Die Laufzeiten von Frauen haben sich in den letzten Jahrzehnten den Spitzenzeiten der Männer zwar angenähert, doch dass sie diese eines Tages einholen werden, ist unwahrscheinlich. Dies liegt in der Physiologie begründet, denn es gibt kleine, aber feine Unterschiede zwischen Frau und Mann, Läuferin und Läufer. Erfahren Sie hier, warum Spitzenläuferinnen nicht so schnell sind wie ihre männlichen Gegenspieler und was es sonst noch für Unterschiede zwischen Frauen und Männern beim Laufen gibt.
Die Unterschiede kurz und knapp
Maximale Sauerstoffaufnahme
Das Herz des männlichen Läufers kann ein größeres Blutvolumen pro Herzschlag pumpen. Dies wiederum erhöht seine maximale Sauerstoffaufnahme.
Hämoglobin
Der Gehalt an Hämoglobin ist bei Läufern höher als bei Läuferinnen. Hämoglobin ist der Stoff, der in den roten Blutkörperchen für den Transport des Sauerstoffs zu den Muskeln verantwortlich ist.
Körperfettanteil
Frauen haben einen etwa zehn Prozent höheren Fettanteil als Männer – beim Laufen ist das zusätzlicher Ballast.
Muskelanteil
Der Anteil der Muskulatur ist bei Läuferinnen geringer als bei Läufern. Dadurch sind Frauen weniger stark, dafür aber in der Regel beweglicher als Männer.
Vernunft beim Training
Läuferinnen tendieren weniger stark dazu, sich zu übernehmen. Läuferinnen dosieren ihr Lauftempo vernünftiger als ihre männlichen Zeitgenossen. Frauen laufen gleichmäßiger und erreichen ein gewähltes Zeitziel dadurch problemloser.
Gesundheit im Fokus
Frauen laufen häufig eher aus gesundheitlichen Gründen. Sie berücksichtigen außerdem weitere Gesundheitsfaktoren und kümmern sich allgemein eher um Fitness. Wellness und Yoga etwa sind sportliche Trends, die vor allem von Frauen gelebt werden, auch wenn Männer inzwischen aufholen.
Warum ist der Puls bei Läuferinnen höher?
Diese Frage stellen sich viele Frauen, die zusammen mit dem Partner, Freunden oder Laufkollegen trainieren und das Phänomen der unterschiedlichen Herzfrequenz entdecken, signalisiert der hohe Puls doch grundsätzlich eine niedrigere Ausdauerleistungsfähigkeit. Oft fragen Läuferinnen sich dann, ob sie zum einen schlechter trainiert sind und sich zum anderen womöglich überlasten, wenn sie permanent mit den Läufern Schritt halten. In der Leistungsdiagnostik kennt man diese weibliche Verunsicherung.
„Viele Frauen lassen sich bei uns testen, um zu klären, warum sie mit Puls 150 laufen, wenn der Mann neben ihnen bei gleichem Tempo mit einer Herzfrequenz von 130 trainiert“, erklärt Ramin Vafa vom Zentrum für Leistungsdiagnostik (ZeLD) der Deutschen Sporthochschule Köln. „Doch die Herzfrequenz kann bei derselben Belastung und trotz identischer Stoffwechselsituation – sprich Laktatspiegel – völlig unterschiedlich sein.“
Herz und Lunge sind kleiner, die Muskelmasse geringer
Der Grund für die meist höhere Herzfrequenz: Frauen haben im Vergleich zu Männern weniger Muskelmasse – sie müssen dadurch schlichtweg weniger Muskeln mit Sauerstoff versorgen. Herz und Lunge sind im Durchschnitt kleiner. Vergleicht man die maximale Sauerstoffaufnahme, zeigt sich ein deutlicher Unterschied: Männer können im Schnitt maximal 6 bis 6,5 Liter Sauerstoff in der Minute aufnehmen, Frauen nur 4 bis 4,5 Liter. Selbst wenn man das in der Regel unterschiedliche Körpergewicht berücksichtigt, bleibt der Luftfaktor entscheidend: Läufer bringen es in der Minute auf maximal 80 bis 90 Milliliter Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht, Läuferinnen kommen auf etwa 70 Milliliter.
