Vermehrtes Unterhautfettgewebe
Tipps fürs Joggen mit Lipödem

Veröffentlicht am 05.04.2024
Laufen mit Lipoedem
Foto: iStockphoto

Bei Menschen mit einem Lipödem ist das Unterhautfettgewebe deutlich vermehrt und es kann auch noch wachsen. Es handelt sich um eine chronische, fortschreitende Stoffwechselerkrankung. Meistens sind die Beine betroffen, teilweise auch die Arme. Nahezu alle Betroffenen sind weiblich; das Krankheitsbild tritt häufig bereits in jungen Jahren auf, im Alter zwischen 20 und 30.

„Der Anteil der Männer ist verschwindend gering, eigentlich können wir tatsächlich von einem klassischen Frauenkrankheitsbild sprechen“, sagt Prof. Dr. Constance Daubert. Sie ist Professorin für Physiotherapie an der SRH Hochschule für Gesundheit in Karlsruhe, Gründungsmitglied von Lipedema World Alliance, Mitglied im Berufsverband der Phlebologen und Lymphologen sowie Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie.

Laut aktuellem Forschungsstand sei vor allem die Genetik ursächlich für die Krankheit, so die Expertin. Das Lipödem wird also vererbt. Es gebe eher wenige Forschungen zu Hormonen als Grund für die Erkrankung, sagt sie. „Die Studien, die dazu gemacht wurden, legen aber nahe, dass auch hormonelle Störungen ein Grund sein können. Diese Untersuchungen wiesen darauf hin, dass es einen Zusammenhang mit Steroidhormonen zu geben scheint, vor allem mit Östrogen bzw. Östradiol, informiert sie weiter.

Lipödem: eine Krankheit, die viele betrifft

In Deutschland sind Schätzungen zufolge zwischen einer halben und einer Million Menschen betroffen, vor allem Frauen (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Phlebologie).

Das Leid und der Schmerz

Ab einem gewissen Schweregrad der Krankheit haben die betroffenen Frauen mit Schmerzen zu kämpfen, dem in der Fachsprache sogenannten „Leitsymptom“, die sehr stark werden können.

Damit aber nicht genug: „Lipödeme, also chronische schmerzhafte Fettanlagerungen an Armen oder Beinen, können die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten enorm einschränken, da sich Schmerz und Gewichtszunahme auch auf weitere Aspekte wie Schlaf, Mobilität, Psyche und die Teilhabe am Sozialleben auswirken kann“, sagt Daubert.

Viele Frauen hindere der Schmerz am Sport, außerdem könne der Schmerz zur Isolation führen, was die Psyche wiederum negativ beeinflusse. Es gelte, diesen Teufelskreis frühzeitig zu durchbrechen, so die Fachexpertin Prof. Dr. Constance Daubert.

Deshalb ist es notwendig, so frühzeitig wie nur möglich eine Diagnose zu erhalten, um Schmerzen im Griff zu behalten. Fachärztinnen und Fachärzte für das Lipödem sind generell Hautärzte (Dermatologen), aber unter ihnen müssen die Venen-Fachärzte (Phlebologen) oder die Lymphspezialisten (Lymphologen) aufgesucht werden. Lymphologinnen und Lymphologen bzw. Phlebolog/innen frühzeitig aufzusuchen, ist empfehlenswert, „weil mit längeren Wartezeiten zu rechnen ist“, berichtet Prof. Daubert.

Das Problem: Bis die Erkrankung vom Facharzt oder der Fachärztin diagnostiziert wird, vergehen oft Jahre. Etliche Patientinnen suchen erst Fachmediziner/innen auf, wenn weder Sport noch diverse Diäten helfen konnten und der physische sowie psychische Leidensdruck groß geworden ist. Bei dem Lipödem handelt es sich um eine chronische Krankheit, die voranschreitet. Es wird in der Regel nicht besser, sondern eher schlimmer, wenn nichts dagegen getan wird. Manchen Frauen mit starkem Lipödem bleibt als Therapie gegen die Schmerzen nur noch ein operativer Eingriff (Liposuktion = Fettabsaugung), um dem Leidensdruck Einhalt zu gewähren. Daher ist es so wichtig, dass Betroffene rechtzeitig ärztlichen Rat einholen, informiert Dr. med. Michael Hartmann, Phlebologe im Venenzentrum Freiburg.

