brauchen dich hier nicht.“ In Ihren Gedanken führten Sie uns vom vereinnahmenden Wort „wir“ bis hin zu Napoleon und seinen Truppen, die auf der Flucht von Wölfen bedrängt wurden. Es ging hin und her bis Ihre Kolumne mit dem Schlusssatz endete: „Mensch, wir brauchen dich hier nicht.“ Eine wirklich schöne, eine gelungene Kolumne. Wirklich.
Aber lieber Herr Kister, Sie sind zu spät.
Selbstverständlich wird der Wolf in Hessen abgeschossen. Wie auch alle anderen Wölfe in Deutschland abgeschossen werden dürfen, wenn sie das tun, was Wölfe nun einmal tun. Sie jagen, um zu fressen. Auch Schafe. Nicht nur, dass es die Lobbyisten der Weidetierhalter geschafft haben, dass der Wolf im Koalitionsvertrag landete, sie schafften es auch, dass es seit Dezember ein Gesetz gibt, das es den Jägern erlaubt, ein ganzes Rudel Wölfe abzuschießen. Das Thema also ist durch.
Aber es gibt ein neues Thema, über das Sie schreiben können: die Wildschweinplage. In Großstädten, Kleinstädten, Dörfern, Maisfelder, Vorgärten, überall. Wildschweine. Hier in Tübingen zum Beispiel, auf dem Spitzberg, sollen, laut zuverlässigen Quellen von mir (meinen Nachbarn), zwischen 400 bis über 1000 Wildschweine leben. Zu Gesicht bekommt man die Viecher nicht. Dazu sind die zu clever.
Aber Spuren kann man entdecken. Man muss natürlich schon ein geschultes Auge für Wildschweinspuren haben. Sonst sieht man nichts. Manche sind offensichtlich und auch direkt am Wegesrand leicht zu entdecken. Beispielsweise die vielen Umgrabungen. Bei andern Spuren muss man genauer nachschauen. Viele wissen es nicht, aber Wildschweine sind reinliche Tiere. Eindeutig. Schauen Sie doch mal hinter Bäumen nach. Dort liegen überall auf dem Spitzberg Taschentücher. Nur Experten wissen es, aber Wildschweine putzen sich nach dem Scheißen den Hintern ab. Hier, schon wieder eine Taschentuch. Ja, es ist ganz offensichtlich. Reinliche Tiere. Und wenn man mal mit offenem Blick über den Spitzberg läuft, entdeckt man überall diese Hinterlassenschaften. Hier. Und hier. Da auch. Überall.
Vielleicht sollten wir das in Ihrer Phantasie entstandene Plakat Herr Kister noch erweitern: „Mensch, du Wildsau! Wir brauchen dich hier nicht.“ Hier noch ein Taschentuch. Und noch eines. Wahnsinn. Überall Wildschweine.