„Der Hubraum ist bei Frauen einfach kleiner“, begründet Vafa das biologisch unterschiedliche Leistungslimit. „Da die Sauerstoffnachfrage bei Läuferinnen geringer ist, nehmen sie über die oberen Atemwege weniger auf und geben weniger ins Blut weiter. Zudem ist das Herz in der Regel kleiner als bei Männern und pumpt pro Schlag weniger Blut in die Adern. Somit ist das Herzminutenvolumen geringer und die Herzfrequenz höher. Herzfrequenzformeln können deshalb in die Irre führen, weil Frauen dadurch eventuell unterfordert werden.“
Männerherz als Standard
Mit Pulsformeln stehen viele Läuferinnen daher ständig auf Kriegsfuß – die Pulsvorgabe ist für viele eher nervige Tempobremse als sinnvolle Trainingsvorgabe: Das Lauftempo auf Zockel-Niveau, die Puste im grünen Bereich, die Beine möchten eigentlich ein wenig flotter vorankommen, nur das Herz schlägt mal wieder zu schnell. Chronische Unterforderung. Aber warum? Des Rätsels Lösung: In der Vergangenheit galt der männliche Läufer als Richtschnur für die Berechnung der optimalen Herzfrequenz, die Besonderheiten des weiblichen Herzens blieben bei der Entwicklung der Trainingsformeln unberücksichtigt.
Zur Bestimmung der Pulswerte fürs Training legen wir als Basis die maximale Herzfrequenz zu Grunde, die bei Frauen in der Regel etwas höher ist als bei Männern. Am besten wird diese durch eine Leistungsdiagnostik bestimmt (hier werden in der Regel auch Trainingspulsbereiche festgelegt), Faustformeln bieten nur eine grobe Annäherung.
Pulsformel für Läuferinnen nach Hottenrott
Von der individuellen maximalen Herzfrequenz ausgehend können Sie Ihre Trainingsbereiche dann beispielsweise mit unserem Puls- und Pace-Rechner bestimmen. Sollten Sie mit diesen Werten dennoch nicht zurecht kommen, lohnt es sich, eine vor einigen Jahren von Sportwissenschaftler Professor Kuno Hottenrott entwickelte spezielle Berechnungsmethode für Läuferinnen zu betrachten. Denn gerade bei niedrigen Intensitäten schlägt das weibliche Herz im Vergleich zum männlichen 10- bis 15-mal häufiger in der Minute – bei gleicher Beanspruchung des Muskelstoffwechsels. „Da das Herz der Frau kleiner ist, erhöht es zu Beginn einer Belastung zunächst die Frequenz und erst bei höherer Beanspruchung das Schlagvolumen“, so Professor Hottenrott. „Mit höherer Intensität gleicht sich die Herzfrequenz von Frauen der von Männern zunehmend an.“
Wir stellen hier eine leicht vereinfachte Variante vor:
Trainingspuls = (208 - 0,7 x Lebensalter) x 0,7 x Leistungsfaktor x Trainingsfaktor
(Hinweis: Der Term in der Klammer entspricht der maximalen Herzfrequenz.)
Der Leistungsfaktor richtet sich dabei nach dem generellen Fitnessstand, der Trainingsfaktor nach der aktuell geplanten Trainingsintensität:
Leistungsfaktoren
- Leistungsfaktor für Laufeinsteigerinnen: 1
- Leistungsfaktor für Fitness- und Freizeitläuferinnen: 1,03
- Leistungsfaktor für Leistungsläuferinnen: 1,06
Trainingsfaktoren
- Trainingsfaktor T für Fettstoffwechsel-Training: 1,1
- Trainingsfaktor T für Herz-Kreislauf-Training: 1,166
- Trainingsfaktor T für intensives Training: 1,236
Übrigens können auch Männer diese Formel anwenden, hier sind folgende Trainingsfaktoren zu berücksichtigen (die Leistungsfaktoren sind wie oben anzuwenden):
- Trainingsfaktor T für Fettstoffwechsel-Training: 1
- Trainingsfaktor T für Herz-Kreislauf-Training: 1,1
- Trainingsfaktor T für intensives Training: 1,2
Beispielberechnung
Eine 45-jährige Fitness- und Freizeitläuferin macht ein Fettstoffwechsel-Training.