Die neue medizinische Leitlinie setzt voll auf Sport

Die neue medizinische Leitlinie zur Diagnose und Behandlung von Lipödem ist eine hilfreiche Entwicklung für alle Betroffenen, denn sie gibt konkretere und bessere Empfehlungen zur Behandlung des Krankheitsbildes. Bisher gab es die S1-Leitlinie (gestützt auf Experten-Empfehlungen), diese ist aber eher vage im Vergleich zur jetzigen S2k-Leitlinie. Die neue S2k-Leitlinie wurde von einem Gremium an nationalen und internationalen Fachexpertinnen und Experten entwickelt und zusammengetragen.

Hintergrundinformation: Medizinische Leitlinien fassen Handlungsempfehlungen bei verschiedenen Krankheitsbildern für Ärzte und anderes medizinisches Personal zusammen. Aber auch Patientinnen und Patienten können sich hierauf berufen, wenn sie sich in medizinische Behandlung begeben. Die Leitlinie des eigenen Krankheitsbildes zu kennen, bringt viele Vorteile. Hier finden Sie die neue Leitlinie zum Downloaden.

Klare Empfehlung für Sport, aber immer mit Kompression

Neu in der Leitlinie sind klare Empfehlungen für Bewegung und Sport: „Wichtig ist dabei, egal, was für ein Sport betrieben wird, bei dessen Ausführung Kompression zu tragen. Aber auch jegliche Art von Sport im Wasser wird empfohlen“, so die Expertin. Frauen, die eine Schwimmeinheit in ihren Wochenplan einbauen oder auch mal Aquajogging statt der Laufrunde, können so wenigstens einmal pro Woche auf Kompressionsbekleidung verzichten. Das ständige Tragen von Kompression während des Sports wird von vielen verständlicherweise als einengend und lästig empfunden. Die speziellen Kompressionsstrumpfhosen bekommen Betroffene verschrieben, mehr dazu lesen Sie weiter unten.

Was ist noch neu in der S2k-Leitlinie?

Der Name der Krankheit stammt aus dem Griechischen (lipos = Fett, oidema = Schwellung durch Wassereinlagerung). Doch das Ödem im Namen ist ein wenig irreführend: „Denn im Bereich Diagnostik ist ein Ödem, zum jetzigen Stand der Forschung, nicht gegeben“, sagt Prof. Daubert. Auch das erfasst die neue Leitlinie. Es kann bei Patientinnen zusätzlich zum Lipödem zu Ödemen kommen: „Die additiven Ödeme kommen vor, aber an sich ist das Krankheitsbild kein Ödem. Manche Betroffene haben Probleme mit ihren Venen. Das sind Sekundärerkrankungen, die zusätzlich zu dem eigentlichen Lipödem diagnostiziert werden und nicht damit verwechselt oder vermischt werden sollten“, informiert Daubert.

Neu im Bereich Behandlung: „Bisher waren die Lymphdrainage und Komplexe Physikalische Entstauungstherapie in der Therapie bei Lipödem führend. Jetzt geht es vielmehr darum, die Patientinnen durchaus auch unter physiotherapeutischer Anleitung zu bewegen. Manche Patientinnen schaffen den Weg in die Bewegung selbstständig, andere benötigen zumindest vorerst therapeutische Unterstützung“, sagt Daubert. Das Ziel ist aber immer die gesteigerte Bewegung, ob begleitend durch Physiotherapie oder ohne. „Manuelle Lymphdrainage sowie Komplexe Physikalische Entstauungstherapie ist nach dem jetzigen Wissensstand deutlich nach hinten gerutscht, denn es gibt kein Ödem. Jedoch kann diese bei immensen Schmerzen helfen. Sie ist somit nur ein Türöffner für Frauen, die vom Schmerz von der Bewegung abgehalten werden. Dann ist es sinnvoll, die Lymphdrainage über eine kurze Zeitspanne anzuwenden, um anschließend in die Bewegung zu kommen. Das Hauptaugenmerk liegt jetzt in der Bewegungstherapie“, so die Expertin. Laufen, moderates Krafttraining, viel Bewegung und Sport – immer mit Kompression, empfiehlt sie.

Ausdauersport und Krafttraining sind ideal

„Wenn die Patientinnen sonst gesund sind und das Lipödem noch nicht stark ausgeprägt ist, empfehle ich jeden zweiten Tag Sport. Joggen, Walken und Nordic Walking, Schwimmen und Radfahren sind gute Sportarten. Laufen ist hervorragend für den Muskelaufbau und Fettabbau“, sagt der Phlebologe Dr. med. Hartmann. Laufen eignet sich auch deshalb besonders gut zur Gewichtskontrolle, weil es die Ausdauersportart ist, bei der am meisten und effektivsten Kalorien verbraucht werden. Bewegung verbessert in jedem Fall Ihr Lebensgefühl und hält Ihr Gewicht stabil – ein wesentliches Ziel für das „Stabil-Halten“ des Lipödems.

Krafttraining wird auch empfohlen: „Dabei ist alles an Krafttraining erlaubt, was Spaß macht. Nach der aktuellen Studienlage können wir leider keine genauen Aussagen machen, wie oft Kraftübungen sinnvoll sind, soweit ist die Forschung noch nicht. Deshalb würde ich den Standard von zwei- bis dreimal die Woche raten, ganz wichtig immer mit Kompression an den Stellen, wo das Lipödem sich befindet, dann sind die Schmerzen zumeist auch geringer“, sagt Daubert.

Was tun, wenn Läuferinnen mit Kompression nicht klarkommen?

Zahlreiche Läuferinnen mit Lipödem kommen mit der Kompressionsstrumpfhose nicht gut zurecht. Gibt es da Alternativen? „In der alten Leitlinie war ab Stadium zwei eine Versorgung mit Flachstrickstrumpfhose vorgesehen, die sehr eng sitzt“, so Daubert.

Hintergrund: „Es gibt zwei Arten von Kompression, einmal den Rundstrick und daneben den Flachstrick, dabei ist die Hose hinten am Bein zusammengenäht, das war die Standardversorgung bis vor kurzem noch. Es dauert aber, bis man drin ist. Diese Kompression ist noch angesagt, wenn additive Ödeme vorhanden sind, beispielsweise beim Lymphödem“, informiert Daubert. Doch: „Ansonsten ist auch dieses Thema in der neuen Leitlinie enorm aufgeweicht, sodass wir raten, gern eine Rundstrick-Hose zu nutzen, die hinten an der Wade nicht zugenäht ist und daher mehr Bein-Freiheit bietet. Außerdem ist sie leichter handhabbar“, sagt Daubert. Die Maßangaben zum Druck (in Millimeter Quecksilbersäule = mmHg) seien zwar bei beiden Strickweisen gleich, es bestehe aber ein deutlicher Unterschied, informiert die Expertin. „Die mmHG Angaben sind bei Rund- und Flachstrick gleich. Das Material beim Flachstrick ist aber deutlich fester!“, fügt sie hinzu. Wenn die Diagnose steht, wird Kompression zumeist verordnet: „Im Schnitt zweimal jährlich, mit einem recht überschaubaren privaten Kostenbeitrag“, informiert die Expertin.

Durch Kompressionshilfen lässt sich der Schmerz beim Sport und auch im Alltag ein wenig lindern. „Es gibt eine Korrelation zum vegetativen Nervensystem, es könnte also helfen, vegetativ an den Faszien zu arbeiten, aber dazu gibt es leider Null Studienlage“, sagt Daubert. Betroffene könnten testen, ob Selbstmassage mit der Faszienrolle ihnen hilft, so könnte das Nerv-Muskel-System angesprochen werden.

Bei ganz leichtem beginnendem Lipödem bei jungen Frauen, die keine Zusatzödeme aufweisen, könne laut Prof. Daubert auch ein Kompressionsstrumpf aus dem Sportfachhandel vorerst ausreichen (dazu mehr unten).