Trainingspuls
= (208 - 0,7 x Lebensalter) x 0,7 x Leistungsfaktor x Trainingsfaktor
= (208 - 0,7 x 45) x 0,7 x 1,03 x 1,1
= 140
Hormonschwankungen im Zyklus
Und noch eine Besonderheit bringt der weibliche Körper mit sich: die Hormonschwankungen innerhalb des Menstruationszyklus. Als winzige Botenstoffe machen Hormone uns griesgrämig oder glücklich, sorgen für Stress und Schlaf, regeln Hunger- und Lustgefühle. Kein Wunder, dass sie zudem sowohl als Fit- wie auch als Schlappmacher wirken können. Nicht jede Frau reagiert spürbar auf die Schwankungen der weiblichen Sexualhormone – grundsätzlich können Frauen aber von einem geschickten Trainings-Timing profitieren.
Vier-Wochen-Trainingsplan für Frauen
1. Woche: Durchstarten!
Zu Beginn der Regel befinden sich die Hormone auf Tiefststand. Jede zweite Frau fühlt sich jetzt schlapp und hat ein kleines Leistungstief. Trotzdem müssen Sie das Training nicht sausen lassen – lockere Laufeinheiten sind dann richtig. Übrigens: 20 Prozent der Frauen fühlen sich während und kurz nach der Periode sogar fitter als sonst.
2. Woche: Drauflegen!
Vor dem Eisprung steigt der Östrogenspiegel, und viele Frauen fühlen sich daraufhin fit und leistungsfähig. Die Muskulatur reagiert dank der anabolen Wirkung des Hormons besonders gut auf Trainingsreize – ein idealer Zeitpunkt für intensive Läufe, anstrengende Extra-Einheiten und gezielte Kräftigungsübungen.
3. Woche: Dranbleiben!
Nach dem Eisprung nimmt der Östrogenspiegel ab und der Progesteronspiegel zu. Das Ausdauertraining kann durch Wassereinlagerungen und eine leicht erhöhte Körpertemperatur (um etwa ein halbes Grad) etwas schwerer fallen – vor allem bei Hitze. Zudem sind Bindegewebe und Bänder nun etwas lockerer, und die Verletzungsgefahr steigt.
4. Woche: Durchhalten!
Sinken die Hormonpegel, droht das prämenstruelle Syndrom (PMS): Schlechte Laune, Bauchschmerzen und empfindliche Brüste verderben die Lauflust, das Leistungsvermögen sinkt. Sport ist trotzdem das beste Rezept gegen Menstruationsbeschwerden, Sportlerinnen leiden seltener unter PMS als Fitness-Muffel. Laufen sorgt jetzt für Spaß und Entspannung.
Fazit: Dem Stoffwechsel ist’s schnuppe
Weniger Kraft, mehr Körperfett, eine niedrigere Ausdauerleistungsfähigkeit durch Herz, Lunge und Blut – scheinbar rennen Läuferinnen den Läufern immer ein wenig hinterher. Ein geschlechterspezifisches Training oder gar andere Trainingseinheiten brauchen wir, was die grundsätzlichen Trainingsinhalte betrifft, eigentlich dennoch nicht: Bei gleichem Sportpensum laufen im weiblichen und im männlichen Körper dieselben Anpassungsprozesse ab.
Entscheidend für die Laufleistung ist eben doch das individuelle Trainingspensum, und das ist keine Frage des Geschlechts. „Aus physiologischer Sicht und hinsichtlich der Trainierbarkeit und der Trainingseffekte gibt es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern, weil der Stoffwechsel – und um den geht es beim Ausdauertraining in erster Linie – tatsächlich gleich reagiert“, betont Ramin Vafa. „Man trainiert heute Männer und Frauen, was die grundsätzlichen Trainingsinhalte angeht, nicht mehr unterschiedlich.“
Allerdings gibt es eine Einschränkung: der weibliche Zyklus bedingt hormonbedingte Formtiefs. Darauf geht eine sinnvolle Trainingsplanung für die Frauen ein, deren Menstruationszyklus nicht durch Verhütung oder Alter ausgesetzt ist. Das betrifft aber nicht die grundsätzlichen Trainingseinheiten, die Trainingssystematik ansich, sondern die Intensitäten in den verschiedenen Zyklusphasen.