Wie entwickelt sich ein Lipödem?

Es gibt grob gegliedert drei Stadien, in der neuen medizinischen Leitlinie wird allerdings von Schweregraden gesprochen. Das erste Stadium ist eine ungewöhnliche, aber noch eher leichte Fettansammlung (meist an den Beinen, vor allem den Oberschenkeln, an Hüften und Gesäß).

Im zweiten Stadium kommt es zur weiteren Gewichtszunahme und die Störung der Fettverteilung ist bereits stark sichtbar, denn die Hautoberfläche wird wellig. Es bilden sich größere Knoten in der Unterhaut. Hinzu kommen nicht selten Wassereinlagerungen im Gewebe (Ödeme) sowie Druckschmerzen, Spannungsgefühl und Entzündung durch Reibung an den Oberschenkeln. Die Ödeme sind aber nach der neuen Leitlinie als weiteres Krankheitsbild anzusehen.

Im dritten Stadium nehmen die Betroffenen weiterhin unkontrolliert an Gewicht zu. Sie leiden unter Druckschmerzen und starkem Spannungsgefühl, wobei diese vor allem die Außenseite der Oberschenkel betreffen (mehr als die Innenseite). Die Haut bildet stark überhängende Lappen. Bei manchen Patientinnen breitet sich das Lipödem aus auf weitere Körperregionen, wie beispielsweise die Oberarme.

„Bei fortgeschrittenem Lipödem kann es zum Lymphstau kommen, das Gewebe schmerzt. Vor allem im Stadium zwei und drei leiden die Patientinnen sehr“, sagt Dr. med. Michael Hartmann. „Wenn das Lipödem Schmerzen verursacht, wird von einem Krankheitsbild gesprochen. In diesem Fall zahlen die Krankenkassen mit Nachweisen zum Teil die Kosten einer Fettabsaugung. Wir haben in der Regel gute Ergebnisse nach einer Liposuktion“, sagt Dr. Hartmann.

Kann ich mit Lipödem joggen gehen?

Die Krankheit kann zwar bislang nicht geheilt werden, aber sie kann in Grenzen gehalten werden. Und darum geht es. Deshalb gehört der Sport neben einer gesunden Ernährung und anderen sogenannten konservativen Methoden – wie Kompressionsstrümpfe und Physiotherapie – zur ganzheitlichen Therapie dazu. Die Bewegung wurde in der neuen medizinischen Leitlinie des Krankheitsbildes sogar noch deutlich aufgewertet. Falls Sie Ihre Ernährung verbessern möchten, schauen Sie sich gern auch unser neues RUNNER’S-WORLD-Ernährungscoaching an. Damit erhalten Sie Woche für Woche gesunde, leckere und alltagstaugliche Rezepte. Einen Laufplan für den sanften Einstieg ins Laufen finden Sie hier:

Weitere Tipps für die Ernährung

„Die betroffenen Frauen kasteien sich meistens extrem. Tatsächlich ist das nicht exakt festgelegt, aber ketogene Ernährungsformen könnten helfen“, sagt Daubert. Primäres Ziel sei es, eine zusätzliche Adipositas zu verhindern. „Ganz negativ wirkt sich die Adipositas aus, wenn diese noch zum Lipödem hinzukommt.“ Es gibt einen Zusammenhang zwischen Lipödem und Adipositas. Wichtig ist Prof. Daubert aber ein Umdenken in der Gesellschaft: „Damit die Betroffenen sich nicht schuldig fühlen für ihr Krankheitsbild oder schämen“, sagt sie.

Laufen mit Kompressionsstrümpfen bei einem leichten Lipödem

„Für das Jogging mit Lipödem im ersten Stadium reicht ein Sport-Kompressionsstrumpf aus, wie man ihn in jedem Sportfachgeschäft erhält“, sagt Hartmann.

„Ist das Lipödem schon etwas fortgeschrittener, sollte ein phlebologischer Kompressionsstrumpf als Knie- oder Schenkelstrumpf getragen werden. Es gibt auch Kompressions-Strumpfhosen für den Alltag und zum Sporttreiben und Kompression im Hosenanteil“, informiert der Hautexperte. In unserem Test von Kompressionstights zum Laufen haben etwa die X-Bionic-Pants 4.0 gut abgeschnitten.

Der Vorteil an Kompression beim Laufen ist zudem der Schutz der Hautoberfläche, so reibt Strumpf auf Strumpf und nicht Haut auf Haut. „Damit können sich Entzündungen und Infektionen verhindern lassen, aber auch die Hautpflege mit Cremes ist ganz wichtig bei einem Lipödem“, informiert Dr. med. Michael Hartmann.

Was an Hautpflege ist empfehlenswert?

„Beim Wundscheuern mit Fettgewebe und Bindegewebe wird der Säureschutzmantel der Haut verändert. Viele Produkte, die gut duften, bringen nichts“, so Daubert. Was wichtig sei: ein pH-Wert von 5 bis 5,5, damit der Säureschutzmantel unterstützt und verhindert werde, dass Bakterien in die Wunde hineingelangen und Entzündungen verursachen, so die Expertin Daubert.

Welcher Sport empfiehlt sich bei fortgeschrittenem Lipödem?

Im fortgeschrittenen dritten Stadium sollte ein Einstieg in den Ausdauersport nur unter ärztlicher Kontrolle stattfinden. Denn diese Erkrankung kann mit einer stetigen Gewichtszunahme einhergehen. Ist die Patientin bereits älter und stark übergewichtig, kann sich Ausdauersport sogar gesundheitsschädigend auf den Bewegungsapparat und das Herz-Kreislauf-System auswirken. Daher ist die medizinische Betreuung des Sporteinstiegs wichtig (medizinische Gesundheitsuntersuchung).

Sanftes Jogging mit Gehpausen (z. B. nach der Galloway-Methode) ist bei starkem Übergewicht unter Umständen angebracht. Hier sollte zuvor ein medizinischer Check-up durchgeführt werden; eventuell mit Leistungsdiagnose und gezielter Trainingsberatung und -planung durch kontrolliertes Pulstraining, um Überforderungen zu vermeiden. Ihren Bewegungsplan könnten Sie dann während des Einstiegs mit Ihrer Fachärztin oder Ihrem Facharzt besprechen.

Sollte Laufsport nicht möglich sein, so könnte der Einstieg in den Ausdauersport auch über sanftere Bewegungsformen wie die Aqua-Gymnastik, Aqua-Jogging oder über Walking bzw. Nordic Walking gelingen. Auch entspanntes Radfahren tut gut, weil das Körpergewicht (genau wie im Wasser) durch das Fahrrad abgefedert wird und das Verletzungsrisiko geringer ist als beim Laufsport. Orthopädische Beschwerden könnten die Folge eines überstürzten Laufeinstiegs sein, wohingegen bei diesen sanfteren Bewegungsarten der Gelenkapparat, Bänder und Sehnen besser geschützt werden.

Wenn nichts mehr hilft...

Das Lipödem kann aber auch trotz Ausdauersport und einer gesunden Ernährung fortschreiten, das ist besonders frustrierend für die betroffenen Frauen. Da tun sie schon alles, dennoch hilft nichts. Das führt nicht selten zu seelischem Leid und einer immensen psychischen Belastung. So war es bei Antje Wensel (siehe Interview unten). Trotz Trainingsumfänge von manchmal bis zu 100 Kilometer pro Woche und einer sehr bewussten Ernährung wuchs bei der Ultraläuferin das Unterhautfettgewebe weiter an.

Kann ich mit Lipödem Halbmarathon oder Marathon laufen?

Sollten Sie keine Beschwerden haben und schon länger mit Lipödem trainieren, können Sie ohne Probleme an Laufveranstaltungen teilnehmen. Haben Sie den gesunden Einstieg in die Welt des Ausdauersports erst geschafft, lässt sich mit Lipödem sogar ein Halbmarathontraining oder ein Marathontraining absolvieren, wie unser Erfahrungsbericht einer Läuferin zeigt ...

Ein Erfahrungsbericht: Ultraläuferin Antje Wensel spricht über ihre Diagnose Lipödem und ihren langen Weg zum Normalgewicht

Bei Antje Wensel, 39, aus Bischofswerda (Sachsen) blieb das Lipödem lange unerkannt. Nach der Pubertät veränderte sich ihre Figur: Trotz Diäten und Sport nahm sie stark zu. 2015 lief sie ihren ersten Marathon und erhielt zwei Jahre später die Diagnose. Obwohl sie zu dieser Zeit bereits Ultraläuferin war, konnte sie ihr Gewicht nicht halten und litt unter Druckschmerzen. Deshalb entschied sie sich 2017 für einen operativen Eingriff. Hier berichtet sie vom langen Weg zum Normalgewicht...

Ultraläuferin Antje Wensel
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Wie entwickelte sich das Lipödem bei Ihnen?

Ich war 17, als meine Beine und die Hüfte immer breiter wurden. Mit Anfang 20 passte mein Unterkörper nicht mehr zum Oberkörper. Das war auch die Zeit, als die Lipödem-Druckschmerzen begannen. Schon bei leichten Stößen bekam ich blaue Flecken. 120 Kilogramm war mein Höchstgewicht, das ich mit Mitte 20 wog. Das war zu meiner Studienzeit. Weil ich damals wenig Zeit für Sport hatte, nahm ich stark zu. Die Druckschmerzen und schweren Beine bereiteten mir Probleme, selbst nachts im Bett beim Ruhen hatte ich ein Rumoren in den Beinen. Nach dem Studium baute ich mein Übergewicht durch den Sport wieder auf 105 Kilo ab. Doch obwohl ich etliche Diäten einhielt und Sport machte, konnte ich mein Gewicht nicht weiter reduzieren. Das schlug bei mir auf die Psyche.

Wie wurde die Diagnose gestellt?

Das Lipödem war ja fast zwei Jahrzehnte unerkannt. Ich hatte noch nie etwas von dieser Krankheit gehört, als mich eine Lauf-Freundin im Jahr 2017 darauf aufmerksam machte. Daraufhin ging ich zum Phlebologen, der es bereits bei seiner ersten Untersuchung erkannte. Ich erhielt die Diagnose: Lipödem im zweiten Stadium. Danach saß ich im Auto und musste weinen. Für mich brach eine Welt zusammen, denn das war zwei Monate vor meinem Ultra-Etappenlauf. Den wollte ich auf keinen Fall abbrechen, habe ich auch nicht! Der Gedanke an den Etappenlauf war mein Hoffnungsschimmer in dieser Zeit.

Mit Lipödem liefen Sie 2015 Ihren ersten Marathon, wie war das?

2015 begann ich mit Laufen. Zu dieser Zeit fing es an den Armen an. Meine Arme wurden dicker und dicker, obwohl ich viel Sport machte und mich gesund ernährte. Mit 100 Kilo lief ich meinen ersten Marathon, das war in Frankfurt. Es war schon eine Belastung für meine Knie und Gelenke, doch mein Ziel war Ankommen ohne jegliche Zeitvorgabe. Ich achtete im Training auf Regeneration. Zwischendurch habe ich Gehpausen gemacht und erreichte gesund das Ziel. Auf den letzten Kilometern schwor ich mir, das nicht noch einmal zu tun, doch schon zwei Minuten nach Zieleinlauf änderte ich meine Meinung. Ich wollte mehr.

Anschließend steigerten Sie die Trainingsumfänge und finishten unter den Top Ten der Frauen bei einem der härtesten Ultrarennen der Welt, wie schafften Sie das?

Ja, das war der 250 Kilometer lange Etappenlauf durch die Sahara in Namibia 2017. Der Wille ist enorm wichtig bei so einem Lauf, dem schreibe ich den Großteil zu. Doch ich hatte ein halbes Jahr zuvor auch ein gezieltes Training betrieben – mit Wochenplan. Drei Wochen des Monats trainierte ich straff, mit nur einem Tag Pause pro Woche, die vierte Woche reduzierte ich das Training für die Regeneration. Ich lief oft in der Mittagshitze, um mich auf die extreme Hitze vorzubereiten. Zudem trainierte ich lange Märsche, denn diese sind ganz wichtig beim Ultra-Etappenlauf. In flottem Marschier-Schritt überholte ich beim Namibia-Ultra einige auf den letzten Kilometern und erreichte den neunten Platz. Das freute mich besonders vor dem Hintergrund, dass ich acht Wochen zuvor die Diagnose erhalten hatte. Danach lief ich weitere Ultras, z. B. den 250-km-Gobi-Marsch durch die Mongolei.

In den Jahren 2017 und 2018 unterzogen Sie sich vier Operationen, weil der Schmerz zu groß wurde. Wie verliefen diese?

Trotz fast täglichen Laufens nahmen die Druckschmerzen nicht ab. An manchen Tagen fiel mir das Laufen schwer, ich hatte Beine wie Blei. Weil viel mehr Volumen als bei gesunden Läuferinnen vorhanden war, rieben sich die Beine leicht wund. Ich trug zu diesem Zeitpunkt Kompressionsstrümpfe im Alltag, aber nicht beim Laufen. Das war mir unbequem, deshalb habe ich mit Cremes und Hautpflege dem Wundlaufen vorgebeugt. Doch der Leidensdruck wurde so groß, dass ich mich schließlich für die Operation entschied. Die erste OP war im September 2017. Ich begann mit den Armen, denn ich hatte schon einen Startplatz für den New-York-Marathon im November, bei dem ich unbedingt dabei sein wollte. Ich dachte mir, die Arme brauche ich beim Marathon am wenigsten.

2018 folgten drei OPs, zuerst die Unterschenkel, anschließend die beiden Oberschenkel: erst Vorder-, dann Rückseite, mit Gesäß. Die Liposuktion ist aber kein Spaßziergang, weil alles danach angeschwollen ist und der Heilungsprozess lange dauert. Sie ist nicht zu verwechseln mit einer Schönheits-OP, denn es bleiben überschüssige Haut und Dellen übrig und nach jeder OP muss die Patientin Kompressionsbekleidung tragen und Lymphdrainagen über viele Wochen erhalten. Es dauerte Monate, bis ich schmerzfrei war. Danach ist Sporttreiben und Gewichthalten wichtig, damit es so bleibt. Bei mir wurde dadurch endlich der Stoffwechsel angeregt: Ich habe von 2018 bis heute weitere 20 Kilo abgenommen. Heute wiege ich 80 Kilo bei 1,75 Meter Körpergröße und genieße die Freiheit, ohne Druckschmerz und Wundlaufen trainieren zu können.

Wie hoch waren die OP-Kosten und hat Ihre Krankenkasse diese übernommen?

Bei mir wurde kein Cent für die vier OPs gezahlt. Ich habe die kompletten Kosten von 20.000 Euro selbst bezahlt, nachdem ich ein zweijähriges Rechtsverfahren mit der Kasse führte, das ich leider verlor. Ich bin auf verschiedenen Social-Media-Kanälen in diversen Lipödem-Gruppen unterwegs. Da lese ich jedoch immer wieder, dass Kosten übernommen werden. Ich denke, da ist in den letzten Jahren ein wenig mehr passiert. Von daher lohnt es sich zumindest, den Versuch zu starten.

Hintergrundinformation

Antje Wensel schrieb ihre Erfahrungen in einem Buch nieder: „Du kannst, wenn du willst“ erschien im März 2018. Die Ärzte empfahlen ihr anfangs Aquajogging statt Marathon-Training. Doch die Diagnose Lipödem war für sie kein Grund, von ihrem Traum, dem Marathonlauf, abzuweichen. Trotz krankheitsbedingter Zunahme von Unterhautfettgewebe an Armen, Beinen und Hüfte trainierte sie nach ihrem ersten Marathon sogar für eines der härtesten Ultrarennen: das 250 Kilometer lange „Sahara Desert Race“ durch die Wüste Namibias, bei dem sie 2017 als neunte Frau ins Ziel lief.